Das Leben auf dem Lande von 1650 bis 1900

von Clemens Bremer bis 1907
Vorwort

Zum ersten Male nach dem zweiten Weltkrieg tritt der Kreis Warburg mit einer eigenen heimatkundlichen Veröffentlichung hervor. In Anbetracht der Bedeutung, die gutgeführte Dorfchroniken für die Nachwelt haben, und um dem Heimatpfleger und Dorfchronisten der Jetztzeit das Beispiel einer mustergültigen heimat- und kulturgeschichtlichen Niederschrift als Grundlage ihrer eigenen Arbeit zu geben, läßt die Kreisverwaltung Warburg die "Körbecker Dorfchronik" des unvergeßlichen Freundes des Warburger Landes Clemens Bremer drucken.

Clemens Bremer war ein echter Sohn Westfalens und der Warburger Heimat. Er wurde in Körbecke am 25. Januar 1835 geboren. Seine Jugend- und Schuljahre verbrachte der außerordentlich begabte Junge in seinem Geburtsort. Die Absicht der Eltern, ihn studieren zu lassen, konnte deshalb nicht in Erfüllung gehen, weil der Vater früh starb und der Sohn gleich nach Beendigung der Schuljahre auf dem elterlichen Hof helfen mußte. Bis zum Jahre 1857 war er als Eleve und später als Verwalter auf Gut Almefeld bei Alme tätig. Seiner Militärpflicht genügte er bis 1860 in Mainz, um sich dann in seinem Heimatdorf Körbecke zu verheiraten und seine weiteren Lebensjahre als Landwirt in der Heimat zu verbringen. Hochbetagt und ehrenreich starb Clemens Bremer am 6. April 1917 in Körbecke und wurde hier zu Grabe getragen.

Nicht nur ein außerordentlicher tüchtiger Landwirt war Clemens Bremer, sondern überdies ein echter Heimatfreund, der sich um seine Heimat Körbecke besondere Verdienste erwarb. Er besaß hervorragende Kenntnisse der Heimatgeschichte und bewies dieses durch seine literarische Tätigkeit. Auch eine Sammlung "Landmannsklänge" verfaßte er.

 

"Von und für Körbecke"

betitelt sich seine Chronik, die heute den Heimatpflegern und Schulen des Kreises Warburg überreicht wird

 

"zum Andenken und zur Kenntnis für unsere Nachkommen",

welches Wort Clemens Bremer seiner Chronik voranstellt, und zur Nachahmung und als Vorbild für alle, die durch Heimatliebe und ihr Amt verpflichtet sind, die Ereignisse der heutigen Zeit für unsere Nachfahren zu bewahren.

Dr. Hassels
Kreisheimatpfleger

Geleitwort

Die "Körbecker Dorfchronik" ist die erste Schrift einer Erscheinungsreihe, die mit der Veröffentlichung guter heimatkundlicher Schriften aus dem Kreise Warburg zur Pflege des Heimatbewußtseins fortgesetzt werden soll.

Die Schrift erscheint im einfachen Gewande. Der echte Heimatfreund wird daran keinen Anstoß nehmen; weiß er doch, daß es wichtiger ist, eine preiswerte gute Schrift einem möglichst großen Kreis - vor allem der Jugend - zukommen zu lassen, als für ein kostbar ausgestattetes Werk nur wenige Abnehmer zu finden.

Dank gebührt Herrn Kreislandwirt Alfred Jakobi, Körbecke; er hat die in seinem Besitz befindliche Handschrift des Verfassers, der zu seinen Vorfahren mütterlicherseits gehört, gern zu Verfügung gestellt.

Anerkennung darf auch nicht versagt werden den Angehörigen der Kreisverwaltung, die außerhalb der Dienststunden an der Fertigstellung der Schrift mitgewirkt haben.

Allen Lesern der Körbecker Dorfchronik möge sie erfreuliche und besinnliche Stunden schenken.

Oberkreisdirektor
Kurator im Westfälischen Heimatbund für den Kreis Warburg

Chronik Teil 1
Körbecke liegt am nördlichen Ausgang eines nördlichen Seitentals der Diemel, etwa 200 Meter über Mehreshöhe. Nach der Zählung von 1895 hatte es an 200 Gebäude, davon 155 Wohnhäuser mit 167 Haushaltungen und 946 Einwohner.

1 Mühle, 3 Gehöfte und 1 Kleinhaus liegen etwa 3 Minuten außerhalb nach Süden, 1 Gehöft liegt etwa 3 Minuten außerhalb nach Südwest, 1 Gehöft liegt ca. 20 Minuten nach Nordwest. 1 Gehöft liegt ungefähr 25 Minuten nach Ost. Von diesem ist jetzt ein zweites Gehöft abgezweigt worden.

Alle übrigen Gebäude bilden eine zusammenhängende, geschlossene Dorfschaft. Vor dem Jahre 1860 stand außerhalb des Dorfes kein anderes Gebäude als die Mühle. Das Gehöft nach Osten und der Gutshof wurden nach vorangegangener Separation anfangs der 1860er Jahre nach außerhalb verlegt.

Als dann am 3. August 1868 bei einem durch Kinder verursachten Brande wegen ungewöhlicher Dürre 15 Gebäude in Asche sanken, haben unsere 3 Mitbetroffenen ihre Gehöfte nach außerhalb verlegt, weil man im Dorfe zu eng wohnt.

Die Religion ist die katholische mit Ausnahme von 2 einzelnen Protestanten und 3 jüdischen Familien; zuweilen kamen noch einige protestantische Dienstboten hinzu.

Schaffensunfähigkeit wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen war bis vor kurzem niemand. In letzter Zeit aber hat ein 13-jähriges Mädchen leider das Augenlicht gänzlich verloren.

Das hohe Alter von 90 Jahren hatte in länger als 130 Jahren niemand erreicht. Neuerdings aber erreichte Heinrich Hagemeyer ein Alter von über 90 Jahren; bald nach seinem Heimgange übertraf ihn Friedrich Kröger mit 91 Jahren. Unsere Kirchenbücher verzeichnen in dem Zeitraum von 1664 bis 1760 19 mal ein Alter von 90 bis 100 Jahren -,mal ein Alter von 100 Jahren -, einmal gar einen Heinrich Hundertmark mit 106 Jahren. Indes dürfte mit Recht bezweifelt werden dürfen, ob die Kirchenbuchangaben in dieser Hinsicht damals zuverlässig sind.

Die Einwohnerzahl befindet sich seit 50 Jahren wegen Aus- und Abwanderung in der Abnahme. In den 1850er und 1860er Jahren ging der Abwanderungszug nach Nordamerika zumeist in den Staat Missouri und dessen Hauptstadt St. Louis; daneben auch nach Texas Illinois, Baltimore usw. Mit Einrechnung einiger Vorgänger und Nachzüchler suchten gegen 10 Familien und um 250 Einzelpersonen in Amerika eine neue Heimat.

2 mittellose Familien paktierten wegen ungenügender Überfahrtsmittel mit einem Agenten über das Reiseziel Australien. Nach der Überfahrt sollten sie für die vorgelegten Reisekosten eine bestimmte Zeit in ein Dienstverhältnis treten. Sie wurden aber nicht in Australien sondern in Afrika gelandet. Ihre Nachrichten kamen aus der Nähe von Kapstadt, wo es ihnen anscheinend gut ging. Es hätte schlimmer auslaufen können. Nachdem die überseeische Auswanderung aufhörte, ist es die westliche Industriegegend von Essen, Bochum, Dortmund, Witten, Gelsenkirchen, Köln etc., die fortgesetzt eine lebhafte Abwanderung anzieht.

Im letzten Dezenium des abgelaufenen Jahrhunderts gingen 6 junge Landwirte nach der Provinz Posen. Dort gründeten sie sich ein Heim durch Ankauf von Grundstücken ( 70 bis 215 Morgen pro Person ). Dann holten sie sich westfälische Mädchen zu Frauen. Das wird regierungsseitig vermittelt und finanziell unterstützt, angeblich zur Stärkung des Deutschtums im Osten.

Unter unserer angesessenen Bevölkerung zähle ich, einschließlich der Verwitweten, 60 Frauen und 21 Männer, die von auswärts stammen. Die Hausstände des Pfarrherrn der Lehrpersonen, des Gutshofes und der Juden sind nicht eingerechnet. An erster Stelle steht Rösebeck dem 16 Frauen und 3 Männer entstammen. Bühne lieferte 6 Frauen und 7 Männer; das unscheinbare Muddenhagen folgt mit 7 Frauen und 5 Männern. Danach folgt Manrode mit 5, Dössel und Borgholz je mit 3, Eissen und Menne je mit 2 Frauen, die übrigen vereinzeln sich. 10 Personen kamen von außerhalb des Kreises Warburg.

Die Hauptbeschäftigung gewährt der Ackerbau.

15 Häuser bestellen ihren Acker mit 4 und mehr Pferden,
9 " " 3 Pferden
20 " " 2 Pferden
12 " halten je 1 Pferd, teils zum Acker, Teils zum Handel,  
31 " bestellen ihren Acker mit Kühen,  
14 " spannen Kühe nur zum Fahren ein,  
55 " benutzen vorläufig noch keine Tiere zur Arbeit.  

Die Hausstände des Pfarrherrn, der Lehrpersonen und einiger Einzelhäupter blieben ungerechnet.

Der Viehbestand betrug nach Zählung vom 1. Dezember 1900:

202 Stück Pferde und Fohlen In Wirklichkeit ist der Viehbestand wahrscheinlich etwas größer. Aus Furcht vor Besteuerung werden die Angaben etwas niedrig gehalten.
885 " Rindvieh  
801 " Schweine  
177 " Ziegen  
208 " Schafe  
3479 " Federvieh  
33 " Bienenvölker  
5437 " Obstbäume  

Landwirtschaftliche Maschinen sind vorhanden:

2 Stück Dampfdresch- und Häckselmaschinen
7 " Dreschmaschinen für Göpelbetrieb
28 " Häckselmaschinen für Göpelbetrieb
18 " Sämaschinen
29 " Mähmaschinen (davon 1 Garbenbinder, 21 Ablegemaschinen und 7 Grasmäher
18 " Pferdeharken

Häckselmaschinen für Handbetrieb befinden sich fast in jedem Hause mit Viehhaltung bis herab zu 1 Kuh. In der Mühle arbeitete eine Kreissäge. Der Dampfpflug kam Anfang der 1880er Jahre auf den Gütern in Gebrauch, zuerst mit einer Maschine dann das Zweimaschinensystem. Bei starkem Zuckerrübenbau arbeitet der Dampfpflug in jedem Herbstauf den Gütern.

Maschinen und Geräte zum Ausführen landwirtschaftlicher Arbeiten kamen hier zuerst 1860 zu Gesicht. Bis dahin war alles Handarbeit. Nach und nach wurden die Maschinen angeschafft, vervollkommnet und vermehrt.

Es sei hier bemerkt, daß die Aufzeichnungen über gegenwärtige Verhältnisse sich anschließen an die Zeit der gegenwärtigen Niederschrift, an das Jahr 1904.

Weidegang des Viehes ist zusammengeschrumpft auf eine Schafherde. Bisher wurde immer noch eine Gänseherde geweidet, welche diesjährig mangels eines Hirten eingegangen ist. Das Vieh genießt also Stallfütterung. Ungehäckselte Fütterung ist noch nicht gebräuchlich. Früher weideten 2 Kuhherden, denen mehrere Jahrgänge von Fohlen zugesellt wurden - ferner 6 Schaf-, 1 Schweine-, 1 Ziegen-, 1 Gänseherde.

Kleinbauern weideten ihre Pferde zunächst nachts, dann aber auch am Tage in den Fällen, daß sie wenig oder leichte Arbeit oder kein Futter hatten, auf dem Vorbruche. Es war die Rede von gemieteten Pferdehirten für die Nachtzeit. Wenngleich die Pferde zu zweien mit einem Strick von Fessel zu Fessel zusammengespannt wurden, so verstanden sie es doch, im Gleichschritt unerlaubte Nahrungsgenüsse aufzusuchen. Der nächtliche Hirt mußte dies verhindern.

Die größeren Bauern hatten früher ihre Pferde ausnahmslos in ihren, mit starken Hecken umgebenen Wiesen geweidet, wovon noch viel die Rede war.

In neuester Zeit beginnt man hier nach dem Beispiel anderer Gegenden mit der Anlegung eingefriedigter Weidekämpe - bis jetzt 8 Stück.

Das Handwerk ist vertreten durch Schmiede, Wagner, Tischler, Schneider und Näherinnen, Schuhmacher, Sattler, Maurer, Zimmerleute, Holzschuhmacher, Hausschlachter, Hausbrotbäcker.

Eine Ausfuhr von Handwerkserzeugnissen beschränkt sich auf die Lieferung einiger Tischler-, Wagner-, Sattlerarbeiten in die nächste Nachbarschaft, auch einiges Brot wird ausgeführt. Maurer aber sind im Überfluß vorhanden und suchen in ansehnlicher Zahl Arbeit und Verdienst in der Industriegegend. Sämtliche Handwerker bewirtschaften Grundstücke, eigene, gepachtete oder beides zugleich.

Tagelöhner sind nur noch wenige. Auch die wenigen finden nicht immer volle Beschäftigung, weil die schwersten Arbeiten bei dem Arbeitermangel auf die Maschinen haben übertragen werden müssen. Sämtliche Tagelöhner bewirtschaften auch Grundstücke, eigene, gepachtete oder beides zugleich.

In höheren Stellungen befinden sich Körbecker Kinder:

3 Geistliche: Bremer, Bremer, Dr. Bremer. - 2 Ärzte: Dr. Göken und Dr. Bremer. - 1 Chemiker: Dr. Bremer. - 1 Rechtsanwalt : Bremer. 1 Rektor: Bremer. - 3 Lehrer: Plenge, Göken und Flotho. - 1 Lehrerin: Jürgens. - 1 Studiosus Bremer befindet sich auf einer technischen Hochschule und studiert Bergfach. - 1 Maschinenfach: Jakobi. - 2 Knaben: Bremer und Bremer, bereiten sich durch Gymnasialstudien zu höheren Stellungen vor. Ein Sekundaner Bremer starb vor wenigen Jahren an einem Herzleiden. Dem Postfach hat sich ein Jürgens zugewandt, einige widmen sich der Kaufmannschaft. 1 Mädchen: Götte bereitet sich vor auf das Lehrerinnenfach. - 4 Knaben: Scheideler, Göken Götte und Götte bereiten sich vor auf den Lehrerberuf. Dem Ordensstande gehört eine der obigen Geistlichen, Dr. Bremer - ferner 2 Barmherzige Schwestern: Bremer und Kröger an. Der Chemiker, mein Patenkind, ist Angestellter der weltbekannten Liebigs-Fleisch-Extrakt-Kompagnie, die ihren Hauptsitz in München hat. Zweimal war er bereits in Argentinien (Südamerika) zur Inspizierung der dortigen Massenherstellung von Fleischextrakt, war zuweilen auch längere Zeit in London und Antwerpen tätig.

Prädikate ( Privatansicht ): Die Einwohnerschaft ist mit geringer Einschränkung durchweg fleißig, nüchtern und sparsam. Letzteres jedoch bedarf der Einschränkung dahin, daß im Kleideraufwand überhaupt, namentlich aber von der weiblichen Bevölkerung bis zur Magd, Tagelöhnerfrau und Töchter, sowie mit den Kindern, Überschwänglichkeit herrscht. Eine simple Magd oder ein nasequellendes Tagelöhnermädchen am Werktag mit Bänderhut und Handmuff zur Kirche trippeln sehen, ist nicht neu. Und erst an Sonntagen! Die allerdämlichsten Jüngelchen tuns nicht mehr ohne Handmanschetten und anderes. Ferner machen sich in neuerer Zeit leider auch vermehrte Anzeichen wahrnehmbar, wonach in den wenigst bemittelten Klassen neben übertriebenen Kleideraufwand auch in der Lebensweise die unerläßlichen Gebote der Genügsamkeit und Einfachheit verlassen, dagegen ein luxuriöses Wohlleben bis zur Unhaltbarkeit eingeführt wird, wie es früher bei allen und auch heute noch bei vielen Vermögenden bekannt ist.

Vermögensverhältnisse. Es herrscht ein erfreulicher Wohlstand der besonders in den unteren Schichten gegen früher stark und wohltuend absticht. Um so abstoßender wirkt es, daß dieser befriedigende Zustand durch das, im Vorabschnitt Gesagte mutwillig in ernste Gefahr kommt.

Lebenshaltung. Mit Ausnahme des kirchlich verbotenen Freitags erhalten die Arbeiter täglich eimmal - an Sonn- und Feiertagen zweimal Fleisch; in der Zeit vermehrter Arbeit, also im Sommer zum Nachmittagskaffee Gelee und Butter. An Wochentagen werden Kartoffel und Gemüse etc. meist durcheinander gekocht. Es werden nur Schweine geschlachtet. Obwohl alle ohne Ausnahme reichlich zu schlachten pflegen, wird im Nachsommer und Herbst noch viel Metzgerfleisch und Wurst hinzugenommen von denen, die wegen ungenügender Einteilung zu früh auf die Neige gelangen.

Eine sparsame Lebensweise beginnt als schimpflich behandelt und empfunden zu werden, wogegen es sich als rühmlich auswächst, tüchtig was draufgehen zu lassen.

Das im letzten Satz Ausgesprochene beginnt jetzt in der jüngeren Generation aufzusprossen. Die Mägdlein trinken keinen Branntwein. Die männliche Arbeiterschaft ist bereit diesen Ausfall auszugleichen, indem sie gern möglichst viel trinkt.

In 3 Wirtshäuser ist Tagesverkehr ungefähr völlig ausgeschlossen. Abends und sonntags mäßiger Verkehr, etwas Kartenspiel um mäßigen Einsatz ohne mitternächtige Ausdehnung.

Außer einem hergebrachten Schützenfeste findet meist noch einmal im Jahre eine öffentliche Tanzbelustigung statt.

Es wird fast nur Bier getrunken. Gewöhnlich werden abends 2 Glas, zuweilen auch 2 1/2 bis 3 Glas a 10 Pfennig getrunken. Über die gegenwärtigen Trinksitten bin ich aber nicht mehr unterrichtet. Durch Fuhrwerke wird Flaschenbier in die Häuser geliefert und soll der Absatz bis vielfach in ganz kleine Häuser recht erheblich sein. Schreiber dieses leistet sich täglich eine Flasche von 1/2 Liter für 12 1/2 Pfennig, welche aber in den Wintermonaten entfällt. Bei völliger Aufgabe des Wirtshausbesuchs verursachte das im Jahr eine jährliche Ausgabe von 36 - 37 Mark. Nachdem der regelmäßige Besuch meines Jüngsten Sohnes während der Gerichtsferien oder an den Hauptfesten im Elternhause wegen seiner eigenen Etlabierung schwächer geworden ist, hat sich der Bieraufwand unter 30 Mark pro Jahr ermäßigt. Hier sind neben andern auch gleichgestellte Männer, die in Trinkleistungen erheblich schwächer eingeschätzt werden müssen.

Gegen die städtische Durchschnittsbevölkerung stehen wir in Gaumen- und Vergnügungsgenüssen allesamt als blasse Waisenknaben. Nur in Schaffensleistungen gönnt man uns den Vorrang. Wenngleich die Trinksucht schwerlich jemals völlig schwinden wird, so wurde ein öffentlich Betrunkener hier seit Jahren nicht gesehen. Über einen etwaigen Gelegenheitsrausch geht mir jedoch die Kenntnis ab.

Früher wurde nur Branntwein getrunken. Regel war abends 2 Schnäpse a 3, später a 4 Pfennig. Einzelne tranken nur einen. Dazu schmökten sie ihr Pfeifchen und tauschten Wissen und Meinung aus über neue und alte Vorkommnisse und Erlebnisse der Umgebung und des Universums. Auch bei besserer Situation in der sich fast alle Mitglieder der kleinen Schar Wirtshausbesucher befanden, empfanden einige zuweilen einen Anfluch von Gewissensskrupeln. Diesem gab ein wohlhabender Großbauer einmal dem Schreiber dieses gegenüber auf dem abendlichen Heimweg folgenden Ausdruck: " Ja man nimmt die Sache so leicht, und doch - wenn man zu 2 Abenden einen Pfennig zulegt, ist es schon ein Kleinenberger Besen". Dieser kostete damals 7 Pfennig und der Sprecher kam über einen Schnaps a 3 Pfenng abends niemals hinaus. Zu seiner Entschuldigung darf nicht unausgesprochen bleiben, daß er zu der Mehrzahl rechnete, die nicht allabendliche Wirtshausgäste waren.

Einmal jagte der animierte heimkehrende Wirt mit schimpflichen Worten einen bemittelten Juden zur Tür heraus, weil dieser die Gewohnheit übte, gar nichts zu verzehren. Der gemaßregelte mochte sofort ahnen, daß das für ihn ein schlechter Abschluß sei. Kehrte also kurzentschlossen vor der Tür um und forderte beim erneuten Eintritt von dem Gestrengen "1 Schnäpschen". Sofort war die Harmonie völlig wieder hergestellt, kein Wort erinnerte noch an die voraufgegangene Szene. Ein anderer Standesgenosse, der dürftig, aber redegewandt war, wurde freundlich geduldet, ohne daß er etwas verzehrte.

Von den Söhnen des Vorerwähnten wohnt einer in Köln, Hohenzollernring, einer in Kassel, Hohenzollernstraße; beide in den vornehmsten Teilen reicher Städte, beide mit nicht unbeträchtlichem Vermögen.

3 Lehrpersonen heben die Schuljugend auf die Wissensstufen. Zu diesem Zweck besteht eine 8-jährige Schulpflicht vom vollendeten 6. bis 14. Lebensjahr. Die gegenwärtige Schülerzzahl schwankt zwischen 170 bis 180 Köpfen.

Der Unterzeichnete und seine Altersgenossen resp. Genossinnen mußten bei stärkerer Volkszahl zwischen 1840 und 1850 sämtlich ein und derselben Lehrperson ihr Schulwissen abhorchen.

Ob sie Euch aus der Zeit dreier Lehrpersonen demnächst nach vollbrachter Pfugarbeit bessere Aufzeichungen hinterlassen, werdet Ihr sehen.

Kaufläden öffnen sich 6 zur Entnahme von Kram- und Kolonialwaren nebst Spirituosen. In einem Laden bieten sich Manufakturwaren in bescheidener Wahl.

Eine Postagentur mit Telefon vermittelt den Verkehr mit der Außenwelt. Die Postsachen laufen von Liebenau vermittels Fuhrwerk für Körbecke und Rösebeck täglich zweimal ein und in umgekehrter Richtung aus. Liebenau ist nächste Bahnstation.

Der Post- und Telegrammverkehr der hiesigen Postagentur ist mir von der Kaiserlichen Oberpostdirektion in Kassel aus dem Jahre 1902 wie folgt mitgeteilt:

    Eingegangen   Ausgegangen    
1. Briefsendungen 29120 Stück   16562 Stück  
2. Paketsendungen 2002 "   1306 "  
3. Postanweisungen 662 " mit 70.133 M 1983 " mit 79.471 M
4. Telegramme 375 "   180 "  

Zeitungen wurden in Körbecke in den Wintermonaten etwa 70 bis 80 Stück in den Sommermonaten etwa 50 bis 60 Stück aus ca. 12 Verlagsorten gehalten.

Zeitungen in Rösebeck in den Winterquartalen etwa 30 bis 40, in den Sommerquartalen zwischen 20 und 30 Stück.

Die meisten politischen Zeitungen erscheinen täglich in 2 Nummern.

Am Paketverkehr sei Rösebeck ungefähr im selben Verhältnis, am Brief-, Geld- und Telegramm-Verkehr dagegen in schwächerem Verhältnis beteiligt.

Als Umgangssprache war bisher das Plattdeutsch in breiter Mundart außer dem Gutshof allgemein. Neuerdings ist vielfach begonnen worden, den Kindern die hochdeutsche Sprache im gewöhlichen Verkehr anzugewöhnen.

Das Fahrrad wurde vor einigen 20 Jahren auf dem Lande selten gesehen und war wenig bekannt auf dem Lande. Gegenwärtig ist es ein Verkehrsmittel geworden, das auch auf dem Lande verbreitet ist und häufig gesehen wird. Es dürfte gerechnet werden, daß sich auf jedem Dorf Fahrräder und eine ganze Reihe geübter Fahrer befinden. Auch Zweiräder mit Motorbetrieb und Automobile sind auf dem Lande nicht nur selten gesehen.

Die Gemarkung enthält rund 6300 Morgen oder 1607 Hektar, wovon mit Einrechnung der neueren Anpflanzungen 450 bis 500 Morgen als Wald und Holzung anzusprechen sind. Der Gemeindebesitz beträgt ungefähr 770 Morgen. Hiervon sind gegenwärtig ca. 330 Morgen als Ackerland verpachtet, die in letzter Periode einen jährlichen Pachtertrag von 8100 Mark brachten. 100 Morgen sind Wiesen mit jährlichem Grasverkauf. Diese brachten in den letzten 10 Jahren einen Durchschnittsertrag von jährlich 3200 Mark. Was mit Holzung bestanden ist, mag sich etwa gegen 130 Morgen beziffern. 10 Morgen sind mit Obstbäumen besetzt. Hiernach würden zur Weidenutzung und als Unland noch ca. 200 Morgen verbleiben. Einnahmen aus Gemeindegrundstücken 1903: 13.096,-- Mark.

Das Strumbook war zu fürstbischöflicher Zeit Staatseigentum und Wald. Nach Ruinierung des Waldes scheint die Gemeinde in Ablösung eines Weiderechts annährend die Hälfte als Eigentum erhalten zu haben. Das übrige kaufte sie später hinzu. Über diesen Ankauf ist mir Urkundliches nicht bekannt geworden, nur die Tradition wußte davon.

Es diente lange als Ziegen und Gänseweide. Am zweiten Pfingsttage alljährlich hatten die Schützen dort Königschießen, während die jüngere Welt sich auf einem Rasentanzplatz vergnügte.

Vor 1850 beginnend, wurde der größere Teil allmählich mit Tannen, der südwestliche Hang mit Kiefern bestellt. Mit Zuhilfenahme des Tannenertrages - so hofften und sprachen unsere Väter - würden ihre Nachkommen eine neue Kirche bauen können. Die Tannenernte hat seit einer Reihe von Jahren stattgefunden, der Kirchenbau aber, das Vermächnis unserer Väter war bei den meisten völlig in Vergessenheit gekommen. Wenige Morgen vom Strumbook sind zu Ackerland verpachtet.

Ein Rest von 8 Morgen ist vor einigen Jahren mit Obstbäumen besetzt. Eine weitere Obstbaumpflanzung befindet sich am Heiberg in fragwürdigem Boden.

Außer dem Gemeindegrundbesitz gehören zur hiesigen Pfarrstelle nahe 80 Morgen, wozu noch 5 1/2 Morgen in der Borgentreicher Gemarkung kommen. Zur hiesigen Schulstelle gehören 5 Morgen 86 Ruthen; zur Küsterstelle 9 Morgen 128 Ruthen. Schul- und Küsterland waren in ihrer Nutzung bisher immer in der Hand des Schullehrers vereinigt.

Frühere Einteilung und Beschaffenheit der Gemarkung. Ehedem zeigte die Feldmark eine starke Zersplitterung der Grundstücke bis herab zu 3/4 und 1/2 Morgen auch im Bauernbesitz. Ein Gut von 120 bis 150 mochte in 60 bis 80 Parzellen durch die ganze Feldmark zerstreut liegen. Die Wege hatten nur die Breite eines Wagenspurs, auch die Kommunikationswege zwischen den Ortschaften. Manche waren tief ausgeflossen und gefahren, sogenannte Hohlwege. Nicht jedes Grundstück hatte einen Wegezugang, sondern der Weg mußte über andere Grundstücke genommen werden. Deshalb mußte eine größere Feldkoppel stets mit gleichartiger Frucht bestellt werden damit die Überfahrt ohne große Schädigung ermöglicht werden konnte. Die Grundstücke waren vielfach naß bis sumpfig, es mangelte an Wasserableitumgsgräben.

Außer den Fahrwegen führten Fußwege in gerader Richtung nach den Nachbarorten Bühne bis zur Hohenfelder Linde, Muddenhagen, Lamerden, Rösebeck und Daseburg, Ostheim, Borgentreich, nach dem Braunsholze. Ein gerader Weg nach Rösebeck und Daseburg war, wie noch heute, teils Fahr- teils Fußweg. Diese Fußwege vermittelten auch raschere Zugänglichkeit zu vielen Grundstücken.

Die zahlreich, durch die Feldmarkt verstreuten Wiesen waren größtenteils mit starken Hecken umgeben und durchsetzt. Auch zwischen manchen Äckern befanden sich Hecken meist in hängigen Lagen, einzeln aber auch in ebenem Gelände, und Kämpe. Somit bot die Gemarkung ein Bild wechselvoller Mannigfaltigkeit, Schutz und Unterkunft für allerlei Feldgetier und war für Vögel und nestsuchende Knaben ein wahres Paradies.

Die Hecken lieferten Material für die Gartenzäune und Brennholz für die Bräutöpfe und großen Kachelöfen, welch letztere ihren weiten Mund nach der Küche und dem Hausflur öffneten.

Im Jahre 1858 sind die Grundstücke in der Separation zusammengelegt und in größeren Parzellen neu ausgewiesen. Dabei wurden mehr Wege in größerer Breite ausgelegt. An den hängigen Wegen wurden mehr Gräben zur Aufnahme und Abführung von Wasser angelegt. Auch sonst wurden noch Gräben als Wasserzüge ausgelegt. Nun wurden die Hecken gerodet bis leider auf den letzten Busch. Es wurden viele Drainagen zur Abführung des Grundwassers gelegt. ( Schreiber dieses legte auf seinen Grundstücken von 154 Morgen gegen 5000 lfd. Meter ). Nicht wässerbare Wiesen wurden nach geschehener Entsumpfung in gutes Ackerland umgewandelt.

Durch all dieses erhielt die Gemarkung ein sehr verändertes, schlichteres Aussehen. Die größeren Flächen weckten das größere Wohlgefallen des Eigentümers und wurden ein kräftiger Ansporn zu fleißigerer Bestellung, die nicht unbelohnt blieb. Indem jedes Grundstück seinen direkten Wegezugang erhielt und von der Weidebelastung befreit wurde, war die Bestellungsart fortan völlig frei und unabhängig. Bei schlechten Wegen und schwacher Düngerproduktion war früher eine Düngung entfernter Felder völlig unterblieben. Daher konnten die Ernten nur sehr gering sein. Infolge der Separation aber brachten Düngung und sorgfältigere Bestellung auf bisher vernachlässigten Grundstücken doppelte und dreifache Erträge. Demgemäß stieg die Wertschätzung solcher Äcker, die früher verkannt waren.

Die Separation war lange vor ihrem voraussichtlichen Eintritt unsern Vätern ein Schreckschuß. Sie hat sich sehr wohltätig erwiesen. Ein rationeller Betrieb ist bei großer Zerstückelung ohne gute Wege und ohne Entwässerungsmöglichheit völlig ausgeschlossen.

Durch zweckmäßigere Anlage von Wegen und größere Zusammenrückung der Grundstücke desselben Besitzers hätte Sie noch erheblich vorteilhafter gestaltet werden können.

Die Kommunikationswege sind in die bessere Verwaltung des Kreises überführt worden, nachdem gemeindeseitig ihr Ausbau und ihre Instandsetzung vollzogen war. Vorher waren sie mit Obstbäume eingefasst, die im Eigentum der Gemeinde verblieben sind.

Feldwege sind auf schlechteren Stellen streckenweise chausseemäßig gehärtet, bislang auf etwa 12 Punkten.

Erntedurchschnitte der Hauptgetreidearten aus einem 7jährigen Zeitraum gegen Ende des abgelaufenen Jahrhunderts nach des Unterzeichneten Aufzeichnungen:

Weizen 12 - Roggen 8,50 - Hafer 9,50 - Bohnen und Bohnengemenge 8,26 Zentner vom Morgen.

Die günstige Haferernte des Jahres 1900, die im Vorstehenden nicht einbegriffen ist, brachte bei einem meiner Söhne den bis dahin nicht erreichten Durchschnitt von 15 - bei einem anderen von 14 Zentnern pro Morgen.

Ausfuhrartikel sind: Weizen, Roggen, Hafer, wenig Hülsenfrüchte Zuckerrüben, etwas Heu und Stroh, viel Rindvieh und Schweine, wenig Schafe und Wolle, Eier und Brot. Milch geht täglich eine Fuhre nach der Molkerei Liebenau, eine nach der Molkerei Borgentreich. Die Milch vom Gutshof geht nach Kassel. Von den Molkereien kommt die Magermilch nach erfolgter Entfettung an demselben Morgen zurück. Der Preis richtet sich nach dem Fettgehalt. Liebenau zahlte auf einer Stelle im Jahresdurchschnitt 7,25 Pfg pro Liter unter Rückgabe von 75 % Magermilch. Borgentreich dagegen zahlte in einem Jahresdurchschnitt 7,16 Pfg Pro Liter Vollmilch und gibt statutenmäßig 95 % Magermilch zurück. Ein geringer Unterschied besteht auch noch in der Preisstellung für empfangene Butter. Die Molkereigenossen erhalten einige Dividende. Vom Liter ist 1/2 Pfg Fuhrlohn zu zahlen. Körbecke lieferte in einem Jahr nach der Molkerei Liebenau 253.921 Liter welches einer Tagesleistung von 695 Liter entspricht. Das Liter nach Abzug des Fuhrlohns 6,75 Pfg gerechnet, ergibt einen Jahreswert von 17.14o Mark. Der Wert der Magermilch läuft nebenher, die notwendige Butter und Käse dagegen, welche man von der Molkerei zurückbezieht, muß abgerechnet werden.

Einfuhrartikel, land- und forstwirtschaftliche: Junge Schweine, Kunstdünger, Futterartikel ( Kleie, Oelkuchen, Mais ) Klee- und Leinsamen Brenn- , Geschirr- und Bauholz.

Grundstückpreise: Letztzeitig kamen selten Grundstücke zum Angebot oder in Aussicht. Das steigerte den Preis des Wenigen, das zum Angebot kam, sehr. Der Morgen besseren Ackers wurde je nach Lage, Entfernung und Güte mit 750 bis 1200 Mark bezahlt. Der Morgen wässerbare Alsterwiese trieb sich bis 1600 Mark.

Früher waren die Angebote häufiger, daneben schon wieder Künftiges in Aussicht, daher die Preise niedriger.

Pachtpreise für mittleres und gutes Land: 24 - 36 bis 4o Mark und mehr pro Morgen.

Sonstige Preise: Weizen 16,50 - Roggen 13,80 - Hafer 12,75 Mark für 100 Kilo. Weizenstroh 1,20 pro Zentner in der Kuhlemühle ( Papierfabrik in Warburg ).

Molkereibutter für Milchlieferanten 1 - 1,1o Mark pro Pfund. Margarine ist auch im Gebrauch.

1 Liter Bier kostet 25 Pfennig in Flaschen ins Haus geliefert. Branntwein im Faß 44 Pfg pro Liter. Kaffee im mittel hiesigen Gebrauchs 1,20, Zucker 23 - 24 Pfg pro Pfund. Eier kosten 4 - 7 1/2 Pfg pro Stück je nach Jahreszeit.

Eisen und Kleineisen im mittel etwa 10 Pfg, Achsen etwa 17 Pfg pro Pfund.

Ein gutes Ackerpferd kostet 800 bis 1000 Mark und mehr; eine gute, frischmelke Kuh mit Kalb 400 bis 500 Mark; fette Schweine 40 Pfg, Kälber 36 - 38 Pfg, gute Zuchtkälber 45 Pfg, fettes Rindvieh 32 Pfg, alles pro Pfund Lebensgewicht. Ferkel von 6 Wochen kosten pro Stück 8 - 13 Mark. Der Preis ist sehr beweglich.

Bei der Beweglichkeit der Preise für manche Gegenstände lassen sich unanfechtbare Zahlen kaum aufstellen. Die Fruchtpreise waren seit Jahren anhaltend auf einem Tiefstand wegen fremder Einfuhren.

Brennmaterialienpreise: Holz 5 1/2 bis 7 Mark pro Meter. - Steinkohle 1 Mark pro Zentner, Braunkohle 50 Pfg pro Hektoliter auf Zeche Herkules bei Wihelmshöhe-Kassel.

Vor wenigen Jahren noch waren die Brennmaterialpreise niedriger. Die meisten Öfen sind auf Steinkohle eingerichtet. Braunkohlen brennen allenthalben gut, sind aber erst seit wenig Jahren in einzelnen Häusern eingeführt.

Viehhaltung auf einer Bewirtschaftung von etwas über 80 Morgen: 3 Arbeitspferde, Fohlen nach Umständen, 14 bis 17 Stck Rindvieh, 8 bis 24 Schweine je nach Jahreszeit, 6 bis 10 Gänse, 50 bis 60 Hühner, sonst nichts.

Staatssteuern: Besitz kaum 80 Morgen: Einkommensteuer 31 Mark, Ergänzungssteuer 21 M = Se 52 Mark, oder auf den Morgen Besitz 68,5 Pfg.

Gemeindesteuern: Auf den Morgen Grundbesitz 122,5 Pfg. Die Gemeindesteuern stehen augenblicklich auf einer nie gewesenen Höhe wegen der Gemeindeschulden vom Schul- und Kirchenbau. Voraussichtlich werden sie aber nach Tilgung älterer Schulden in einigen Jahren ermäßigt werden können.

Kosten der Arbeiterversicherung, als Alters-, Invaliden- und Unfallversicherung: Gegenwärtig auf den Morgen Grundbesitz 52 Pfg. Die Unfallversicherung ist eine doppelte, einmal als gesetzlicher Beitrag zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, dann noch als freiwillige Haftpfichtversicherung. Ersterer Beitrag hat eine steigende Tendenz. Bei der Alters- und Invaliditätsversicherung ist, die dem Arbeitgeber gesetzlich zufallende Hälfte der Beiträge, berechnet.

Früher mußten anstelle der ehemaligen gutsherrlichen Gefälle als Heuern, Zehnten, Dienstleistungen, welche durch Vermittlung des Staates abgelöst waren, an die Staatskasse Renten gezahlt werden, die im letzten Dezenium des abgelaufenden Jahrhunderts getilgt waren. Bei Unterzeichneten betrugen sie etwas über 1 Mark pro Morgen. Außerdem betrug die an den Staat zu entrichtende Grund- und Gebäudesteuer bei dem Unterzeichneten pro Morgen 70 Pfennig. Auf diese hat der Staat jetzt zu Gunsten der Gemeinden verzichtet. Alles zusammengenommen sind die Abgaben jetzt niedriger, wie vordem. Dagegen schwellen die Arbeiterversicherungen in bedenklicher Weise an. Die Arbeiterversicherungen sind im Jahre 1891 für ganz Deutschland gesetzlich eingeführt. Sie sichern dem Arbeiter eine Alters- und gegebenenfalls eine Invalidenrente. Die Beiträge sind hier gegenwärtig für männliche und weiblich gewöhnliche Arbeiter und Dienstboten gleichmäßig auf 20 Pfennig für jede Woche festgesetzt: Hiervon soll nach den gesetzlichen Bestimmungen die Hälfte vom Arbeitgeber, die andere Hälfte von der versicherten Person getragen werden. Die versicherten Personen erstreben die Abwälzung der vollen Beiträge auf den Arbeitgeber.

Ferner bestehen Unfallversicherungen mit Beitragspflicht für den Arbeitgeber. Sie sichern eine Entschädigung bei Unfällen, die im Arbeitsbetriebe oder im Zusammenhang mit ihm entstehen. Nun wälzen aber die Versicherungsverwaltungen die Entschädigungen auf die Arbeitgeber ab in den Fällen, daß diesen ein Verschulden an dem Unfall nachgewiesen werden kann, z. B. durch nicht Einhaltung einer der vielen polizeilichen Schutz- und Unfallverhütungsvorschriften. Zudem ist die Haftung nach der neueren Gesetzgebung über die Maßen dehnbar geworden. Deshalb bestehen noch besondere Haftpflichtversicherungen, wodurch die Versicherten für alle Fälle gedeckt werden. Es wird noch geplant, für Zeiten etwaiger Arbeitslosigkeit eine Unterstützung - ferner den Hinterbliebenen von Arbeitern eine Rente zu verschaffen.

Von all diesen Versicherungen, Renten und Entschädigungen kannte man früher nichts. Daß bei kleinen Unfällen auf die Erlangung einer Invalidenrente hingedrängt wird, ist leicht verständlich. Sicher ist, daß kleinere Bauersleute und Handwerker, die für ihre Bediensteten Marken haben kleben müssen, in großer Zahl im Alter über weniger Barmittel verfügen, als die pensionsbeziehenden Arbeiter.

Lohn eines Großknechts im Jahre 1904: bar 300 Mark, 1/2 Morgen Kartoffelland, 1 Paar Schuhe, 2 Holzfuhren, einiges Land ausstellen. Letzteres muß auch in Nachbargemarkungen geschehen, wenn der Knecht von dort kommt. Wo Zugaben wegfallen, wurden 400 Mark gefordert und 370 Mark geboten.

Aus einem Schreibkalender des Jahres 1775:

" Auf Michaeli hat mein Mann einen großen Knecht gemietet für 10 Taler 2 Paar Schuhe, 2 Hemden. - Von Michaeli bis Petri hat mein Mann einen Kleinknecht gemietet für 3 Taler. " Eine Abrechnung daselbst mit einem anderen Großknecht zeigt einen Jahrlohn von 12 Taler. Einiges Landpflügen wird daran in Abrechnung gestellt.

In unserer Knaben- und Jünglingszeit standen die Großknechtslöhne auf 24 bis 26 Taler. Damals verharrten die Löhne auf dem gleichen Standpunkte.

Erbaulich waren die ehemaligen Verhältnisse nicht.

Lohn einer Magd: 150 bis 160 Mark, 1/4 Morgen Kartoffelland, 2 Holzfuhren, einiges Land ausstellen ( bis 4 Morgen samt Dünger- und Erntefuhren ). Ist das Mädchen erst 15 Jahre alt, kennt wenig Arbeit, ist dazu nicht gutwillig, so bildet das an der Landbestellung kein Hindernis.

Die Lohnkartoffeln mußten mit dem Pfluge behackt, behäufelt, auf Wunsch auch ausgepflügt werden .

Tagelöhner erhalten für Mähen, Hilfe in der Ernte oder beim Dampfdreschen meist Gegenleistungen in Fuhren oder Landbestellung; sonst 1,50 M und mehr pro Tag und Kost. Frauenpersonen, die selten Aushilfe leisten, erhalten 80 Pfg und 1 Mark. Die Löhne sind seit langem in immerwährendem Steigen - beim Gesinde in sprunghafter Weise. Einer Magd wurden, wenn sie auf die Zutaten verzichtete , 219 Mark offeriert ( 73 Taler ).

Arbeitskräfte mangeln in nie gekanntem Maße in ganz Deutschland. Das ist eine Folge gewaltiger Ausdehnung der Industrie, deren Arbeiterbedürfnis unersättlich ist. Deshalb werden Gesinde und Arbeiter bei ihrer Anwerbung zusehends anspruchsvoller, wogegen die frühere Leistungsfähigkeit und Gutwilligkeit in gleicher Weise verschrumpfen und verflachen.

Auch im Verkehrswesen, Eisenbahn und Post, wird ein Heer von Unterbeamten und Angestellten beschäftigt gegen besseren Lohn bei geringerer körperlicher Anstrengung. Den schwereren Beschäftigungen geht man deshalb möglichst aus dem Wege. Zu jenen Ständen, denen nur leichte oder gar keine körperliche Arbeitsanstrengungen zufallen, besteht ein überflüssiger Zudrang.

Viele der schwersten Arbeiten werden gegenwärtig mit Dampf- oder Pferdekraft bewirkt, z. B. Dreschen, Hächselschneiden, Säen, Mähen, Holzsägen, Kartoffeln- und Rübenhacken, häufeln, ausheben. Die Schleppharke wird nicht mehr durch die Getreidestoppel gezogen, das bewirkt die Pferdeharke. Das viele und schwere Verbrauchswasser für Menschen und Vieh wird nicht mehr aus der Brunnentiefe aufgewunden und langwegs auf den Schultern heimgetragen, sondern mit Pumpen gehoben und durch Röhren an den Verbrauchsort geleitet, teilweise direkt in die Viehkrippen.

Die Lebenshaltung ist bedeutend besser - der Verdienst aller Arbeiter beträchtlich höher geworden.

Mit dem höheren Verdienst sind Aufwand und Genußsucht in starke Zunahme getreten. Nach Abstreifung der früheren Sitten befinden sich die Ansprüche in steter Zunahme und Steigerung. Die Zügel, womit der angeborenen Neigung zu Genußsucht und Luxus die unerläßliche Hemmung vermittelt werden muß, sind entfallen. In den Industriegegenden und großen Städten werden Genußsucht und Luxus durch Wort und Beispiel gelehrt. Eine zahlreiche Partei predigt die Unzufriedenheit und gibt Zufriedenheit mit dem Bestehenden geradezu für ein Verbrechen aus. Durch Wechselbeziehumgen mit Personen, die in der Industrie und in größeren Städten wohnen und arbeiten, werden Luxus, Genußsucht und Unzufriedenheit auch auf dem Lande genährt. Deshalb wird der Mangel an gutem Willen immer ausgeprägter und augenfälliger.

Nach dem Übertragen der schwersten Arbeiten auf die Maschinen werden die verbliebenen Arbeiten wieder als riesenschwer hingestellt und beklagt.

Die Verkürzung der Arbeitszeit und Minderung der Leistungen kommen der Moral nicht zugute. Vielmehr fällt der Ungebundenheit und Ausgelassenheit mehr Zeit zu.

Nachdem das Gesinde, auch das weibliche, aufgehört hat, abends oder nachts für die Herrschaft zu arbeiten, wird auf möglichst frühen Eintritt des Feierabends gedrängt. Nach dem Abendessen erfolgt ein gründlicher Aufputz und dann gehts hinaus, um Zusammenkünfte in einzelnen Häusern und auf den Straßen, oder Spaziergänge zu pflegen. Die Rückkehr erfolgt erst spät, häufig zu spät. Das ist ein nicht genug zu beklagender Übelstand schwerster Art. Gegenseitige Verhetzung zu Unbotsamkeit, Trotz und größere Übel sind die schlimmen Folgen.

Das Dampfdreschen bringt eine beträchtliche Vermehrung moralischer Nachteile. Es wird soviel Branntwein dabei getrunken wie früher bei keiner Gelegenheit. Die Arbeit dauert gewöhnlich bis über das Abenddunkel hinaus, wo das Schnapsen seinen Höhepunkt erreicht. Eine Anzahl junger Leute beiderlei Geschlechts hat die Beschäftigung zusammengeführt. Nach beendeter Arbeit findet das Zusammensein in und außer dem Hause, auf dem Heimweg seine Fortsetzung in einem von Branntwein aufgeregten Zustand.

Eine hochgradige Kälte ist mehrere Jahre nicht mehr aufgetreten. Die früheren Kalender enthielten die wiederholte Mahnung, bei winterlichem Frost dem Dreschen fleißig obzuliegen, weil das Korn infolge des Frostes leichter ausfällt. Diese Mahnung wurde auch reichlich befolgt. Bei Frost mußte Weizen gedroschen werden. Das bedingte ein frühes Zubettgehen - stundenlanges Herumtreiben außer dem herrschaftlichen Hause war völlig unbekannt. Jetzt wird des Nachts, abgesehen von wenig einzelnen Häusern, nichts mehr geschafft. Mägde haben erzählt, während einer Frostperiode von 15 Grad Kälte seien ihnen von ihren Hausfrauen extra Bettstücke oder Decken verabfolgt mit der Weisung, sich vor dem Zudecken damit zu umwickeln. Das ist eine neue Fürsorge. Früher mußten sie fleißig dreschen, jetzt gehen sie stundenlang flanieren, dann erhalten sie eine vorsorgliche Sonderumwicklung im Bett, obwohl schlechte Betten oder ungenügend geschlossene Schlafkammern nicht anzunehmen sind. Setzt man etwa ein Erloschensein der natürlichen Jugendwärme voraus?

Auf gleicher Stufe steht es, wenn manche jetzt ihre Arbeiter bei halbwegs entfernten Grundstücken mit Extrawagen morgens aufs Feld fahren und abends wieder hereinholen. Die Jungen, die sich bei der Arbeit keineswegs zu übernehmen pflegen, sind dann abends und nachts auf den Straßen desto breitspuriger.

Für diese neuerlichen besonderen Fürsorgen ist kein anderer Grund erkennbar, als im eigenen Interesse bei den Arbeitern " lieb Kind " zu machen. Nimmt die Zahl solcher Fürsorgenden zu, so erwächst den Widerstrebenden ein immer stärkerer Zwang zur Nachfolge. So ist auch durch freundliche Duldung Einzelner der große, äußerst beklagenswerte Übelstand des allabendlichen Auslaufens nach und nach allgemein geworden. Zum Verlassen der fütterungsbedürftigen Pferde hätte früher nichts die Knechte vermocht. Gegenwärtig kümmert sich kein Knecht abends um die Pferde, sondern geht zweifelhaften Vergnügungen nach. Auch an Sonn- und Feiertagen kümmert sich kein Knecht am späten Tage weiter um die Pferde, als daß er vor und nach der Mahlzeit je ein Futter gibt.

Will die Herrschaft einen auswärtigen Besuch machen und empfiehlt dem Knecht an einem der 70 Sonn- und Feiertagen die Wartung der Pferde, so ist als Regel anzunehmen, daß der Knecht dem nicht nachkommt. Zur Rede wird er deshalb selten gestellt, weils vielleicht zu trotziger Auflehnung führen würde. Es empfiehlt sich daher, der Magd oder dem Kuhjungen, welche die Kühe füttern, auch die Pferdewartung noch aufzuladen.

Kommt das Mädchen am Sommersonntag vom benachbarten Schützenfest abends nicht heim, so muß die Hausfrau sich zum Füttern und Melken allein bequemen. Außer dem Gutshof mögen diese Verhältnisse allgemein eingebürgert sein.
Chronik Teil 2

Gemeindeschulden existieren von der Bruchmelioration ( Bodenverbesserung ) und den Schulbauten noch in Höhe von 43.000 Mark. Sie tilgen sich in den Jahren 1906 bis 1911.

Der Gemeindeetat schloß in einem normalen Jahr vor dem Kirchenbau ab in Einnahme mit rd. 24.630 M und in Ausgabe mit 21.600 M.

Die Einnahmen setzten sich wie folgt zusammen:

Aus Steuern mit 3.027 Mark
aus Grundvermögen mit 11.552 "
aus Zinsen mit 240 "
aus Insgemein mit 5.915 "
Summe 20.734 Mark

Hierzu sind wahrscheinlich ca. 4000 M Bestand aus dem Vorjahre vorgetragen.

Gemeindeetat aus dem Jahr 1903, also nach dem Kirchenbau:

Einnahme: 27.430 M - Ausgabe: 25.290 M.

Die Einnahme aus dem Grundvermögen bezifferte sich auf 13.096 M.

Die Einnahme aus den Steuern bezifferte sich auf 6.251 M.

Für Verzinsung und Amortisation sind 8905 M in Ausgabe gestellt. Die Verzinsung und Amortisation der Schulden von der Bruchmelioration und den Schulbauten beträgt 3580 Mark.

Zu dem Kirchenbau ist eine Anleihe von 106.000 Mark aufgenommen. Die Rechnung des Unternehmers enthält noch eine Forderung von 4000 M, die wegen eines noch nicht erbrachten Nachweises noch nicht beglichen sind. Wenn jene Restsumme in der Verzinsungs- und Amortisationsausgabe ad. 5325 M auf 106.000 M berechnet wird, so ergeben sich 5 %. Dem würde eine Tilgungsdauer von 41 Jahren entsprechen.

Gewicht der Fuhren zum Kirchenbau. Bei trockenen Wegen wurden für 2 Arbeitspferde 2 Kubikmeter Kalkbruchsteine, 50 und mehr Zentner Sand, Kalk, Zementsteine, alles von Liebenau gefahren. Für 3 und 4 Pferde entsprechend mehr.

Gardemänner hat Körbecke immer in überreichem Prozentsatz gestellt. Ich zähle mehr denn 40 mir bekannte Eingeborene, die bei einem preussischen Garderegiment gestanden haben, davon 5 beim Ersten Garderegiment z. F. - 2 beim Regiment Garde du Corps. Namen kehren wieder: Bremer 8mal, Jürgens 7mal, Witkop 4mal, Gründer 3mal. Die Zahl derer, die mit einem reichlichen Gardegrößenmaß bei Linienregimentern standen oder dienstfrei blieben, ist noch größer.

Wenngleich auch die Kleinen nicht fehlen, so ist doch eine Reckenhaftigkeit unverkennbar, welche von der Umgegend - auch in der prozentualen Gestellung von Gardemännern - nicht leicht erreicht werden wird. Unsere Nachbarstadt Borgentreich mag hinsichtlich gestellter Gardemänner zu Körbecke etwa im Verhältnis 1 zu 15 stehen. Einmal konnten hier 4 Gardesoldaten zugleich auf Urlaub kommen und ein fünfter blieb noch zurück.

Gewitter und Blitzschläge. Am 14. August 1856, abends, verursachte ein Hagelschlag die größte materielle Einzelschädigung des abgelaufenen Jahrhunderts für Körbecke und viele andere Gemeinden. Das schreckliche Unwetter erfüllte die Gemüter mit Entsetzen. Sämtliche Hasen und viele Vögel waren erschlagen, auch einige Schafe. Starke Bohnen waren derart in Grund und Boden geschlagen, daß nur einzelne Stengelreste an der Oberfläche sichtbar blieben und Nichtwissende das Land für unbestellten Acker hätten halten können. Das schlechte Brot aus dem beschädigten Roggen blieb jahrelang in klagender Erinnerung. Es war nämlich eine Späternte und dem Hagelschlag folgte eine wochenlange Regenzeit.

Hiernach wendete man sich nach und nach der bisher unbekannten Hagelversicherung zu.

Die Schädigung besagten Gewitters hatte schon im Sauerland begonnen, eine überaus schreckliche Zerstörungsgewalt aber entfaltete es auf der Linie Ossendorf-Körbecke. Seitdem sind noch manche Hagelwetter aufgetreten, keines aber mit solch elementarer Vernichtumgsgewalt. Durch Versicherungen verlieren die Schadengewitter an dem früheren Schrecken.

1879, am 24. Mai brachte ein schweres Gewitter das stärkste uns bekannte Hochwasser und schädigte abhängende Felder stark durch Bodenwegführung. Auf vielen Stellen lag die nackte Felsunterlage bloß. Das Wasser drang in viele Häuser, das Bachtal glich einem See.

Der hiesige Ackersmann Joseph Menne vg. Happen, wurde samt seinen beiden Pferden auf dem Lammert hinter Bühne vom Blitz erschlagen, als er sich mit seiner Holzfuhre auf dem Heimweg befand. Der Verunglückte war etwa 34 Jahre alt, Familienvater und einziger Sohn seiner hochbetagten Eltern.

Von einem durch Blitz verursachten Brand haben unsere Eltern uns nichts erzählt. Es schien ihnen weder aus Erfahrung noch Tradition davon etwas bekannt zu sein. In neuer Zeit jedoch zündete der Blitz hier:

1886, am 3. Juni - Christi Himmelfahrt - in der Morgenfrühe ein 16-jähriges Wohnhaus, unter dessen Dach leicht brennbares Material nicht gelagert wurde. Der Brand konnte daher gemächlich mit einem Eimer Wasser gelöscht werden.

1890, am 13. Mai, nachmittags, ein Wohnhaus, von welchem das Dachwerk abbrannte. Das große Bauernhaus gehörte einer Witwe und war 26 Jahre alt.

1895, am 10. Juni, nachmittags, ein ebenfalls einer Witwe gehören- des Bauernhaus, welches total niederbrannte. Ein Teil des Hauses war neu, der andere noch nicht alt und besonders solid.

1895, am 26. Juli, abends ein Bauernhaus, welches nebst Schule und 5 anderen Wohnhäusern total niederbrannte. Das blitzgetroffene Haus war 3 Jahre alt.

1897, am 5. Juni, am Nachmittage vor dem Pfingstfeste, ein Viehhaus, das bis auf die massiven Umfassungsmauern völlig niederbrannte. Das Gebäude war 27 Jahre alt.

Alle betroffenen Gebäude waren größere Häuser von Landwirten und keines konnte auch nicht halbwegs zu den alten Gebäuden gezählt werden.

Wenngleich in unserer westfälischen Nachbarschaft der Blitz in neuerer Zeit auch rundum zündete, so blieb das an jeder Stelle vorerst doch mehr vereinzelt. Für den Grund der Häufigkeit in Körbecke im obigen Zeitraum fehlt jede halbwegs stichhaltige Erklärung.

Hiernach hat man vereinzelt begonnen, sich durch Aufstellen von Blitzableitern zu schützen.

Den zündenden Blitzschlag begleitet ein heftiger Knall, und die betroffenen Gebäude, die Brennstoff unter dem Dach bergen, flammten nach dem Schlag sofort auf. Die Gemeinde besitzt 3 Feuerspritzen - etwas viel für ein Dorf.

1887, am 26. Januar trug der unverehelichte Ignaz Dierkes spätnachmittags 2 Ferkel in einem Sack von Ostheim gen Körbecke. Nach 5 Uhr gegen Abend war er gesehen worden, daß er oben den sogenannten Ostheimerweg erreichte. Unten in diesem Weg muß er aus einem Grunde rechts abgeirrt sein. Nachdem der Abend ihn erreicht hatte, blieb er auf Kneppers Plane - in der Mulde von Kneppers früherer Meerwiese - liegen und erfror, etwa 100 Schritte von der Chaussee Körbecke - Lamerden entfernt. Es war ruhiges, schneefreies Wetter bei etwa 2 - 3 Grad Kälte. Der Verunglückte war ein harmloser, nüchterner Mann von 47 Jahren und hatte die Feldzüge von 1864 - 1866 und 1870/71 mitgemacht. Er war schwächlich, welches der Lebenshaltung entsprechen mußte.

Etwa 40 Jahre früher blieb ein Einwohner von Ostheim auf dem Gang von Borgentreich am 1. Februar bei ziemlicher Schneelage und gelindem Frost kaum 5 Minuten von Körbecke entfernt liegen und erfror. Sein Rufen am Spätabend war mehrfach vernommen, aber nicht als Notruf erkannt worden.

Westfalens berühmtester Oberpräsident, Freiherr von Vincke, der im Volksmund fortlebte als der "alte Vincke" war auf seinen Informationsreisen nach 1840 einmal in Körbecke. Von Bühne kommend ging er unter Vorantritt der älteren Schulkinder an der Seite des Gutsbesitzers Derenthal nach dessen Wohnung, wo ihm von der Schützenkompanie der militärische Ehrensalut gebracht wurde. Sein Oberkleid war der damals auf dem Lande gebräuchliche Kittel von Bielefelder Leinen, etwas verschossen. Als Kopfbedeckung diente die ehemalige steife und breitdeckelige preussische Landwehrmütze. Unsere Kinderaugen gaben ihm unbedenklich das Prädikat " alt ". Der Nichtinformierte würde in ihm keinen hohen Herrn oder gar Oberpräsidenten vermutet haben.

Der Bischof von Paderborn, Dr. Konrad Martin, war am 30. April 1867 auf einer Firm- und Visitationsreise in Körbecke.

Ehemaliges Pfarrhaus war das Haus Nr. 116, nahe der Kirche. Auf Betreiben des Pfarrers Finkelnburg wurde es im Jahre 1829 gegen das jetzige Pfarrhaus umgetauscht. Das gegenwärtige Pfarrhaus hieß ehemals "Actuarius-Haus". Der letzte in ihm wohnende Actuar hieß Stubbe. Er übte Gerichtsbarkeit und besaß urkundlich eine halbe Schaftrift, hatte demnach auch Landwirtschaftsbetrieb. Ein Sohn von ihm, Gerichtsrat Stubbe in Paderborn, geboren zu Körbecke im Jahre 1774, gab in einem Schafhudeprozeß nach 1840 gerichtliches Zeugnis über seine Erinnerungen aus der Knabenzeit oder wenn er als Gynmasiast und Student seine Ferien im Elternhaus verbrachte.

Aus einem Notizbuch des Jahres 1818:

Der kleinen Tochter gemacht ein Kleid = 8; dem Manne eine Hose = 3; Johannes ein Linnen Stoffel = 6; der Frau ein gedrücktes Kleid = 6; der Frauen ein Wandrump = 3; Johannes ein Paar Kamaschen = 5; Theresen ein Rump und Rock = 6; Justine ein Rump = 2; Bärenhardus ein Linnen Stoffel, auch eine Linnen Hose - eine andere Hose geflicket - zuhaube = 2; der Frauen am Brustwammese geflicket = 2. ( Die Ziffern bedeuten wahrscheinlich Mariengroschen, deren 12 unseren gegenwärtigen Mark entsprechen). - Nachdem unser Meister seinen Kundenkreis, Männlein und Weiblein, mit Stöffels, Rümpen, Brustwämmesen pp. genügend versorgt wußte, ergriff er zu gegebener Zeit die Sense und nach seinen Aufzeichnungen ist es Gras, Grummet, Roggen und Weizen, Elsbeseth und Saat, welches der allseits Tapfere mit kräftigen Sensenhieben schonungslos niedermähte.

Fundstücke: 1. In den 1860er Jahren fand ein Grundstückseigentümer auf dem vorderen Goder, zunächst westlich dem Separationswege Nr. 59 einen goldenen Armring, in welchem ein Siegelring hing. Ein unternehmender hiesiger Handelsmann bot ihm dafür 10 Silbergroschen. - Kenner haben den Ring altrömischen Ursprungs zugesprochen. Schreiber ds. berechnete seinen Wert unter Voraussetzung des Goldbestandes im Vergleich mit Goldmünzen auf 134 Taler. Durch Vermittlung des Gutsbesitzers Versen, hier, und weiter des Professors Giefers in Paderborn ging der Fund in den Besitz des Altertumsmuseums zu Berlin. Der Goldwert wurde auf 136 Taler - der Altertumswert auf 100 Taler - geschätzt und dem vermögensschwachen Finder ausgezahlt - gleich 708 Mark.

2. Im Jahre 1880 fand Schreiber ds. auf seinem Grundstück auf dem vorderen Goder, östlich neben dem Separationsweg Nr. 59 - also unweit der Fundstelle Nr. 1 - eine Steinwaffe ( Steinaxt oder Steinhammer), 2 1/2 Pfund schwer. Auf einer Versammlung des Westfälischen Altertumsvereins in Warburg hatte ich ihn ausgestellt. Sein Alter wurde geschätzt in die Übergangsperiode der älteren in neueren Steinzeit. Damit kommen wir in graueste Vorzeit, die sich nicht ziffermäßig bestimmen läßt. Auch waren an der Vervollkommnung von Geräten nicht allein Zeitentfernungen, sondern auch räumliche Entfernungen und Kulturschritte beteiligt. Letztere machen sich noch heute stark bemerkbar Jahrtausende nach der Steinzeit. - Die Steinart meines Fundes wurde als Serpentin bezeichnet , der in Schlesien, Sachsen und der Rheinprovinz vorkommt.

Dem Ansinnen auf Abgabe des Steines mochte ich nicht entsprechen.

3. Beim Abbruch eines alten Backhause ist eimmal einiges Geld im Schutt gefunden, etwa 40 größere Silbermünzen, die wahrscheinlich in früheren Kriegszeiten dort versteckt und nicht wieder aufgenommen waren.

Erratische Steine, gelb, mit abgerundeten Flächen, sehr hart und schwer, befanden sich auch in hiesigen, höher gelegenen Feldern - nicht so groß und zahlreich wie in manchen Gegenden. Nach Ansicht der Naturkundigen wurden sie in ihrer norwegischen Heimat durch niedergehende Gletscher aus den Gebirgen gebrochen und dann in schwimmenden Eisbergen südwärts geführt in einer Vorzeit, als ein großer Teil des mitteleuropäischen Festlandes eine Meeresfläche war.

Eine Rieseneiche stand im Reinhardswalde zwischen Hümme und Beberbeck, die unter dem Namen "der dicke Förster" bekannt war. Am 4. April 1893 habe ich ihren Umfang gemessen. Sie hatte alle Äste verloren und besaß nur noch Stümpfe, die indes noch grünten. Aber nicht lange mehr; denn Zerstörungssüchtige hatten schon einige Male Reisig in den hohlen Stamm gelegt und angezündet. 4 Fuß über der Erde gemessen hatte der Stamm einen Umfang von 9,2o Meter, welches einen Durchmesser von 2,93 Meter entspricht. - Dieser Durchmesser entspricht der Höhe eines Zimmers. - Eine zutreffende Vorstellung gewinnt man, wenn man in einem geräumigen Zimmer oder Flur einen entsprechenden Kreis zeichnet. Zu diesem Zweck wird ein Nagel in den Fußboden geschlagen, hieran ein Stück Bindfaden befestigt, an diesem in der Länge des halben Durchmessers = 1,46 1/2 Meter ein Stück Kreide mit der Hand festgehalten und nun ein Kreis beschrieben. Der Augenschein lohnt sich.

Unser Bruch, früher eine sumpfige Weide für Kühe, Fohlen, Pferde und Gänse von 400 Morgen, nach der Separation noch ca. 345 Morgen, wurde in den Jahren 1879 bis 1882 mit einem Kostenaufwand von ca. 32.000 M entsumpft. Der Weidegang hatte inzwischen bis auf eine Gänseweide aufgehört. Seitdem brachte es als Acker und Wiese gute Erträge und der Gemeinde beträchtliche Einnahmen. Seit der Vollnutzung im Jahre 1884 bis einschließlich 1903, also in 20 Jahren brachte es 162.000 M.

Ohne diese Einnahmen hätte der Kirchenbau noch hinausgeschoben werden müssen weil ohnedem noch Gemeindeschulden vorhanden sind. Auch ein späterer Kirchenbau würde ohne diese Einnahmeverbesserung langzeitig erheblich höhere Gemeindesteuern erfordert haben, wie unter den gegenwärtigen Verhältnissen. Die Bruchmelioration hat sich als sehr vorteilhaft erwiesen, nachdem sie vorher viel bekämpft und angefeindet war, wie das fast jeder Neuerung passiert.

In letzter Zeit scheinen übrigens die Ernteerträge auf mehreren Stellen des Bruches leider zurückzugehen, welches sich auch in den nächsten Pachtgeboten bemerkbar machen wird. In den flachen Sumpfstellen mangelte es in dem nassen Anfangsjahr 1879 bei der Drainage an einer soliden Grabensohle und nun funktioniert die Drainage nicht mehr richtig.

Der Kiebitz, der in den ehemaligen Bruchsümpfen scharenweise unser alljährlicher Sommergast war, kehrte fortan in unsere, ihm unwohnlich gewordenen Gefilde nicht wieder zurück.

Der General Wilhelm Heinrich Gottlieb von Rudorf war ein Kind unserer Gemeinde. Er wurde geboren am 10. April 1741 auf dem Amthofe, wo sein Vater als nichtadeliger Beamter wohnte. Er widmete sich der Militärlaufbahn, stieg zum General auf, wurde geadelt und starb zu Berlin am 19. November 1832, fast 92 Jahre alt.

2 Söhne unserer Gemeinde hatten sich im 18. Jahrhundert dem geistlichen Beruf gewidmet und waren in den Ordensstand getreten. Beide wurden im Laufe der Zeit an die Spitze ihrer Niederlassungen gestellt. Bernhard Göken war Prior zu Kloster Granhof am Harz - Friedrich Beßen Prior zu Kloster Hamersleben in der jetzigen Provinz Sachsen.

An einem Augustsonntag des Jahres 1856 wurde der Theologieprofessor an der Universität Bonn, Dr. Konrad Martin zum Bischof von Paderborn geweiht. Um auch mal einer städtischen Feier anzuwohnen, begab sich Schreiber ds. morgens früh von Alme zu Fuß auf den Weg nach Paderborn. Mit der steigenden Sonne wurde es recht heiß. Bei der Konsekration war ich im Dom anwesend, konnte aber wegen der Menschenmenge wenig wahrnehmen. Eimmal bekam ich den Konsekrator, Kardinal Johannes von Geissel, Erzbischof von Köln und den Neugeweihten zu Gesicht. Nachdem nachmittags die allseits beflaggte Stadt besichtigt war, gings am Spätnachmittag zu Fuß wieder zurück.

Die Karten sollen in der Luftlinie eine Entfernung von 31 Kilometer zeigen. Da die Wege aber nicht der Luftlinie folgen, sondern in Anpassung an das wechselvolle Gelände hin und her, über Höhen und durch Täler führen, auch möglichst Ortschaften anlaufen, so greift man mit 35 bis 36 Kilometer vielleicht noch zu niedrig.

Lütkenbühne heißt ein Feld unserer Gemarkung, ein Grundstück desselben "Der Kirchhof". Es sind schwarzgebrannte Herdsteine, eimmal auch eine Schelle dort gefunden worden. - Mit Sicherheit konnte angenommen werden, von einem vormaligen Dorf daselbst sei der Name übrig geblieben. Nach den vielen ehemaligen kriegerischen Verwüstungen, in denen Seuchen die Bevölkerung wegrafften, mochte sich in manchen Fällen der verbliebene Bevölkerungsrest zu einem selbständigen Gemeinwesen zu schwach fühlen und daher zu einer ebenfalls geschwächten Nachbargemeinde übersiedeln. Auf diese Weise mochte eine Verschmelzung von Lütkenbühne mit Körbecke stattgefunden haben, worüber hier nichts Näheres mehr bekannt war.

Als ich im März 1904 in der "Warburger Warte" einiges aus der Vergangenheit von Körbecke veröffentlichte und Lütkenbühne erwähnte, wurde darüber folgendes geantwortet:

Die Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Westfalens enthalte in Band 44, Seite 166 nachstehendes:

Nach einer Urkunde des ehemaligen Klosters Hardehausen aus dem Jahre 1559 habe Hardehausen in Lütkenbühne eine Villa besessen. Auf Bitten des Abts Martin habe Bischof Rembert von Paderborn die verwüstete Kirche zu Lütkenbühne und die Kapelle zu Emmerke bei Borgentreich der Pfarrkirche zu Scherfede einverleibt.

In einer mir abschriftlich mitgeteilten Urkunde Nr. 365 des Warburger Stadtarchivs vom 15. Mai 1493 werden Grundstücke des nähern damit bezeichnet, daß sie "an des Kerkheren van lutthingen bune lande" liegen und die Johann Tollen, Priester to Borgentrike, pachtweise unter habe.

Hierzu wäre zu bemerken: Nach mittelalterlichem Sprachgebrauch wird im vorstehenden Fall die Benennung "Villa" als Pfarrgut gedeutet werden müssen.

Die Pfarrei Scherfede unterstand vormals ebenfalls dem Kloster Hardehausen. Die Einverleibung der verwüsteten Kirche zu Lütkenbühne in die Pfarrkirche zu Scherfede sollte offenbar bezwecken, dem Kloster Hardehausen die kirchlichen Einkünfte von Lütkenbühne zu erhalten. Unsere Väter waren auch in der Tat dem Kloster Hardehausen heuerpfichtig, wie Tradition und Urkunde besagen.

Nach der gegenwärtigen Rechtsanschauung hätten die kirchlichen Einkünfte von Lütkenbühne, die zweifelsohne von den dortigen Eingesessenen für die Verrichtung kirchlicher Funktionen gestiftet waren an die Eingesessenen zurückfallen müssen, wenn genannte Funktionen sich nicht mehr erfüllen ließen, oder sie mußten der Pfarrkirche einverleibt werden, welcher die verbliebenen Einwohner sich anschlossen.

Aus Urkunden und Aufzeichnungen, soweit sie dem Unterzeichneten zu Gesicht kamen, sei noch folgendes wiedergegeben:

Im Jahre 1698, Sonntag, den 16. März, fielen einer Feuersbrunst 5o Häuser zum Opfer.

Im Jahre 1699 sei große Teuerung gewesen, der jedenfalls eine Mißernte vorausgegangen war.

Im Jahre 1701, am 18. Juni, ist ein großer Hagelschlag gewesen der 1/4 Stunde gedauert hat.

Im selben Jahr 1701 ist auf St. Laurentius "erschrecklicher Hagelschlag gewesen, daß das Stroh auf vielen Ländern nicht mal mit der Grassense hat gemäht werden können".

Der damalige Pfarrherr wendet sich an seinen Bischof und Landesherrn "aus höchster Not mit der flehendlichen Vorstellung", es fehle ihm am Notwendigsten zum Leben. Deshalb möge der Landesherr gnädigst gestatten, daß er eine Anleihe aufnehmen dürfe, unter der Bestimmung, daß die Schuld auf seinen Nachfolger im Amt überzugehen habe für den Fall, daß ihm selbst die Rückzahlung wegen etwaigen Ablebens unmöglich werden solle. Andernfalls werde er keinen Creditor finden. Des weiteren sei es unmöglich, aus der Gemeinde die gewöhnlichen Kircheneinnahmen, geschweige denn Mittel zur Erneuerung der hagelzerstörten Kirchenfenster und zum Ersatz einer gestohlenen Monstranz herbeizuschaffen.

Die Gemeinde sei durch einen, schier niemals gehörten, entsetzlichen Hagelschlag ruiniert, habe innerhalb 5 Jahren außer dem Kirchendiebstahl 5 schwere Plagen erlitten, nämlich eine große Feuersbrunst, 3maligen Hagelschlag, eine ihr von höchstfürstlicher Kanzlei auferlegte Geldstrafe von über 800 Talern - welch letzteres die Gemüter stark errege - und sei durch einen "erbarmungswürdigen Zustand auf den höchsten Gipfel der Armseligkeiten gestiegen, weshalb man sich ihrer erbarmen möge".

Was die Gemeinde in ihrem erbarmungswürdigen Zustand und in ihrer materiellen Bedrängnis, die schon von der großen Feuersbrunst datierte, verbrochen haben mochte, daß ihr eine Strafe von solcher Höhe auferlegt wurde, dafür fehlt es an jeder Vermutung.

Konnte hochfürstliche Kanzlei ohne richterliches Zutun solche Strafen auflegen, so war das ein gangbares Mittel, einer Ebbe in höchstfürstlicher Kanzleikasse aufzuhelfen. Auf diese "flehendliche aus höchster Not angetriebene Vorstellung" wird gnädigst gestattet, daß Pfarrer und Templirer die notwendigen Gelder aufnehmen dürfen. Zugleich wird verfügt und Creditoren angewiesen, den gegenwärtigen Zustand in mitleidige Erwägung zu ziehen und bis zum Eintritt besserer Zeiten in Geduld zu stehen.

Für unsern gegenwärtigen Vorstellungskreis ist eine solche Verfügung völlig unbrauchbar. Damals mag sie vielleicht einige Wirkung gehabt haben.

Nach dem Brand im Jahre 1698 waren als greifbare Hilfe zum Wiederaufbau des mitabgebrannten Pfarrhauses 4 Stck. Eichen aus dem landesherrlichen Forst Stubbig, der zwischen Lütgeneder, Großeneder und Eissen lag, unentgeltlich angewiesen worden.

Wahrscheinlich bestanden damals weder Feuer- noch Hagelversicherungen. Welche persönlichen Anstrengungen und Entbehrungen mußten unsere Vorväter doch einsetzen, welche Herzensstärke mußten sie besitzen, um einigen Mut zu bewahren zur Aufarbeitung aus solchen "erschrecklichen Unglücksstreichen", wie sie es mit Recht nennen. - Wie langsam mochte sich ein Emporringen ohne jegliche Unterstützung nach solch tiefem Niederdruck vollziehen! -

Eine Schatzrechnungstabelle aus dem Jahre 1798 besagt, daß in 11 1/2 Schatzungen jährlich 541 Taler einkommen sollen. Das war die damalige Staatssteuer.

Der Schatzeinnehmer - einer von des Schreibers Vorfahren - erhielt vom Hundert 1 Taler 12 Mariengroschen Hebegebühren, somit jährlich 7 Taler 12 Mariengroschen. Die Ablieferung dieses Schatzes an den Ehrenschatzeinnehmer Gleseker in Paderborn ist 8mal im Jahr in Rechnung gestellt mit je 24 Mariengroschen. Von Mariengroschen gingen 36 auf einen Taler. Demnach wurde jedes Hintragen nach unserm jetzigen Gelde mit 2 Mark berechnet. Hin und Rückweg nahmen 2 volle Tage in Anspruch, also mußte jedesmal in Paderborn übernachtet werden. Für das Hintragen einer Geldsumme 10 Wegestunden damaliger schlechter Wege, für Rückweg, Übernachtung und Zehrung zusammen 2 Mark. Da mußte die Zehrung in äußerst knappen Schranken gehalten werden, wenn keine Überflügelung der zwei Mark stattfinden sollte.

Frühere Grundstückspreise und Bewertungen. Im 30-jährigen Kriege (1639) hatte der Vorsteher von Körbecke für 3 Eingesessene, die "verwüstet, veräschert, verarmt, verdorben waren", Kriegskontribution in Höhe von etwas über 29 Taler auslegen müssen. Zu 5 % waren davon etwa 1 1/2 Taler Zins zu entrichten gewesen. Nach damaligem Brauch wurden an Zinsesstatt 2 Morgen Land zur Nutznießung übergeben, die sicher nicht schlecht waren.

Im Jahre 1653 ging die hiesige Mühle mit Zubehör, als Garten, Wiese- wachs Ländereien, so in einem Zirkel und lebendiger Hecke um die Mühle herumliegen - sogenannte Mühlenbreede , zusammen 8 1/2 Morgen enthaltend - von einer Witwe Vettens auf eine Witwe Hagemann käuflich über für 425 Taler, 1 Malter Roggen und 40 Bund Stroh.

Im Jahre 1894 wurden von dieser Mühlenbreede 1 1/2 Morgen verkauft zu einem Bauplatz für 1150 Taler, gleich 3450 Mark.

Der Amthof - Wohnhaus, Scheune kleines Nebenhaus und 110 Morgen Grundstücke - wurde seinerzeit von meinem Urgroßvater freihändig für 1000 Taler gekauft und einem seiner Söhne vererbt. Der Kaufpreis war in 1o zinsfreien Jahresraten zu zahlen. Demselben Urgroßvater wurde das Gut Dinkelburg, zu welchem damals 300 Morgen, die im Borgentreicher Felde liegen ( und in den 1860er Jahren für 7o Taler pro Morgen zugekauft sind ) noch nicht gehörten, für jährlich 300 Taler in Erbpacht angeboten. Das mochte er aber nicht riskieren.

Mit einer Handvoll Silber und etwas Unternehmungsgeist hätte sich damals leichtlich ein Vermögen erwerben lassen.

Im Jahre 1725 hatte ein Einwohner Menne das Meiergut Freienhagen in Waldeck auf 6 Jahre gepachtet. Zum Antritt der Pacht bedurfte er einigen Geldes, weshalb er vom Küster Haverkamp 240 Taler entlieh.

Zu 5 % würde das 12 Taler Zins betragen. Stattdessen erhielt der Darleiher folgende Gegenstände zur Benutzung: Ein Wohnhaus mit Nebenhaus und Garten auf der Lieht samt allen vorhandenen Mobilien und Immobilien lt. lnventarverzeichnis. Ferner 7 Morgen Grundstücke und 2 außerhalb liegende Gärten. Hiervon soll Nutznießer die gewöhnlichen Abgaben entrichten.

Menne scheint in Freienhagen keine Seide gesponnen zu haben. Im Jahre 1732 wird seine hiesige Habe zwangsweise versteigert. Wohnhaus mit Stallungen und Höfen, ebenso Öfen und Brautopf sowie 7 3/4 Morgen Land ersteht Küster Haverkamp auf erb und ewig für 455 Taler.

Im Jahre 1791 werden 6 3/4 Morgen Acker und eine halbe Morgen Wiese für 108 Taler verkauft.

Im Jahre 1818 werden 12 1/2 Morgen für 620 Taler verkauft.

Im Jahre 1840 werden 2 1/2 Morgen gutes Land 5 Minuten vom Dorf für 109 Taler verkauft.

Im Jahre 1861 kosten 15 1/2 Morgen weiter entfernt Land minderer Qualität 1730 Taler.

In früheren Subhastationen sind die Grundstücke anscheinend nie zur Vereinzelung gekommen. Auch erstand sie kein Spekulant, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen oder zu vereinzeln. Vielleicht hatte das seinen Grund darin, daß die gutsherrliche Genehmigung zum Besitzwechsel notwendig und zu Vereinzelungen nicht zu erlangen war. Den Kindern lsraels war ehemals Landerwerb nicht gestattet. Für die damalige Abstinenz halten sie sich jetzt schadlos. Durch allerlei Machenschaften und Zwischenläufer wissen sie Kauflustige durch Vorspiegelung von Konkurrenz anzuspornen. Damit schlagen sie große Gewinne heraus, womit die neuen christlichen Dauererwerber belastet werden.

Die Preise sind dadurch auf ungesunde Höhe getrieben. Diese Zwischengewinne sind zu einem wahren Krebsschaden geworden, der laut nach Abhilfe ruft.

Mit Zinszahlungen für Anleihen scheint es ehedem gehapert zu haben. Es war Brauch, bei Anleihen Land zu versetzen. Gegen Versatz eines Morgen Land wurden 15 bis 18 Taler geliehen. Zur Rückzahlung und Wiedereinlösung scheint es in den meisten Fällen nicht gekommen zu sein. Meist war der Schuldner nach einigen Jahren aufs neue geldbedürftig. Dann bewog er seinen Gläubiger zu weiterer Hergabe von 5 bis 6 Talern, wobei das verpfändete Grundstück dann in den Besitz des Gläubigers überging. Oder der Gläubiger forderte sein Geld zurück in der Voraussetzung, der Schuldner würde ihm das Grundstück gegen Draufgabe von einigen Talern als Eigentum anbieten.

Es gingen viele Erwähnungen von Grundstücksbestellungen "um den Halben". Wenn es nämlich einem Grundstücksinhaber an Vieh oder Saatfrucht mangelte, so einigte er sich mit einem Bekannten zur Bestellung um die Hälfte des Ernteertrags. Der eine gab das Grundstück, der andere Bestellung und Saatfrucht - die Ernte wurde gleichmäßig verteilt.

Die mündliche Überlieferung blieb in bescheidenen Grenzen. Als älteste erscheint diejenige vom Hexenwesen. Unter Anführung von Einzelheiten wurde ein Haus namhaft gemacht (Schlachts), dessen Frau als Hexe verbrannt sei. Als letztes Opfer jenes schrecklichen Wahns sei eine angenehm gestaltete Jungfrau von 17 Jahren aus Sauerlands Hause von der Flachsarbeit weg zur Verurteilung und zum Scheiterhaufen geführt worden.

Die Verbrennungen wurden auf dem "Sekenhofe" vorgenommen. Dieser liegt südlich vor Körbecke, war vor der Separation mit einer breiten Hecke umsäumt und soll ehedem gedient haben als Begräbnisplatz für diejenigen, die an ansteckenden Seuchen gestorben waren. (Seuchen, Siechen, plattdeutsch: Seken, daher Sekenkirche und Sekenhöfe). Ihre Entstehung reicht wahrscheinlich zurück in die Zeiten, in denen die Pest verheerend durch die Länder zog.

Im übrigen reichte die Tradition in die Zeit vor dem 7jährigen Krieg nicht mehr zurück. Vom 30-jährigen Krieg berichtete sie nichts mehr.

Verschont aber blieben unsere Vorfahren sicher nicht. Man braucht nur an die Raubzüge des "tollen Christian" von Braunschweig ins Paderborner Land zu denken.

Der "Paderborner Almanach", ein kleiner Handkalender, führt bis heute noch mehrere Gedenk- und Schreckenstage aus dem 30jährigen Krieg.

Eine Urkunde besagt folgendes:

"Johann Völcker oder Heithecker zu Körbecke hat bei seiner Vorsteherschaft Anno 1639 von Johannes Mennen Kötterei, weil dieselbe verwüstet und veräschert - dann von Töde Mertens verbrannten Gute, desgleichen von des kleinen Kaubs verdorbenen und verarmten Gute im ganzen 29 Taler 12 Groschen Kontribution und Kriegszulage aus seinem eigenen Beutel zahlen müssen".

Bis eine Rückerstattung möglich wird, werden ihm 3 Grundstücke statt Zinsgenuß verpfändet.

Es war also eine Verwüstung und Veräscherung vorhergegangen, wodurch einige verarmt und verdorben waren. - Danach wurde eine Geldkontribution beigetrieben, wovon die verwüsteten und verarmten nicht ausgenommen wurden.

Vom 7jährigen Kriege war unsern Eltern von Augenzeugen und aus dem zweiten Munde vieles erzählt. Englische Kriegsvölker bezogen ein Lager vor dem Braunsholze auf Bolten Kampe, jetzt noch Bolten Grundstück unweit des Witkop'schen Gehöfts. Daselbst befand sich ein immerwährender Wassertümpel. Früher wurden dort in jedem Frühjahr Flinten- oder Karabinerkugeln - es war die Rede von Reitersmännern - in beträchtlicher Zahl gefunden. Bis in die neueste Zeit hob ich einige auf, einmal auch ein Zaumgebiß mit Schild und Krone.

Die Ankunft der Engländer steht im Kirchenbuche mit 2 Worten vermerkt und erfolgte demnach Ende August 1760.

Die "Engelsmänner" räumten im Dorfe auf. Alsbald war keine Gans und kein Huhn mehr am Leben. Eine letzte übrig gebliebene Kuh stand im Keller eines vor wenig Jahren eingegangenen Hauses in der sogenannten "hohlen Weide". Ein Schrank auf der Falltür des Kellers verbarg Keller und Kuh vor feindlichen Blicken.

Eine Chronik in dem benachbarten Lütgeneder, wo sich im 7jährigen Kriege auch Kriegsvölker im Lager befanden, berichtet nach persönlicher Aussage eines W. Benne, sein Vater habe ihm geraten, um ein Pferd zu behalten, solle er sich mit dem Pferde als Soldat anwerben lassen. Dem lag die Idee zugrunde, nach dem Wegzuge der Truppe solle er desertieren und das Pferd wieder mitbringen.

Außerdem besagt jene Chronik u. a., viele Einwohner seien wegen Mangel an Lebensmitteln ausgewandert, die Soldaten hätten die leerstehenden Häuser abgebrochen und im Lager verbrannt.

Unsere Tradition besagte, Kinder hätten häufig das Lager besucht in der Erwartung, etwas Brot zu erhalten. Das besagt, daß die Eltern alles eingebüßt hatten. Waren die Soldaten verproviantiert, so gaben sie den hungrigen Kindern auch etwas ab.

Aus verschiedenen Umständen scheint hervorzugehen, daß auch Soldaten im Quartier gelegen haben, vielleicht schon neben dem Lagerbezug oder zu einer anderen Zeit. Behsen führt in seiner Geschichte des Bistums Paderborn an, in einem der letzten Kriege habe sich ein Hauptquartier in Körbecke befunden.

Den Leuten wurde alles Eßbare unter den Händen weggenommen. Da sie auch leben wollten und demnach essen mußten, kam es bei dem Angriff und der Verteidigung geringer Lebensmittel oft zu drohenden Gegenüberstellungen. Wo die List nicht half, wurde dem barschen Auftreten der Soldateska Trotz entgegengesetzt, zuweilen mit, zuweilen ohne Erfolg, wie einige Beispiele zeigen.

Meine damalige Ahnmutter, die ein starkes und herzhaftes Weib gewesen sei, folgte einmal englischen Reitern auf den Hausboden, um sich dem Wegnehmen einigen Fouragevorrats zu widersetzen. Ein hünenhafter Reitersmann habe sie an den Armen gefaßt, einige Sekunden freihändig in die offene Bodenluke gehalten und dann wieder neben diese gestellt.

Zwischen solch ernstem Fingerzeige und seiner Ausführung mochte in damaliger Zeit kaum ein Hindernis bestehen. Meine Ahnmutter war verständig genug, von weiterer Verteidigung ihrer Vorräte Abstand zu nehmen und schweigend leiterabzusteigen.

Ihr Mann, mein derzeitiger Ahnherr, kehrte einst hungrig vom Felde heim. Es mochten keine Vorräte vorhanden sein, somit mußte auf dem Küchenherde etwas zubereitet werden. Zweimal hatte die Hausfrau dies bewirkt, jedesmal aber war es eine Beute der Kriegsleute geworden. Ergrimmt griff der Ahnherr nun zu einer Düngergabel, stellte sich damit drohend in die Küchentür und schwur demjenigen Tod und Verderben, der ihm nochmals sein bißchen Nahrung streitig machen würde. Das Kriegsvolk lungerte zwar mit verlangenden Blicken umher, einen Angriff aber wagten sie unter den ersichtlichen Umständen diesmal nicht.

Hatten sie einige Brote gebacken und versteckt, so veranlaßte der Geruch die Soldaten zur Suche, meist mit Erfolg. Einige Male gelang es, einige frische Brote unter der kurzen Treppe, die vom großen Hausflur zur erhöhten Stube führte, mit Erfolg zu verstecken.

Im Dorf sollen viele Soldaten begraben liegen. Einige Skelettfunde mit vollständigen Zahnreihen bei Fundamentaushebungen bestätigen diese Tradition. In dem Garten zu Haus Nr. 15 oder 16 sollen besonders viele beerdigt sein.

Infolge Genusses von unreifem Obst - besonders Zwetschen - sei die Ruhr und ein Sterben ausgebrochen und habe auch auf die Einwohner übergegriffen. Mangel an gewohnter Nahrung und Beschränkung in den Wohnungs- und Schlafräumen mochten die Seuche fördern. Die Sterblichkeit beginnt gleich nach dem Eintreffen der Truppen und rafft in den Monaten September 176o bis einschließlich des folgenden Märzmonats 236 Personen weg. Von 1759 bis 1761 starben 323 Personen, sicher über 1/3 der Einwohnerschaft.

Es steht verzeichnet, einmal sei wegen mangelnder Sargbretter ein Ehepaar gleichzeitig in einer Strohumhüllung zu Grabe getragen.

Sonstige schriftliche Aufzeichnungen über die damaligen Begebnisse sind uns nicht hinterlassen.

Auf der Frankenei im Amensen, nahe dem Schnakenberge stand die Frankenmühle. Zu meiner Knaben- und Jünglingszeit war der beträchtliche Vertiefungsabsatz als ehemaliger Standort der Mühle, auch der Sondergraben abwärts der Mühle noch vorhanden. Oberhalb der Vertiefung befanden sich einige heckenumsäumte Gärten. Die Vertiefung ist noch vorhanden, da es aber Ackerland ist, ebnet sie sich mehr und mehr ein.

Ein Soldat verfolgte die Müllerstochter mit unlauterm Begehren. Als er gegen die widerstrebende gewaltig wurde, ergriff das Mädchen in entschlossener Gegenwehr eine Hacke und schlug in der Aufregung seinen Bedränger damit auf den Kopf. Der Kriegsmann wankte zu Boden, und in kurzer Zeit war es um ihn geschehen.

Alsbald nach dem Bekanntwerden stürmte eine Rotte zur Mühle, um den Erschlagenen zu rächen. Sie stürzten den Müller aus seinem Bodenversteck herab zu Tode und steckten die Mühle in Brand. Sie hat sich nicht wieder aus der Asche erheben können. Das Mädchen wird im Schlußakt des Dramas nicht mehr erwähnt. Wahrscheinlich hatte es sich waldwärts geflüchtet.

Bis vor nicht langer Zeit waren hier noch "Franken" vorhanden, wahrscheinlich Nachkommen aus der ehemaligen Frankenmühle. Der letzte hiesige Sproß, "Franken Mrikethrine", starb nach einem Leben voll Arbeit und Entbehrungen als hochbetagte Witwe im Jahre 1882 in ergebungsvoller Armut. Sie war ein starkes energisches Weib gewesen, als habe sie geerbt von dem Mut und der Entschlossenheit ihrer Ahnfrau aus dem 7jährigen Krieg. Ihre Söhne waren in die westliche Industriegegend ausgewandert.

Hierher möchte noch folgendes anzubemerken sein:

In einem Kaufbrief aus dem Jahre 1653 über die gegenwärtige Mühle wird gesagt , sie werde Heibergsmühle genannt. In meiner Knabenzeit hieß sie allgemein "die Wüstemühle". Das waren Unterscheidungen von der andern, hinteren oder Frankenmühle. Jetzt, da die Unterscheidung nicht mehr notwendig ist, heißt sie schlichtweg "die Mühle".

Eine landesherrliche Verfügung verordnet den Erlaß der Heuern und Pächte für die Gemeinheit Cörbecke pro 1760 "wegen erlittener vollständiger Ausfouragierung".

Mein Ahnherr mütterlicherseits hatte bei dem unruhigen Trubel, den die wilde Kriegszeit seinem Bauermeisteramte brachte, sich dem Trinken zugeneigt. Nun ging der Hausstand rückwärts und mußten immer Anleihen aufgenommen werden. Dem damaligen Brauche gemäß wurde meist bei jeder Anleihe ein Grundstück versetzt. Schwerlich konnten diese wieder eingelöst werden, weil die ruinösen Kriegszeiten noch andere Schäden hinterließen und Geld in den damaligen Zeiten außerordentlich knapp gewesen ist.

Nun hatte des Bauermeisters Bruder, Friedrich, sich dem geistlichen Stand gewidmet und war Prior im Kloster Hamersleben in der jetzigen Provinz Sachsen. Dieser gab seinem Bruder bei einem Besuch in Hamelsleben 90 Taler "aus seinen Spielgeldern", wie es in der Urkunde heißt, zur Einlösung einer halben Hufe Land von 18 Morgen. Nach diesem guten Anfang konnten unter dem fleißigen Beistand dreier Söhne später auch die übrigen Grundstücke wieder eingelöst werden.

Die zurückgelösten Pfandbriefe habe ich noch gesehen, es war ein ganzes Päckchen.

Chronik Teil 3

In einer gerichtlichen Zeugenaussage bekundet eine hiesige Frau, sie habe in ihrer Jugend bei 3 hiesigen Schäferherren gedient, deshalb dem Schäfer das Essen aufs Feld getragen, auch morgens und abends die Schafe melken müssen. Nach ihrer Altersangabe war das von 1769 bis 79. Damals weideten hier 6 Schafherden.

Ein zweimaliges Melken setzt eine gute Weide voraus, wofür man bei 6 Schafherden nach einer Erklärung sucht.

Es möchte zutreffen, daß nach der Entvölkerung und Verarmung durch den 7jährige Krieg die verminderte Bevölkerung entfernte Grundstücke nicht bestellte und diese in erheblichem Umfang als gute Schafweide dienten.

Damit stimmt überein, daß von 1770 bis 1780 im Durchschnitt mehrerer Fälle für nur 11 Taler Darlehn ein Morgen Land versetzt wurde.

Noch ein Bild aus jener Zeitperiode.

Ein größerer Bauer war mit seinen Heuerlieferungen an das Kloster Hardehausen im Rückstand geblieben, nach seinen Angaben wegen der mißlichen Jahre 1770/71. Nun hat der Rezeptor Ulrich zu Borgentreich ihm eine Schweinsmutter und drei Häßlinge aufschreiben lassen und will diese wirklich zwangsweise verkaufen lassen. Der Pfichtige wendet sich mit einem Bittgesuch an Hardehausen. Er führt an, daß er wegen der mißlichen Zeiten bei mehreren Heuerherren im Rückstand gewesen sei und nun habe nachliefern müssen. Dadurch sei sein Kornboden derart in Anspruch genommen, daß es ihm völlig unmöglich sei, ein mehreres zu leisten. Er bittet um Nachsicht bis zur nächsten Ernte, dann wolle er alles berichtigen. - Antwort: "Weil Suplicant die Sache zur größten Extremität hat kommen lassen, so kann dessen Gesuch kein Gehör gegeben werden."

Nun wird der Schutzjude Moyses Wulff wahrscheinlich wieder mit einigen Talern "raren Geldes" in die Bresche springen müssen. Er hat sich schon oft als Helfer in der Not erwiesen, daß er Hausfreund geworden ist und sich auf den Tisch setzen darf. Es müssen ihm als Gegenleistung nur die Verkaufsgegenstände reserviert werden. Das ist umso angängiger, als er stets einen Preis zahlt, daß er wahrhaftig keine halbe Centine daran zu verdienen weiß.

Im Felde befanden sich früher nicht wenige sogenannte Kriegerkuhlen. Als man auf dem Strambrook Gräben aushob zur Herrichtung von Tannenkämpen, kamen Reste von Waffen zum Vorschein.

Mit dem Namen "Landfert" (Landwehr) bezeichnete man einen Dammweg, der durch Aufwurf 2 großer Seitengräben geschaffen war. Teilweise hat man sie als Römerwege angesprochen, die auf den Kriegszügen der Römer zu Anfang unserer Zeitrechnung entstanden seien.

Ein Stück gut erhaltener "Landfert" diente hier als Wegestrecke zwischen den jetzigen Grundstücken des Gutes Marienburg, die zu der Borgentreicher Gemarkung gehören und schon früher Eigentum hiesiger Eingesessener waren. Nach der Separation ist diese Landwehr eingeebnet. Eine ansehnliche Strecke gut erhaltene Landfert befand sich früher zwischen den hessischen Dörfern Ostheim und Friedrichsdorf, die ebenfalls nach der Separation eingeebnet ist.

In der Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, von der mir ein Auszug vorliegt, wird über die hiesige Landwehr folgendes gesagt:

Durch Urkunde vom Jahre 1429 sei durch den Administrator des Bistums Paderborn den Städten Borgentreich und Borgholz die Anlage einer Landwehr genehmigt und deren Richtung angegeben. Was die Richtung betrifft, so solle sie bei Borgholz den Anfang nehmen, und, soweit die Körbecker Feldmark in Betracht kommt, ist die Rede von dem Land des Abtes von Hardehausen, das hinten an das Loe geht. (Ein hiesiges Feld hinter Lütkenbühne hieß früher "im großen Lohe", daneben war "das kleine Lohe", auch eine Lohwiese, dahinter der Meierloh). Von dem Lohe sollte sie niedergehen durch das Corbekesche Bruch und dann fort zwischen Dinkelburg und Rösebeck her, "wo die alte Landwehr in Vorzeiten henne gegan hefft".

Auf dieser Landwehr sollten zwei Warttürme erbaut werden, davon einer "uf den libenoweschen Weg tuschen Corbaeke und Rosebicke".

Ferner wird noch gesagt, diese steinernen Warttürme sollten 60 Fuß hoch und 20 Fuß dick - sodann mit einer Ringmauer von 4 Fuß Dicke, 20 Fuß Höhe und 30 Fuß weit - dahinter noch mit einem Graben, 16 Fuß tief und 60 Fuß weit umgeben sein.

Diese Landwehr sollte also, teilweise wenigstens, den Spuren einer vorzeitlichen Landwehr folgen. ( Altertumskunde Westfalens , Band 44).

An Berghängen und auf hochgelegenen Waldflächen, z. B. Hofgeismarer- und Reinhardswald, sind die Lagen und Formen früherer Ackergrundstücke - in der Mitte höher, an den Furchen tiefer - noch deutlich erkennbar. Manche dieser Stellen zeigen eine für den Ackerbau ungünstige Lage. Das legt den Schluß nahe, daß zu der Zeit, in der jene Grundstücke als Acker dienten, eine zahlreiche Bevölkerung vorhanden war. Vielleicht ist die Annahme zutreffend, die damalige Bevölkerungszahl sei seither nicht wieder erreicht worden, mit Ausnahme der jüngsten Zeit, in der Lebensmittelzufuhren aus fernen Ländern möglich geworden sind.

In den Kriegen zu Anfang des abgelaufenen Jahrhunderts, als Europa unter der Heerfolge Napoleons seufzte, und unter den Tritten seiner Heerzüge und deren Schlachtendonner erzitterte, mußten mehrere junge Männer von hier am Kriegszuge nach Spanien teilnehmen. Sie dienten in Regimentern des damaligen Königreichs Westfalen.

Einer von ihnen fiel einst spanischen Guerillas in die Hände. Diese führten ihn unter einen Baum und schickten sich an, ihn an einem Ast aufzuknüpfen. Als sie ihm die Schlinge über den Kopf warfen, entrang sich der Brust des erschreckten jungen Kriegers ein Notschrei in seiner plattdeutschen Muttersprache. Daran erkannten die Guerillas mit Sicherheit, daß ihr Gefangener kein verhaßter Franzose war, sondern einer von Napoleon ebenfalls gepressten Nation angehörte. Das milderte ihre Rachsucht und erweckte einiges Mitleid. Sie gaben ihren Gefangenen frei, und da der fernere Kriegslauf sein Leben schonte, sah er sein Vaterland wieder.

Im Jahre 1812 wurde die waffenfähige Jugend in großer Zahl nach Russland geführt. Keiner von den hiesigen sah sein Vaterland wieder, alle fanden in den Schlachten oder auf Russlands Eisfeldern den Tod. Ihre Namen hörte ich oft nennen, es war eine ansehnliche Schar. Zu den Befreiungskriegen wurden knabenhafte Jünglinge unter die Fahnen gerufen. Es erscheint russische Einquartierung, zum Glück nur für kurze Zeit wegen des raschen Kriegsganges.

Die Anwesenheit fremdsprachiger Kriegsvölker ist immer den Einwohnern ein Schrecken. Das bestätigen auch in unserem Falle mehrere Erzählungen. Eine sei hier wiedergegeben:

Eine mannhafte Wirtsfrau, die sich im Wochenbett befand, hatte sich aus Furcht mit ihrem 3tägigen Knäblein in den Garten geflüchtet und die Nachmittagsstunden zwischen den Vitsbohnen versteckt gehalten. Am Abend klagte sie dies ihrem unverheirateten Bruder, der sie besuchte. Dieser, ein finderischer Kopf, sprach ihr Mut zu. Andern Tags sollte sie ruhig zu Bett bleiben, er wolle zur Stelle sein und sorgen, daß kein Russe das Haus betrete. Er suchte möglichst alte Kleidungsstücke zusammen und zerriß diese noch geflissentlich, daß die Fetzen herunterhingen und das Futter sichtbar war. In diesem Indianerkostüm ging er, mit einer Lanze bewehrt, als Schildwache vor dem Hause auf und ab und maß annähernde Russen mit grimmen Blicken. Diese mußten den Verwilderten, der von hünenhafter Gestalt war, für einen halb oder ganz Wahnwitzigen halten, mit dem anzubinden nicht ratsam sei. Die Absicht gelang vollständig; am folgenden Tage mußten sie weiter marschieren.

Zu der Flucht der Wöchnerin gesellt sich der Gedanke, vielleicht habe das Gardinenbett, wie damals allgemein war, in der Wohnstube gestanden.

Aus einer Nachbargemeinde erzählte ein Mann, sein damaliger Dienstherr sei von einer Kriegsfuhre erst nach Wochen heimgekehrt, nachdem man ihn bereits für verschollen gehalten hatte. Die Russen hätten ihm die Pferde nicht zurückgeben wollen. In weiter Ferne sei es ihm endlich gelungen, nachts mit denselben zu entkommen.

Es wurden Lieferungen von Armeebedürfnissen ausgeschrieben, welche die Gemeinde Körbecke an die Militärmagazine zu Beverungen, Karlshafen, Kassel und Paderborn abführen mußte. Außer mehrmaligen Geldbeträgen stehen verzeichnet: Mehl, Roggen, Hafer, Erbsen, Rindvieh, Brot, Branntwein, Salz, Heu, Stroh, Schuhe, Stiefel, Hemden, Socken und Säcke. Nach wiederholten Lieferungen wird bemerkt, die Gemeinde sei an Naturalien völlig erschöpft und müsse die erneuten Lieferungen nun an einen Unternehmer verdingen. Dem willkürlichen Ausrauben von ehemals war hiermit entsagt.

Nach der Wiederkehr ruhiger Zeiten war der Staat am Werke, für die Kriegslieferungen Entschädigung zu leisten. Zur Abwicklung dieser Angelegenheit scheinen die Gemeindevorstände unerfahren und die Behörden nicht auf ihren Posten gewesen zu sein. Zur rechten Zeit erschien ein zuvorkommender Helfer in der Person des Bankiers Spanier aus Paderborn.

Dieser führte sich ein als Bevollmächtigter verschiedener Gemeinden zur Regelung der fraglichen Sache. Die einleitenden Schritte seien von ihm in Berlin bereits persönlich gemacht und zum Zwecke definitiver Abwicklung begebe er sich demnächst wieder dorthin. In gewinnender Gefälligkeit erbot er sich auch zur Regelung für Körbecke. Die Gemeinde solle dann gar keine Umstände damit haben. Vertrauensvoll wurden Obligation und Vollmacht gegeben und Spanier hielt Wort. Die Gemeinde bekam gar keine Umstände mehr damit, denn - Roß, Reiter und Entschädigung sah man nimmer wieder. "Dat kümmet mek so spanisch für" pflegt der Volksmund zu sagen, wenn eine Sache Mißtrauen und Mißbehagen einflößt. Es mochte ihnen auch (zu spät) spanisch vorkommen, daß Mosje Spanier sie so schmählich betrogen hatte.

Der Chronist schätzt die Summe, die der Sohn Israels auf diesem Beutezug unserm Kreis entnahm, auf 30.000 Taler. Damit war die unerfahrene, ehrlich vertrauende Landbevölkerung mal wieder gründlich hineingefallen.

In den vielen frühern Kriegen waren sie von der Willkür zügelloser Kriegsvölker unsäglich geschunden, "verwüstet, veräschert, verarmt, verdorben". Um ihr Wiederaufkommen kümmerte sich niemand. Als sie nach dem Aufkommen gerechter Ansichten entschädigt werden sollten, lassen die Behörden sie in Gaunerhände fallen, denen es an äußerer Glattheit und kirrenden Worten nicht fehlen mochte.

Unsere letzten Kriege seien hier angeschlossen. Es waren:

Im Jahre 1864 in und um Schleswig-Holstein gegen Dänemark.

Im Jahre 1866 gegen Österreich und die süddeutschen Staaten.

Von hier nahmen daran 22 Mann teil. Außerdem standen 3 Nichtkombattanten unter den Fahnen. Alle kehrten unversehrt zurück.

Im Jahre 1870 bis 1871. Alldeutschland gegen Frankreich.

Körbecke stellte:

        Aktive 33 Mann

 

        Nichtkombattanten 11 Mann = 44 Mann unter den Fahnen

 

      Gefallen sind 3 Mann.

Geborene Körbecker, die verzogen waren, sind nicht mitgerechnet.

Im abgelaufenen Jahrhundert beteiligte sich ein Mann von hier an einem Bürgerkrieg in Portugal, wo sich 2 Prätendenten um die Krone stritten. Ein Anderer diente 13 1/2 Jahre in der Holländischen Armee in Indien.

Als kaiserliche Werber mit der Werbetrommel das Land durchzogen, um junge Leute anzuwerben, hatten sie jene für gebunden erklärt, die es genehmigt hatten, daß sie ihnen ihren Militärhut aufsetzten. Dies geschah im Kruge, nachdem junge Leute sich - gewiß nicht ohne lebhaften Zuspruch der Werber - Mut angetrunken hatten. Häufig genug mag damit Mißbrauch getrieben worden sein. Hier hatte Försters Anton beim Krüger Flotho an der Lieth sich den Hut aufsetzen lassen. Nebst einem Genossen aus Muddenhagen wurde er eingestellt zu Linz an der Donau. Im letzten Dezenium nachdem die französische Revolution Königsmord verübt hatte, zogen sie aus zum Kampf gegen die französische Republik.

Bekanntlich blieb die Republik in diesem Kampf siegreich. Nach jedem Gefecht erkundigte sich der eine bei des anderen Kompaniekameraden nach dem Ergehen seines Landsmannes und suchte ihn auf. Einmal erhielt Anton die Antwort, sein Muddenhagener Genosse sei auf dem Blachfelde gefallen. Das stimmte den Anton, dem der Kriegstanz nicht mehr zusagte recht unbehaglich. Er entschloß sich, Abstand vom Kriegshandwerk zu nehmen. Als daher seine Truppe zur Nachtzeit ausrückte, blieb Anton zurück und hielt sich versteckt. Es war zu Pickelnberg in der Nähe Pfalzburgs im Elsaß. Eine Recherche konnten die Kaiserlichen dort auf französischem Gebiet nicht veranlassen. Anton befreundete sich mit seinem Quartierwirt, vertauschte die Uniform mit Zivilkleidern und blieb jahrelang. Anton war ein großer Mann und noch im Alter eine ansehnliche, sympathische Erscheinung. Daher ist es nicht verwunderlich, daß Schanda (Jeanne), des Hauses Töchterlein, Gefallen am Toni fand und ihn ehelichte.

Nach Jahren wollte Adam, Tonis Vater, die Försterstelle niederlegen. Da sein anderer Sohn Schöneberg eine Försterstelle in Bühne innehatte, lud er den Toni zur Rückkehr und Übernahme der Försterstelle ein.

Toni lud nun einige Habe auf einen Wagen, setzte die Schanda und 4 Kinder dazwischen, spannte einen Schimmel ein und nach gebührender Verabschiedung von den elsässischen Verwandten und Nachbarn zogen sie nordwärts, Tonis Heimat entgegen.

Bald gelangten sie nach Mainz und an den Rheinstrom. Es war die Zeit staatlicher Umwälzungen und Napoleon hatte Frankreich bis an den Rhein ausgedehnt und diesen zur Grenze zwischen Deutschland und Frankreich gesetzt. Vor der Rheinbrücke, die von Mainz nach Kastel führt, hielten Grenzwächter den Toni zurück und wehrten ihm den Übergang. Der Grund ist mir unbekannt geblieben. Ein mehrtägiges Parlamentieren blieb erfolglos.

Toni ließ nun Fuhrwerk in etwas veränderter Gestaltung durch einen Dritten über die Rheinbrücke führen. Vorher schon hatte Schanda mit den Kindern die Brücke passiert und zog nun mit dem Schimmel nach dem verabredeten Treffpunkt Kostheim, dem nächsten Dorf von Kastel ab. Als Toni dann bei einem erneuten Passierungsversuch angehalten, die Frage nach Frau und Kindern dahin beantwortete, diese seien weit jenseits, ließen Sie ihn auch passieren. Somit gelangte er wieder nach Körbecke und in die Försterstelle.

Die Schanda war in ihrem elsässischen Dialekt schwer verständlich. Von den mitgebrachten Kindern waren 2 Buben. Diese seien sehr schlimm gewesen, erzählten ihre Altersgenossen.

Die Entdeckungen und Erfindungen in Erkennung und Nutzbarmachung der Naturkräfte waren im letzten Menschenalter wahrhaft staunenerregend. Ihre Nutzanwendung brachte die mannigfachsten und bedeutsamsten Veränderungen in die bestehenden Verhältnisse, vielfach förmliche Umwälzungen. Und in immer rascherer Aufeinanderfolge scheint der rastlose Forschergeist neue Einblicke in die unendlichen Geheimnisse der Naturkräfte zu gewinnen, deren Nutzbarmachung damit näher gerückt wird. Damit kommen weitere Umgestaltungen in die Voraussicht. Die gewesenen Zustände und Verhältnisse scheinen in baldige Vergessenheit zu kommen. Daher möchte es für die kommenden Geschlechter nicht ohne Interesse sein, über frühere Zustände und Verhältnisse unterrichtet zu werden, um die erfolgten Wandlungen und Unterschiede ermessen zu können.

Diesen Zweck können manche der voraufgegangenen Aufzeichnungen dienen.

Zur Vervollkommnung will ich fortfahren, über Zustände und Vorkommnisse der Vergangenheit unserer engeren Umgebung einiges niederzuschreiben nach Erinnerungen über das,

Was uns die Älteren erzählten und was wir selbst beobachteten seit den Jugendtagen.

Hierin bestärkt mich ein gefeierter Schriftsteller der Gegenwart. Dieser behauptet, indem er das Leben armer Landleute im Zusammenhang mit den Verhältnissen ihrer dürftigen Dorfgemeinden beschreibt, auch das Leben und die Verhältnisse gewöhnlicher Dorfbewohner entbehrten nicht des Interessanten und seien beschreibenswert.

Zudem empfiehlt sich bei einer Häufung unzufriedener Klagen auf die schlechte Gegenwart ein Rückblick in die Vergangenheit, die von den spätern Verhältnissen in mancher Hinsicht stark absticht.

Die Häuser waren kleiner, in den Stockwerken niedriger, fast die Hälfte hatte Strohdächer, vereinzelte einen Schornstein. Auch die großen Bauernhäuser hatten nur eine Wohnstube, die ziemlich allgemein auch als Schlafgemach diente (Bucht oder Gardinenbett). Als einzelne Leute begannen, gesonderte Wohnhäuser zu bauen widersprachen die Älteren und prophezeiten schwere Nachteile daraus, wenn Mensch und Vieh nicht mehr unter demselben Dach wohnen würden.

In manchen Häusern wenig Bemittelter war die Wohnstube unbedielt, der Fußboden war aus Tonstampfung. Tapeten waren völlig unbekannt. In manchem kleinen Hause wohnten neben dem Eigentümer noch Mietsleute, häufig demnach 2 bis 3 Familien in einem Hause.

In den letzten 60 Jahren sind 18 Wohnstätten eingegangen, dagegen 36 Wohnstätten neu gegründet. Von den eingegangenen Wohnstätten waren 4 Eigentum von Tagelöhnern, während von den neu gegründeten 24 im Eigentum von Tagelöhnern oder kleinen Handwerkern sind. Bei abnehmen- der Bevölkerung hat also eine Vermehrung der Wohnstätten stattgefunden. Vornehmlich ist die ärmere Bevölkerung dadurch aus dem Mietverhältnis zu einem eigenen Heim gelangt.

Von den zugekommenen Wohnstätten entstanden 2 infolge Vergrößerung und Teilung des elterlichen Wohnhauses, 6 infolge Abzweigung resp. Teilung des elterlichen Grundvermögens.

Beim Passieren sämtlicher Türen mußten hohe Schwellen überschritten werden, weshalb man gewohnt war, die Beine aufzuheben. Somit konnte es kommen, daß Vaters Großknecht einst in dunkler Winternacht, nachdem er mit dem Zunder an der Stubenuhr nach der Zeit zum Dreschen gesehen und bei der Rückkehr die Stubentür verfehlte, in den nebenstehenden Kleiderschrank geriet. Dieser mochte wenig gefüllt sein.

Nachdem die Tür hinter ihm zugefallen war, befand er sich in einer Falle, aus welcher nicht zu entkommen war. Die unversehene, allseitige und unerklärliche Einschließung in stockfinstrer Mitternacht mußte verwirrend und beängstigend auf ein schlafbefangenes Gemüt wirken. Im Schwachmute rief er dann auch laut nach Hilfe und Licht, da nach dem Durchschreiten der Stube er plötzlich festgemacht sei und weder vor- noch rückwärts könne. Mit Hilfe und Licht gelang es, ihn in dem ungeahnten Verließe zu finden und unbeschädigt daraus zu befreien.

Manches große Bauernhaus, damals alles Fachwerk, enthielt im 2. Stock ein Gelaß, welches an kriegerische Zeiten erinnerte. Es hatte die Größe eines Wandfachs und besaß weder Tür noch Fenster. Nur von oben herab, von der Balkenlage konnte man hineingelangen. Bei einer etwaigen Durchsuchung der größeren Räume durch Fremde war anzunehmen, es würde ihnen nicht zu Bewußtsein kommen, daß noch ein schmaler Zwischenraum vorhanden sei.

Somit konnten bei einem feindlichen Anzuge Gegenstände und Waren in ihn hinabgelassen werden. Dann wurden die eichenen Bohlen, die ehemals den Bodenbelag bildeten, wieder darüber gelegt, diese mit Heu und Stroh überbanst. Damit war das Geborgene vorerst feindlichen Blicken entzogen.

Ehemals kamen die Kriegsoperationen des Winters zum Stillstand. Im Frühjahr bargen die Böden nur noch geringe Erntevorräte. Somit stand das Versteck rechtzeitig zur Verfügung.

In der Bauernküche war ein kupferner Kessel eingemauert, der zum Kochen für die Schweine diente. Er führte den Namen "Brautopf", weil früher eine Art Bier zum Selbstgebrauch in ihm hergestellt war, das den Namen "Getränk" führte. Gerste zum Mälzen hatte man, auch Hopfen wuchs dazumal an den Hecken und Zäunen der Gärten in ziemlicher Menge. Der Hopfen diente später nur noch zum Einlegen von Käse.

Über dem Küchenherd hing am Arm eines drehbaren Baumes der Kesselhaken. Sägenartige Einschnitte an einer eisernen Stange ermöglichten die höhere oder niedrigere Stellung des Hakens, je nach der Höhe des anzuhängenden Kessels oder eisernen Henkeltopfes.

Eine bauliche Einrichtung, wonach vor der Stirn der breiten Hausdiele die Küche liegt, die zugleich Wohnraum ist, wie in manchen Gegenden Westfalens gebräuchlich, habe ich hier nur in einem Haus gekannt.

Gebäudeinschriften befanden sich an jedem Hause über dem Einfahrttor, an kleineren Häusern über der Eingangstür. Meist waren sie in vorstehender, sogenannter Reliefschrift ausgeführt. Zunächst waren die Namen der Baueheleute und das Baujahr angeggeben. Daran schlossen sich Wünsche und Sprüche religiösen Sinnes. Zuweilen war die Inschrift lateinisch und offenbar von dem zeitigen Pfarrherrn verfasst. Vereinzelt lief sie über die ganze Vorderfront, einmal um das ganze Haus.

In den Städten sind die Hausinschriften früher besonders ausgedehnt und reich gewesen, wie an einzelnen alten Gebäuden noch ersichtlich ist. So sah ich u. a. in der ehemaligen Kaiserresidenz Goslar am Harz an vielen Gebäuden früherer Jahrhunderte ausgedehnte Inschriften, alle religiösen Sinnes, manche in wechselnden reichen Farben.

Küchen- und Eßgeräte waren in den bessern Bauernhäusern für sonn- und festtäglichen Gebrauch aus Zinn. Ein reicher Vorrat zinnener Geräte,als Näpfe, Schüsseln, Teller, Kaffeekannen gehörte zur Mitgift der Braut und war der Bauernfrauen Stolz. Zinngießer italienischer Herkunft kamen von Warburg, Hofgeismar, Herstelle, um neue Waren abzusetzen und gebrauchte umzugießen.

Für den Alltagsgebrauch dagegen dienten irdene Geräte. Näpfe und Teller, inwendig glasiert, enthielten auf dem Grunde eine Blume oder einen Vogel, die Teller auf dem Rande ein Sprüchlein. Milchtöpfe und Milchfetten waren aus Ton, letztere später aus besseren Steingut. Kaffeekessel waren von Kupfer, Wasserkrüge von Steingut, Eimer von Holz.

Kleine Leute trugen das Mittagessen im irdenen Henkeltopfe - Bauern in hölzernen Gefäßen zu Felde. Eßlöffel aus Holz waren teils rund, andere flach. Im Hause wurde mittags mit dem flachen hölzernen Rundlöffel vom Teller gegessen, des abends mit dem langgestielten hölzernen Rundlöffel kurzer Hand aus dem Napf - im Felde desgleichen aus dem Lepen.

Inzwischen sind zinnerne und Tongeschirre außer Gebrauch gekommen und durch Porzellan ersetzt. Von Zinn behauptet sich der Eß- und Vorlegelöffel, von Steingut der Wasserkrug und Schmalztopf, von Holz der Feldlöffel und der große Küchenlöffel. Milchtöpfe, sowie Gefäße zum Austragen des Mittagessens, ferner Kaffeekessel, Kannen und Wassereimer sind jetzt aus Eisen, inwendig emailliert - teilweise auch auswendig.

Stubenuhren waren derzeit auf dem Lande nur in einzelnen größeren Bauernhäusern anzutreffen. Taschenuhren waren unbekannt. Alljährlich erschien ein fahrender Uhrmacher und unterzog die Stubenuhren einer Revision. Nebenbei berichtete er über bemerkenswerte Vorkommnisse aus der weiteren Umgebung und dem Universum. Diese Tätigkeit nahm auf der einzelnen Stelle in der Regel 24 Stunden in Anspruch und kostete eine Mark. - Nachdem die Stubenuhren später auf uns übergingen, sind sie 40 Jahre lang ohne Anrufung eines Uhrmachers im Gange erhalten und von kleineren Gebrechen geheilt worden.

Chronik Teil 4

Als die Feldmark noch viele heckenumsäumte Wiesen hatte und diese zur Pferdeweide dienten, hatten Knechte vom Vorsommer bis Herbst allnächtlich bei den weidenden Pferden verweilen müssen. In der einfacheren Form schliefen sie unter der Hecke in einem Sack. Nachdem sie diesen etwas über den Kopf gezogen, war er ihnen Unterbett und Zudecke nach allen Seiten für alle Unbilden und Gefahren. Die Stundenzeit lernten sie nach dem Stand der Gestirne schätzen, oder hörten sie aus einem der umliegenden Dörfer am Glockenschlage oder vom Nachtwächter ins Wachthorn tuten.

Eine bessere Schlafvorrichtung war eine Strohhütte, die auf einem niedrigen Schlitten errichtet war. Diese Nachtwohnung wurde nomadenartig aus einer abgeweideten Wiese in eine andere gefahren.

Hieraus war ein Schlagwort entstanden. Konnte nämlich ein zahlungsmatter Schuldner seinen drängenden Gläubiger nicht befriedigen, so rückte er schließlich in störrischem Anflug mit dem Trumpf heraus: "Ich habe doch noch nicht auf den Schlitten gebaut". Das sollte besagen: Da ich nicht wegziehe und Dir entschlüpfen kann, so bist Du doch sicher und was willst Du mehr? Das war auch ein Trost.

Kam der Herbst so mußte sich der Knecht nachts am Dreschen beteiligen.

Daher ließ man nun die Pferde in den heckenumsäumten Wiesen nachts ohne Aufsicht, weil auch das abgeerntete Feld die Tiere zu verbotener Nahrungssuche weniger anlockte und bei einer etwaigen Abwanderung weniger Schädigung zu erwarten war. Frühmorgens indes mußten die Pferde zum Anspannen wieder zur Stelle sein. Somit mußten sie im Abenddunkel nach den Wiesen gebracht, im morgendunkel wieder heimgeholt werden, welches bei nächtlichem Dunkel vielen Einzelverkehr im Freien veranlaßte.

Weitere nächtliche Wanderungen veranlaßte der Verkehr mit den Mühlen.

In einer Mühle stand über dem Munde, der die Kleie ausspie, eingeschnitten: "Ich, Müller H.G., nehme von einem Scheffel zu mahlen den 16ten Teil". Da der Scheffel 16 Becher hielt, war das vom Scheffel ein Becher.

Hatte man nun Mahlgut oder Samen zum Ölschlagen oder Gerste zur Graupenherstellung in einer der 3 Mühlen vor Lamerden, so ging jemand, meist abends, zur Mühle, um das Mahlen zu überwachen und aufzupassen, daß der Müller beim "Bechern" sich im Aufzählen nicht irre.

Ein benachbarter hessischer Bauer hatte von seinem Vater die Belehrung empfangen, es sei wohlgetan, wenn der Ackersmann 4 Pferde ruhen ließe und seinem Mahlgut nachgehe. Kein Müller machte dazu eine unfreundliche Miene. Vielleicht waren ihm Gegenschachzüge nicht unbekannt.

Mit der Waage zu kontrollieren, scheint damals nicht bekannt gewesen zu sein, auch mochte es an entsprechenden Waagen fehlen, da der Getreideverkehr sich nach Gemäßen abwickelte. Am Spätnachmittag oder abends begab sich also die betreffende Person zur Mühle, am meisten von Herbst bis Vorsommer, wo sich die Zeit besser erübrigte.

Waren nach vollbrachtem Mahlgeschäft Mehl und Kleie im Sack eigenhändig mit wiedererkennbarem Quast oder Knoten verschlossen, so konnte der Heimweg angetreten werden. War es zur Zeit sehr finster, so wurde eintretendes Mondlicht oder die anbrechende Morgendämmerung abgewartet. Bis dahin war der Bankkasten hinter dem Ofen zur Lagerstatt eingeräumt, vielleicht fand sich auch ein Unterschlupf beim Mühlenknecht im Pferdestall.

Bei heutigem nächtlichen Gang von einem Ort zum andern hat man harten und gleichmäßigen Weg unter den Füßen, Baumreihen seitwärts, passiert keine Hecken und Gebüsch und kann auch bei großer Dunkelheit im sichern Gleichschritt marschieren. Damals waren die Wege ungleichmäßig, schlecht, wegen fehlender Steinlage dunkel, hie und da tief eingeschnitten und führten häufig an Gebüsch und Hecken vorbei. Im nächtlichen Dunkel mußten Gebüsch und Hecken nicht wenig unheimlich wirken. In ihren täuschenden Formen und Umrissen waren sie geeignet, in der aufgeregten Phantasie in Anlehnung an vernommene Erzählungen die verschiedensten Bilder und Gestalten hervorzurufen und anzunehmen.

Somit waren Erzählungen von Gespenstern, Wehrwölfen, Meister Hänschen, die vielfach gesehen waren, an der Tagesordnung. Meister Hänschen zog nachts mit glühendem Schweife von Heubaumslänge durch die Lüfte, stahl seinen Feinden Wertgegenstände bis zu ausgemachten Kartoffeln und trug das Gestohlene seinen Freunden zu, durch deren Dach man ihn deutlich fahren sah. Verschiedene Heckengegenden waren stark verrufen als besondere Stellen für unheimliche Erscheinungen. Wehrwölfe holten unter anderm Schafe aus den Hürden und Ställen und fraßen sie auf einmal auf. Gelang es, einen Stahlgegenstand z.B. ein Taschenmesser über einen Wehrwolf zu werfen, so stand nun der Mensch da, der sich in einen Wehrwolf verwandelt hatte, um einen großen Raubschmauß zu halten.

Nachdem die Figuration geändert und der nächtliche Aufenthalt im Freien beschränkt worden, sind Wehrwölfe, Gespenster, Meister Hänschen völlig außer Kurs gekommen, nachdem sie vorher die Gemüter lange und lebhaft erregt hatten.

Zu Brotfrucht war eine Mischung von 3/4 Roggen und 1/4 Gerste ziemlich allgemein in Gebrauch. Zuweilen wurden auch noch etwas Bohnen oder Erbsen in geringer Menge zugemischt. In einzelnen Häusern sollten nach allgemeiner Aussage und Bestätigung durch die Müller auch Wicken zugemischt werden.

In nassen Jahren wuchs dazumal auf den nassen Äckern viel Trespe im Roggenfelde. "Wenn ich alle dazwischen weg mache, so behalte ich nichts" hörte man zuweilen sagen. Die Trespe veranlaßte Streit bei Ablieferung von Heuerfrüchten. Der Pflichtige wollte liefern, wie es der Pflichtacker im laufenden Jahre gebracht habe -hatte vielleicht noch etwas Trespe zugesetzt. Der Rezeptor dagegen streifte sich auf den Wortlaut "Roggen" und wollte von Trespe wenig wissen.

Ein Zeit- und Gesinnungsgenosse des Rezeptors war jener hessische Pfarrer, der seinen Gläubigen einst von der Kanzel folgenden Text las:

"Das Gotteswort geb ich euch rein.
So rein soll auch mein Brotkorn sein.
Doch Trespe, Rade, Vogelwicken
Tut ihr mir als Pfarrkorn schicken.
Und bringt ihr nächstens nicht besseres Korn,
so trifft euch, Bösewichter, Gottes Zorn! Amen!"

In nassen Jahren wächst immer noch Trespe im Roggen, jedoch gegen früher in verschwindender Menge.

Zu Brotfrucht erhält guter, reiner Roggen jetzt meist eine Weizenzugabe, damit das Brot nicht getadelt werde. Auch wird längst nicht so rein aus der Kleie gemahlen, wie ehemals.

Bei ehemaligen Heuerlieferungen mochte es auch zu anderweiten Zerwürfnissen wegen Gemäßes etc. kommen. Nach einer gerichtlichen Urkunde aus dem Jahre 1778 führt ein pflichtiger Einwohner von hier folgendes aus:

Als der Obermarschall von Haxthausen zu Welda seine Heuerberechtigung langjährig an die Wittib Leif Schmuel verpfändet, habe besagte Wittib bei der jeweiligen Ablieferung 8 Groschen, einen Branntweintrunk und etwas Brot gereicht. Dieses prätendiere Pflichtiger anitzo ebenfalls bewürket zu sehen. Der herrschaftliche Rezeptor aber will sich durch das Beispiel der Judenwittib zu keinerlei Gewährung bewegen lassen.

Sensengestelle zum Getreidemähen hatten 3, im Hessischen 4 Bügel von Eschenholz. Diese wurden in aufrechter Richtung mit 4 durchgehenden Eschenstäben auseinander gehalten und in waagerechter Richtung mit je einem geflochtenen Draht enger oder weiter gerichtet (gespannt).

Sie hießen "Heck" und waren schwer.

Auch die damaligen Schleifsensen waren dicker und schwerer als die nachfolgenden Klopfsensen.

Roggen und Weizen wurden beim Mähen mit der Sichel abgenommen, Hafer und Gerste dagegen vom Mäher in Schwaden geworfen und später mit der Harke gewalkt.

Roggen und Weizen wurden nach dem Mähen in große Lagerhaufen gesetzt. Den Roggenhaufen schloß ein Knickwalk, über diesen wurde ein Doppelseil gespannt und verknüpft, welches an 2 Seiten aus dem Haufen gezogen und gedreht, mit diesem noch verbunden war.

Der Weizenhaufen wurde mit einem Hut - der Docke - aus Weizen die nach allen Seiten mit den Ährenenden auseinanderhing, überstülpt und ebenfalls mit 2 aus dem Haufen gedrehten Seilen verknüpft.

Regenwetter konnte diesen Haufen wenig schaden. Waren keine Mäuse, fehlte es an Platz und Zeit, so konnten jene Haufen monatelang draußen stehen bleiben.

Garben waren völlig unbekannt, alles wurde in Bunde gebunden. Sollte eingefahren werden, so mußte der Kleinknecht binden, eine Magd einlegen. Zumeist wurde früh ausgerückt, damit zum Morgenkaffee das erste Fuder im Hause war. Die Magd mußte beim Einlegen besonders rührig sein. Kam der Wagen aufs Land, so mußte der Kleinknecht die Bunde aufgabeln, währenddes die emsige Magd 1 bis 2 Haufen allein einlegte und band. Roggen 15 bis 18 - Weizen um 12 Bunde vom Haufen.

Man rühmte sich, an einem Tage bis 1000 Bund heimgebracht zu haben.

Das Feld durfte dann aber nicht sehr weit, die einzelnen Grundstücke nicht zu weit auseinanderliegen. Gegenwärtig möchte sicherer auf Beifall gerechnet werden können, wenn man sich der Renitenz rühmt, als des Fleißes. - Das Heben vieler Bunde an einem Tage mit der eisernen Schmiedeforke, z.B. wenn eine Dieme gebaut wurde, war sehr anstrengend.

Als Bindematerial wurde vielfach Holzwiede zu Hilfe genommen, bei Rauhkorn stets. Ihre Verlängerung wurde durch Einschlingung einer schwachen Handvoll Stroh in das Zweigende bewirkt. In der Länge bestand also eine Hälfte aus Stroh, die andere aus einer Holzwinde. Die geeignetsten Holzarten waren Hasel, Eiche, Hainbuche, Linde und Weide. Manche dienten 2 Jahre. Die Stelle, welche zum Schließen des Bundes dienen sollte, mußte gedreht werden, damit sie nicht brach.

Pflugwiede, die Vorder- und Hinterpflug verbanden, auch die Stündelwiede am Erntewagen wurden alle aus eichenen Ruten geflochten und hielten gewöhnlich 1 Jahr. Diese Ruten und Wiede lieferten die vielen Hecken und das Braunsholz. Letzteres wurde damals nach einer Reihe von Jahren immer als Schlagholz abgetrieben und enthielt das bunteste Holzgemisch. Der Stockausschlag trieb dann stets so dicht, daß einige Lichtung im jugendlichen Alter völlig unschädlich war.

Jetzt wird das Braunsholz zu Hochwald kultiviert, wodurch die Weichhölzer völlig verschwinden und zunächst nur Buche, Eiche und Birke verbleiben. Auf Stellen mit geringerem Boden wird anstelle der bisherigen Laubhölzer Nadelholz angelegt. Somit sind später wahrscheinlich nur Buche und Tanne ersichtlich, wo früher ein ungewöhnlich vielseitiges Laubholzsortengemisch und Unterholz existierte, welches außerordentliche Deckung bot, und in welchem Vögel sich an wilden Kirschen labten, junge und alte Knaben im Herbst dem ergiebigen Sammeln von Haselnüssen nachgingen.

Sommersamen wurde ehemals viel gebaut. Sein Abwälzen vom Erntewagen bis unter die Balkendecke, das nächtliche Ausreiten mit Pferden auf der Dehl, das Losreißen der festgetretenen Masse waren ungemütliche Herbstarbeiten.

Der Verkauf des Samens brachte die erste Herbsteinnahme. Ferner wurde aus dem Samen gutes Speise- und Beleuchtungsöl gewonnen - die wenigen Ölkuchen hiervon leisteten die einzige Tränkeverbesserung für die Kühe in der Frühjahrskalbezeit.

Diebstahl kommt gegenwärtig nur noch selten vor. Abends wird nicht mehr alles ins Haus genommen, Linnen und Wäsche liegen nachts unbewacht auf der Bleiche oder hängen auf der Hecke zum Trocknen. In frühern, bedrängten Zeiten war es nicht immer so. Da durfte beim Pfluge im Felde nichts Loses liegen bleiben. Linnen und Wäsche mußten nachts auf der Bleiche immer bewacht werden. Zu diesem Zweck waren für die bewachenden Mädchen auf den Bleichplätzen in den Eckernwiesen und unter den Thünen immer mehrere Strohhütten errichtet. Zuweilen kam doch etwas abhanden, auch Einbruchdiebstähle wiederholten sich alljährlich.

War nun jemand bestohlen, so empfahl es sich nicht immer, amtlich danach suchen zu lassen. Aber der Bestohlene mochte, wenn die Sache von Belang war, doch gern wissen, wer ihn heimgesucht hab.

Da gab es nun ein Männlein und Weiblein, welche das zu erfragen verstanden. Vermittels eines geerbten Kreuzschlüssels, d.i. ein Schlüssel mit kreuzweise geschlitztem Bart, erschlossen sie das Geheimnis. Das Kreuz des Schlüssels wurde auf eine bestimmte Stelle des Gesang- oder Gebetbuches derart gelegt, daß der Griff des etwas langen Schlüssels aus dem Buch hervorstand. In dieser Lage wurden Buch und Schlüssel durch Umschnürung befestigt. Nun wurde der Griffbügel auf 2 Finger der geöffneten Hand gelegt, daß das Buch unter der Hand hing. Zunächst wurden dann Probefragen gestellt, in deren Beantwortung man nicht fehlzugehen meinte. War alles in Ordnung, so mußten Buch und Schlüssel im Bejahungsfalle sich drehen, im Verneinungsfalle dagegen unbeweglich bleiben.

Hatte man sich auf diese Weise von der zuverlässigen Funktionierung überzeugt, so ging Fragesteller auf den vorliegenden Fall über, indem z.B. bei einem Wurst- oder Fleischdiebstahl die Namen derjenigen Personen befragt wurden, die selbst kein Schwein fetteten, denen aber Geschmack auch an gestohlener Wurst pp. zugetraut wurden. Wenn sich nun Buch und Schlüssel auf einen Namen drehten, so war die Frage gelöst. Fragesteller zog mit einem guten Frühstück von dannen und der Bestohlene vermeinte zu wissen, wer aus der Dorfgemeinschaft sich seine Würste oder Speck gut schmecken ließ.

Überzählige Arbeiter, die in der Nähe Verdienst suchen mußten, wandten sich ehemals ausnahmslos ins Hessische. Knechte dienten in Ostheim, Sielen, Hümme, Hofgeismar, - ein Mann erzählte, seinerzeit hätten 22 aus Bühne gebürtige Knechte gleichzeitig in Hofgeismar gedient. Mädchen hatten nicht wenige in Hofgeismar gedient und manche den Beweis mitgebracht, daß sie und die kurfürstlichen Dragoner Gefallen aneinander gefunden hatten.

Ältere Arbeiter waren dabei gewesen, als es gebräuchlich war, daß ein Arbeitertrupp nach dem Rittergut Schachten hinter Grebenstein in Tagelohnarbeit zu gehen pflegte.

Eine Windmühle, die zum Gut Dinkelburg gehörte, stand diesseits der Anhöhe zwischen Dinkelburg und Borgentreich. Die umgebende Anhöhe, Windmühlenweg, lag in ziemlicher Ausdehnung unbebaut und diente dem Windmühlenesel zur Nahrungssuche.

Ortsübliche Bekanntmachungen wurden früher in der Weise bewirkt, daß die Einwohner durch das Läuten einer Glocke um die Kirche zusammengerufen wurden. Unter einer Linde stehend machte der Bauermeister, später der Vorsteher, den Versammelten dann Mitteilung.

Eine Aufzeichnung besagt, am 18. Juni 1663, morgens 4 Uhr, sei die Gemeinde versammelt worden, um sich für eine Anleihe zu dem im Werk befindlichen Kirchenbau zu erklären und zu verbürgen. Neben 38 namhaft gemachten Personen hätten sich noch sämtliche Kötter und Halbkötter zu der Bürgschaft bereit erklärt. Niemand wollte sich also ausschließen, bis zum letzten Halbkötter wurde das ganze Privatvermögen eingesetzt, wahrscheinlich für einige hundert Taler.

Man wird daraus schließen dürfen, daß damals des Morgens um 4 Uhr die gesamte Einwohnerschaft gewohnheitsgemäß auf den Beinen war. Diese Annahme ist umso statthafter, als unsere Eltern ehemaliges, ungewöhnlich frühes Aufstehen als Regel hinstellten.

So früh wird jetzt nicht mehr aufgestanden. Bekanntmachungen erfolgen jetzt durch Ausruf des Polizeidieners nach voraufgegangenem Schellenklingeln.

Gemeindearbeiten wurden im Scharwerk in der Weise bewirkt, daß die Hausbesitzer der Reihe nach je eine Arbeitsperson auf ganze oder halbe Tage nach Bedarf stellen mußten. Nach vortägiger Bestellung wurde zu den Vor- und Nachmittagsarbeitspausen ein Glockenzeichen gegeben, auf welches sich die Arbeiter aus der Wohnung zur Arbeitsstelle begeben sollten. Die Aufsicht führten die Gemeindeverordneten abwechselnd mit Assistenz des Polizeidieners.

Auf diese Weise wurden die Bruchgräben gereinigt, Maulwurfhaufen gestreut, Schnee geschaufelt, die erste Tannenpflanzen am Strumbook und Heiberg bewerkstelligt.

Bei den ersten Wegechaussierungen, die hier auf behördlicher Anordnung im Jahre 1819 begannen, wurde die Steinanfuhr nach Pferden verteilt. Auf jedes Pferd mußte eine bestimmte Anzahl Steine gefahren werden. Die Handarbeiten geschahen wie vorher bemerkt.

Das kostete der Gemeinde keine baren Ausgaben.

Es dauerte bis in die 1870er Jahre, daß alle Dorf- und Kommunikationswege mit Steinhärtung versehen waren. Inzwischen hatten die Scharwerkleistungen aber aufgehört.

Kindtaufen wurden als Familienfeste unter Teilnahme von Verwandten und Nachbarn bei Nachmittagskaffee und Abendschmaus gefeiert. Der Gevatter (Pate) mußte neben dem üblichen Kuchen und Anderem einen Schinken stiften. Da diese Kindtaufsfeiern häufig die Ursache böser Folgen für die Wöchnerinnen waren, die sich vernünftigerweise leicht vermeiden ließen, ist die Teilnahme an ihnen auf das geringste Maß beschränkt worden. - Nicht allenthalben.

Neulich trug eine Frau auf einer Platte einen ansehnlichen Kuchen in das Haus ihres Sohnes, eines Tagelöhners. Bald danach ging sie den Weg nochmals mit einer Mulde voller Kuchen. Da kein Feiertag bevorstand, fehlte mir dafür ein Verständnis. Eine Nachfrage ergab, daß am folgenden Tage Kindtaufe gefeiert werden sollte. Hierauf wäre ich bei der herrschenden Einschränkung nicht gekommen. Der Kuchenmenge nach rechnete man mit einer ausgiebigen Beteiligung. Die Annahme, fragliches Ehepaar habe aus dem elterlichen Vermögen kaum über Null empfangen, mag der Wirklichkeit ziemlich nahe kommen. Der Mann hat ein Häuslein gekauft und vielleicht einiges aus erspartem Verdienst an der Kaufsumme gezahlt. Ungeachtet der Klagen über ungenügenden Verdienst, die häufig von Ausfällen gegen Besserbegüterte begleitet werden, gestatten es die Verhältnisse, daß sie es sich bei der dritten Kindtaufe leisten können.

So findet eine alte Sitte, die von den Begüterten aufgegeben ist, in den minderbemittelten Ständen ihre Fortsetzung.

Steht eine Hochzeit bevor, so wird der Vorabend als Polterabend dadurch gekennzeichnet, daß an die Haustür der Brautwohnung tönende Gegenstände mit viel Geräusch geworfen werden. Hat der Bräutigam vorher ein anderes Mädchen umworben oder die Braut sich von einem anderen Bewerber huldigen lassen und haben die Betreffenden den Ehehafen noch nicht erreicht, so wird nachts vor der Hochzeit von deren Wohnung bis zur Kirche Flachs- oder Getreidekaff gestreut.

Als in einem der vornehmsten Bauernhäuser einmal die Hochzeit der Tochter gefeiert wurde, hatten Angehörige unlängst auf dem Wege zur Stadt ein Kistchen Zigarren gefunden. Infolge einer Verirrung kam zum erstenmal damit ein Kistchen Zigarren in ein hiesiges Bauernhaus. Es wurde als imponierende Neuigkeit für Alt und Jung besprochen, daß den Hochzeitsgästen ein volles Kistchen Zigarren vorgesetzt war.

Bis zum Einzug einer bezahlten Kiste mag noch ein anständiger Zeitraum verflossen sein. - Heute ist ihre Zahl Legion.

An Sonntagen und bei Fuhren nach auswärts fehlt die Zigarre nicht, hat auch an Wochentagen manche Verehrer. Vereinzelt sieht man Zigarren rauchende Knechte - Knaben - Dünger fahren.

Ein unbemittelter Raucher beauftragte seine Enkel mit Einholung großer Huflattichblätter vom Bachgrabenrande. Getrocknet sollten sie zum Rauchen dienen, wahrscheinlich mit einiger Tabaksmischung. Auch Kleeköpfe, Rosenblätter, Kartoffelkraut wurden als Tabaksurrogate bezeichnet.

Soldaten erhielten weder Geld noch Pakete nachgeschickt. Die karge Löhnung und Verproviantierung mußte genügen. Erhielt der Soldat in den 3 Dienstjahren einmal Urlaub, so lief er in überquellender Freude in mehreren Fällen in einem Tage von Minden zu Fuß nach Körbecke. Aus entfernten Garnisonen, wie Berlin, Düsseldorf, konnte der Soldat ehemals nicht auf Urlaub kommen. Zuweilen sandte er stattdessen sein Bild.

Zu unserer Militärdienstzeit empfingen die Wohlhabenderen heimatliche Zulagen an Geld und Paketen in sparsamer Abmessung. Bei vielen Unbemittelten war es noch wie ehedem. Inzwischen hat die elterliche Verproviantierung sehr zugenommen.

Als Schreiber ds. einmal zur Ziehung in Warburg erscheinen mußte, verwaltete er das gräflich von Bocholtz'sche Gut Niederalme im Kreis Brilon. Das Gut hatte am Almeflüßchen viele Wiesen. Es war im Juli Hochsaison der Heuernte und heißes Wetter. Da es an Vertretung fehlte, wurde im jugendlichen Eifer der Antritt des Fußmarsches nach Warburg bis nach vollbrachtem Tagewerk verschoben. Von Alme bis Bleiwäsche war es noch hell. Bald aber umfing Nacht- und Walddunkel den einsamen Wanderer, der auf gut Glück völlig unbekannte Wege durch Felder, Weideflächen und Wälder verfolgte und keine andere Führung hatte, als seine Meinung von der einzuhaltenden Richtung. Unter den damaligen Wegen darf man sich keine gehärteten Chausseen oder auch nur in Seitengräben gefasste Wege vorstellen. Es waren einspurige Wege von vielfach schlechtester Beschaffenheit. Auf einer Weidefläche stand ein verwitterter Wegweiser zwecks Orientierung aus vielfachen Wegeverzweigungen. Durch Aufklettern wurde das Auge in möglichste Nähe der Schrift gebracht - vergeblich - es war kein Buchstabe erkennbar.

Damals war man gegen die Jetztzeit in mehr wie einer Beziehung rückständig. Über 2/3 der Männer waren Nichtraucher. Kein Jüngling wagte vor 18 oder 19 Jahren zu rauchen. Zeigte ein Versuch stark üble Folgen, so wurde es verschoben bis in die oder nach der Militärzeit, unterblieb vielleicht auch ganz. In unserm Falle zählte der ziehungspflichtige zu den Rückständigen, war ohne Rauchutensilien und konnte deshalb den verwitterten Wegweiser auf der Weidefläche nicht beleuchten. Heute könnte ihm wahrscheinlich ein Knabe aushelfen. Einzelne Knaben hat man an Sonntagen, mit herausfordernder Miene kräftig Zigarren rauchend, auf der Straße gesehen, nachdem sie unlängst aus der Schule entlassen waren. Die Erlernung war also im schulpflichtigen Alter erfolgt. Mit dem Können und Leisten von Arbeit stehen sie zu der früheren Zeit in einem umgekehrten Verhältnis.

Auf dem weitern Marsch gab ein Schäfer, der wegen heftigen Bellens seiner Hunde halb aus seiner Feldhütte kroch, die angenehme Auskunft, der Weg sei noch nicht verfehlt. Bei nächtlichem Passieren zwei weiterer Dörfer - Meerhof und Oesdorf- wurde bei anbrechender Tagung ohne Irrungen das Diemeltal und die große Heerstraße zwischen Marsberg und Westheim erreicht.

Von Alme bis Warburg zeigt eine Karte in der Luftlinie etwas über 6 geographische Meilen. Am Ziehungstage kommt bekanntlich kein Bein zur Ruhe. Danach wurde der Fußmarsch nach Körbecke angetreten. Spätabends mußte mit ehemaligen Genossen und Freunden Diskurs gepflogen werden bis nach Mitternacht. An Ermüdung wurde nicht gedacht.

Bei geringer Besoldung, ohne Aufforderung und ohne besondere Anerkennung wurde damals anvertrautem fremdem Gut übereifriges lnteresse gewidmet unter Hintansetzung eigener Interessen.

Einem hiesigen Ackersmann brachte der Polizeidiener die Ladung zu einer militärischen Übung mit der Weisung: "Nächsten Donnerstag muß er in Paderborn sein". Damit legte die Frau den Schein weg und berichtete ihrem Mann mündlich. Dieser brachte es im großen Eifer fertig, 70 Morgen Grundstücke ohne Knecht und Tagelöhner ordnungsmäßig zu bestellen und zu bewirtschaften. Und hatte eine kranke lahme Frau, die wiederholt wochenlang in Krankenkliniken lag und sich Operationen unterzog. Der Mann leistete zu dem Feldarbeitsquantum noch Haushaltsarbeiten. Das war nur möglich bei kräftiger Körperkonstitution und Anspannung der äußersten Energie unter Zuhilfenahme von Teilen der Nacht.

Hiernach ist zu verstehen, daß der Mann nicht Zeit fand, die Gestellungsordre zu lesen - auch die Sonntage bringen der Anforderungen viel.

Die Ordre lautete auf Dienstag, nicht auf Donnerstag. Dienstag morgen zog der Pflichtige zur fernen Alster und pflügte. Als der Vorsteher das zufällig erfuhr, sandte er den ersten habhaften Mann zur Alster der den Säumigen heimrufe. Eine dringende Reklamation hatte er ihm angefertigt. Hiermit eilte der Säumige nun in Sturmschritt zunächst nach Warburg aufs Landratsamt, dann nach Paderborn. Da die Gestellungsstunde nicht eingehalten war, hatte er die wahre Ausrede, er habe morgens für die kranke Frau zum Arzt müssen und sei dann zur Benutzung des Bahnzuges nicht früh genug eingetroffen. Da das Attest sich über die Krankheit der Frau ausließ, erschien dies glaubhaft. Mit Erzählung der Wahrheit würde er schwerlich Glauben gefunden haben. Beamte, deren Dienst sich in wenigen Tagesstunden abwickeln läßt, dennoch aber von ihnen für beschwerlich gehalten wird, kann eine solch enorme Arbeitsüberlastung mancher Bevölkerungsschichten nicht begreiflich gemacht werden.

Die Freilassung glückte und sofort gings im Sturmtempo wieder heimwärts. Bei Annäherung an Körbecke war noch eben wahrnehmbar, daß die Frau sich mit den Kindern auf dem Bruche am Flachsauswaschen befand. Also zuerst zum Bruche, um die Hauptleistung am Auswaschen zu übernehmen.

Der Flachs wurde damals im Bruchgraben geröstet. Das Wasser wurde dadurch für einige Zeit blauschwarz, von üblem Geruch und tötete das in ihm lebende Getier. Deshalb ist es behördlich untersagt worden.

Von Gottsbüren im ehemaligen Kurfürstentum trugen arme Leute einigen Streusand nach hier zum Verkauf für einige Groschen oder tauschten einige Lebensmittel dafür ein.

Händler trugen ihre Waren in Kiepen, Riff oder Kasten durchs Land und auf die Märkte, z.B Eierhändler die Eier von hier und weiteren Entfernungen nach Kassel. Sie kannten und wählten die kürzesten Wege, meist Fußwege. Diese waren besser als die zerfahrenen Fahrwege, enthielten aber stärkere Steigung. Ein starker Stock mit Handriemen diente zur Stütze der Traglast, wenn bei Steigung minutenlang Atem geschöpft wurde. Im übrigen ging es rüstig weiter. Manche Hausierer tragen auch jetzt noch Waren auf dem Rücken im Lande umher - die meisten Waren aber, besonders schwerere, werden gefahren.

Arme Leute trugen das unentbehrliche Brennholz auf den Schultern und dem Kopfe heim, gesammeltes und gefreveltes. Es käuflich zu beschaffen, war völlig unmöglich. Woher das Geld zum Kauf und zur Anfuhr nehmen? Ohne einige Erwärmung der Wohnung zur Winterzeit und ohne einiges Kochen von Nahrungsmitteln kann aber der Mensch nicht leben, am wenigsten die Kinder. Somit unterlagen sie dem Zwang, anderweiter Beschaffung nachzugehen.

Da das hiesige Wäldchen klein war und als Niederwald wenig Fallholz hatte, wurde der Liebenauer Steinberg - mehr noch das Sieler Holz hinter Muddenhagen lebhaft in Anspruch genommen. Auch ältere Schulkinder, Knaben und Mädchen mußten in der Woche an schulfreien Tagen oder Nachmittagen nach dem "Sielerholze", sammelten trockenes Windfallholz und trugen es auf der Schulter oder Kopfe heim. Die Entfernung beträgt etwa 1 1/2 Stunden.

Das war ein weiter Weg zum Sielerholze und mit einer Welleholz zurück. Da bedurften die Kinder unterwegs einiger Stärkung.

Diese leistete ihnen ein Stück Brot, wozu ein Quell am Wege erfrischenden Trunk sprudelte. Das mochte dem hungrigen Kindermagen vortrefflich munden. Ging aber das Brot im Elternhause zur Neige, so mußte nach Aussage von Teilnehmern häufig eine Scheibe Kohlrabi Ersatz leisten. Auch dieser Bissen besänftigte den knurrenden Kindermagen und befriedigte das anspruchslose Kindergemüt.

Wenn die Stare bei ihrer Wiederkehr im März unsere Wälder durchstreifen und die Sonne durch eine Wolkenlücke und durch die Zweige strahlt, so beginnt das lebhafte Völkchen sogleich, seiner Lebenslust und Freude durch anmutendes Geschwätz und Gezwitscher Ausdruck zu geben. Dies geschieht in honorer Kinderstimme, die allen gefiederten Sängern in jeder Anfangsperiode eigen ist.

Ähnlich mochte es bei der leichtlebigen Kinderschar lauten, wenn sie nach Überwindung der längsten Wegstrecke mit der schmacklichen Letze in den Händen um den sprudelnden Quell gelagert auf der Holzwelle saßen oder diese in jugendlicher Lebhaftigkeit umkreisten.

Nach vollbrachter Stärkung hatte die Karawane noch zwei Hügel zu überschreiten, auf dem letzteren grüßte ihnen das Elternheim in kurzer Entfernung entgegen. Die Kinder armer Eltern gingen damals den ganzen Sommer hindurch barfüßig.

Zwischen den holzsammelnden Kindern und dem Forstaufseher bestand ein stillschweigender Pakt. Zeigte sich der Forstmann polternd und struppig, so war das den Kindern eine Mahnung, das nächste Mal einige Schnapspfennige mitzubringen, womit dann seine Borstigkeit wieder für einige Zeit geglättet war.

Das Sieler Holz war kurhessischer Staatswald.

Auswärtige Männer kamen zuweilen mit einer Bürde Holz, um sie beim Gastwirt, Krämer oder Juden für 50 Pfennige und einige große Schnäpse zu verkaufen. Der Erlös gestattete einen ersehnten Labetrunk stärkeren Geistes, wie ihn der Quell am Pfade den Kindern bot. War die Sehnsucht lange und stark gewesen, so konnte es kommen, daß der gesteigerte Durst sich eine Überschwemmung zuzog. Nach vielen Mangeltagen folgten also einige frohe Stunden. Der Holz- und Sorgenbürde ledig, ging es frohgestimmt auf den Heimweg. Die Tasche barg noch ein paar Groschen oder ein Fläschchen, eine geschätzte Letzte für einige Tage, die der Versucher dann meist gebührend zu kürzen verstand.

Branntwein wurde für hiesige Wirte und Krämer von Hofgeismar und Borgholz im Faß auf der Schulter getragen. Ob das in bessern Sorten oder in welchem Umfange geschah, mag dahingestellt bleiben.

Von Borgholz wurde der Weg in gerader Richtung durch die Felder genommen. Von Hofgeismar führte ein holpriger, steigender Fußweg, der stellenweise auch Fahrweg war, durch das Hofgeismarer- und Braunsholz.

Als einmal der Faßträger in dem Hofgeismarer Walde strauchelte, entglitt das Faß seiner Schulter. Im Sturze auf den hartgefrorenen Boden bekam es ein Leck und sein Inhalt strömte dahin. Auf das Jammergeschrei des Trägers eilten in der Nähe beschäftigte Holzhacker herbei. In rascher Erfassung der Sachlage sanken sie eiligst zu Boden und schlürften das köstliche Naß, damit es seiner ursprünglichen Bestimmung nicht nutzlos entrinne und nach Möglichkeit gerettet wurde, was noch zu retten war. Als sie nach getaner Anstrengung Atem schöpften und vernahmen, der Eigentümer sei ein Jude, priesen sie in gehobener Stimmung den Zufall, der den Sturz in ihrer Nähe bewirkt und ihnen die köstliche Erquickung ermöglicht hatte. Den gesunkenen Mut des Trägers suchten sie wieder aufzurichten mit dem Trostspruch, dem Juden schade solch kleiner Unfall nicht im geringsten - armen Leuten müsse auch mal eine Freude zukommen. Er fügte sich dann auch ins Unvermeidliche und mochte an der Unfallbotschaft nicht schwerer heimwärts tragen, wie an dem gefüllten Faß.

Als der Amtmann einmal seinen versammelten Vorstehern ein Bündel neuer Polizeivorschriften und Anordnungen über Reinhaltung einschärfte, ganz besonders über Aborte, tat ein Vorsteher den ungeduldigen Ausspruch, so es noch ein wenig toller komme, wolle er sein "Zick" abbrechen und wieder zum früheren Freisitz übergehen.

Den Luxus eines Aborts hatten sich ehedem nämlich nur ganz Vereinzelte zugelegt. Im allgemeinen herrschte altgewohnte Freihändigkeit. Daß dies aber auch seine Schattenseiten hatte, zeigt folgender Vorgang:

Ein älterer Bauersmann nahm eines abends in gewohnter Urgemütlichkeit freihändigen Sitz am Rande seiner Düngerkuhle. Man war gerade am Düngerfahren, die Kuhle war leer. Wegen hügeliger Dorflage fiel diese und manch andere Düngerkuhle vom Hausniveau aus stark und tief ab.

Unser Bekannter war im besten Zuge, als der hünenmäßige und zu losen Streichen stets aufgelegte Großknecht sachte aus der Stalltür herauskam um noch Schleichwegen nachzugehen. Als er die hockende Figur mit dem heller schimmernden Unterteil gewahrte, vermeinte er seinen Nebenknecht vor sich zu haben, den zu schikanieren ihm Gewohnheit war. Rasch durchfuhr ihn der Gedanke wie spaßhaft es sei, mit dem nebenstehenden Mistbrett, womit der Dünger auf dem Wagen festgeschlagen wurde, dem Hockenden unversehens und kräftig vor dem gespannten Hinterteile herzuhauen, wozu der hellere Schimmer einzuladen schien.

Gedacht, getan! Der Getroffene, der im Geschäftsdrange stark vornübergebeugt saß, kippte und purzelte den steilen, glitschigen und tiefen Abhang hinunter. Unten angekommen, ließ er seinen Gewohnheitsruf:

"Mein Gott und Alles!" aus Leibeskräften erschallen, diesmal mit dem Zusatze: "Welche Spitzbuben in dieser Welt!"

Der verblüffte Knecht verschwand schleunigst, dagegen kam nun die Hausfrau mit der Leuchte, um nach dem Rufenden zu sehen. Sie schlug die Hände zusammen, als sie ihren stöhnenden Ehemann halbkostümiert und beschmutzt im Aalpütt erblickte und den Zusammenhang erfuhr.

Nach provisorischer Hebung des Unterkostüms und Auffindung der Strumpfzipfelmütze, die sich im Hinabrollen vom Herrscherhaupte gelöst hatte, war der Grollende soweit wieder perfekt geworden, daß sie unter Zornausdrücken gegen den Verbrecher dem Hause zusteuern konnten. Einer Wiederaufnahme des gestörten Geschäftes bedurfte es nämlich nicht. Klaps und Schreck hatten das Dringendste entführt und im übrigen eine Rückstauung bewirkt. Unter der wohligen Bettdecke mochten sich die Nachwehen des empfindlichen Gewaltstreiches nach und nach mildern. Der Schalk von Knecht erzählte erst nach dem Heimgange seines unschuldigen Opfers, dann aber nicht ohne einiges Behagen, der Streich sei einem andern gemünzt gewesen. Das Rufen seines Herrn habe ihn doch sehr erschreckt.

Wer nun schließen wollte, der Vorgang habe die baldige Anlegung eines "Zicks" bewirkt, würde im Irrtum sein.

Als die oben erwähnte Instruktion des Amtmanns stattfand, waren hie und da böse Krankheiten aufgetreten. Es wurden nun Kommissionen eingesetzt, die mit den Vorstehern an der Spitze auf Reinlichkeit kontrollieren sollten, besonders scharf die Abörter, die in einen bösen Verruf gekommen waren.

Nun gibt es ja überall Leute, die ihre Nasen gern in alles hineinstecken, besonders wenn damit die Ehre verbunden ist, einer Kommission anzugehören. Ob sie nun ihre Nasen empfohlenermaßen gründlich in die Abörter gesteckt haben, ist mir nicht bekannt geworden. Wahrscheinlich blieb es ein totgeborenes Kind, wie eine Mäusekommision, die die Vertilgung der Feldmäuse kontrollieren sollte und nie gesehen wurde.

Einige Grundstücke unserer Gemarkung ähnelten in ihrer Form Tieren oder anderen Dingen und führten die entsprechenden Namen. So gab es eine Koh, einen Kohrüg, eine Gaus, einen Gantenhals, einen Giebelspeier, einen Krümmling, einen Wegenfoot, Häwenteken ( d. i. Regenbogen) hieß ein Grundstück um die Mühlenwiesen wegen seiner Bogenform. Ein stumpfes unregelmäßiges Dreieck vor der Pohlwiese führte den Namen "Dunnerkiel". Davon mochte es kommen, daß sein Besitzer, ein Vierspänner, abwechslungshalber zuweilen "Dunner" genannt wurde.

Der Volksmund gebraucht zuweilen den geduldigen Ausdruck, es möge ein Donnerkeil einschlagen. Ob es eine Ableitung hiervon war das "Dunner" auch zuweilen mal dreinschlug, wenn ihm die Galle überbrodelte? War sonst im Grunde ein harmloses, friedsames Männlein das in gewöhnlichen Zeiten dem kraftvoll geschwungenen Zepter seiner Mitregentin unterstand. Von Vorkommnissen seines Hauses tragen manche über den Rahmen der Alltäglichkeit hinaus und gaben einigen Gesprächsstoff, z.B. folgende:

Unser Vierspänner hatte die Gewohnheit, oftmals seinen Kaffee in einen langen Milchseihetopf zu tun, um eine auskömmliche Brotportion mundgerecht darin zu erweichen. Als der damalige Kreisphysikus Dr. Dammann einmal hinzukam, als er seinen Seihetopf auf dem Stuhl zwischen die Beine postiert hatte und mit dem langgestielten hölzernen Rundlöffel den Inhalt herauslöffelte, sprach der Arzt in seiner schnellen Redeweise "Borgentreicher! Borgentreicher!" Darauf der Angeredete: "Nei, Herr Dochter, ik seihe nie van Berentreiche, mien Vahdr was van Berentreiche". Hierauf Damann: "Borgentreicher Bastard, Borgentreicher Bastard! Gleich gesehen, Borgentreicher!"

Einmal nahm seine Kaffeemahlzeit eine spaßhafte Endung. Als er den an die Lippen gesetzten Topf zum Austrinken des Restes senkrecht aufrichtete, entglitt er seinen Händen und hatte sich über den Kopf gestülpt, wie ein eingetriebener Zylinderhut. Er sah aus, wie ein ehemaliger verkappter Ritter. Das wäre nicht zu weiterer Kenntnis gekommen, wenn er den freiwilligen Zylinderhut alsbald hätte wieder abnehmen können.

Das wollte aber nicht gelingen, Kopf und Topf wollten sich nicht trennen lassen. Da die Ritterkappe ohne Visieröffnung war, konnte ihr Träger auch nicht sehen. Er stak tatsächlich in einer fatalen Klemme und mußte Hilfe in Anspruch nehmen. Aber auch diese mühte sich vergebens, den steifen Topfrand über die Ohren zurückzuziehen. Die versammelten Hausgenossen wußten keinen anderen Ausweg, als die Zertrümmerung der stolzen Kopfbedeckung, die dann auch beschlossen wurde. So schaffte man dann den Bindeknüppel herbei und nach der Mahnung: "Nu halt mal den Kop sturr!" führte ein Hausgenosse Hiebe gegen den Turmhelm, bis er in Scherben vom Haupte sank. "Hä, wat drühnde dat" stöhnte der Befreite.

Solch heiteres Begebnis konnte nicht verschwiegen bleiben. Die dienstbaren Geister trafen sich bald am gemeinsamen Brunnen, wo gewohnheitsgemäß das Neueste ausgetauscht wurde. Die weitere Verbreitung ließ dann nichts zu wünschen übrig. Somit rückte unser Freund in der Vorstellung mit dem Ritterhelm für einige Zeit als Held des Tages ins Vordertreffen. Im Anschluß an das "Drühnen" nannten schalkhafte Zungen ihn zuweilen "Drünner".

Eines Tages wurde die Entdeckung gemacht, daß in "Drunners" Hause ein nächtlicher Einbruch verübt worden war. An einer sogenannten Abseite war ein Wandfach ausgeschlagen und die Beute durch diese Öffnung entführt. Das war ein erschütterndes Ereignis. Unter lebhafter Zwiesprache stand die versammelte Nachbarschaft staunend vor der unheimlichen Tatsache. Als Nachbarknabe war ich auch dabei. Es ergab sich, daß von mehreren Säcken Sommersamen ein Sack entführt war. Die Hausfrau schlug einen gewaltigen Lärm, wogegen der Mann verhältnismäßig ruhig war. Dieser ging nach einiger Umschau zu den Saatsäcken, band einen davon auf und holte mit süßsaurer Miene einen Geldbeutel mit nicht unwesentlichem Inhalt aus dem Samen hervor, den er unter gewohnheitsmäßigem Pfeifen in seine Tasche überführte. Als die Frau des bekannten Beutels mit Inhalt ansichtig wurde, ging sie vom Lärm crescendo zu höchstgestimmten Gekreisch über, weil das liebe Geld in solch furchtbarer Gefahr geschwebt habe. Unser Pfiffikus dagegen, als er seines Geldes wieder versichert war, ging getrost von dannen, der Sack Saat imponierte ihm nicht mehr. Vielleicht war seine nächste Sorge die Wahl eines neuen Geldverstecks etwa eines Zimmermannszapflochs oder eines Dachsparren etc.

In dem Mangel eines Geldverschlusses stand unser Vierspänner in Kollegialität zu den Einwohnern eines hessischen Nachbardorfes. Dort mußte nämlich die Wahl eines neuen Gemeindeerhebers resultatlos verlaufen, weil niemand ausfindig zu machen war, der einen "verschlatenen Disch".hatte Ob unser Held nun durch Beschaffung eines "verschlatenen Disches" sich der Sorge um Ausfindigmachung sicherer Geldverstecke fürderhin enthoben hat, ist mir nicht bekannt geworden.

Über den Einbruchdiebstahl bildete sich übrigens die Meinung, er sei von Helfershelfern der Hausfrau ausgeführt, um mit dem Erbeuteten die notwendigen Aufwendungen zu bestreiten zur Bekämpfung des Durstes, von dem sie gar oft heimgesucht wurde. Daher mochte ein "verschlatener Disch" noch keineswegs Sicherheit bieten. Wie leicht konnte von intimer Hand der Schlüssel erlangt und zu einem Angriff auf die Kasse mißbraucht werden. Daher vermute ich die weitere Bevorzugung eines örtlichen Versteckes.

Die Frau, die zu meiner Knabenzeit in Drunners Hause atmete, war von einem Nachbardorf gekommen. Am Hochzeitstage kam vor Ankunft der Braut ein Bruder von ihr und schlug ein Wandfach am Kuhstalle ein. Den Nachbarn fehlte hierfür das Verständnis und wunderten sich. Als der Hochzeitszug anlangte, wurde die Braut vor das offene Wandfach geleitet und mußte durch dieses ihren Einzug in die neue Residenz nehmen. Hinter ihr wurde die Porta triumphalis wieder zugemauert und damit hatte man vorgebeugt, daß das Vöglein dem neuen Bauer wieder entfliege.

Chronik Teil 5

Aus der Gutsverwalterzeit.

Einmal im Jahre, an einem Sommers- Sonn- oder Feiertage fuhren wir - der Administrator, der zugleich Rentmeister war, dessen Frau und Kinder nebst 3 Verwaltern von Gütern - des Nachmittags zu einer einzeln gelegenen Wirtschaft am Möhneflüßchen. Dort wurden Waffeln und Kaffee bestellt, wozu beim männlichen Teile dann noch etwas Bier nachfolgte. Außerdem tranken wir im ganzen Jahre weder Schnaps noch Bier - Reise und Reisefuhren allerdings ausgenommen.

Andere Zeiten andere Sitten!

Die Auslohnungen fanden jeden Sonntag in des Administrators Wohnung statt. Einbegriffen waren Tagelöhner und Gesinde dreier Güter, Handwerker, zuweilen auch Bauhandwerker, der Schloßgärtner mit seinen Arbeitern, 4 Forstbeamte, 1 Försterwitwe, 1 Flurhüter, 1 Privatpostbote, Wegebauarbeiter, Steinebrecher, Forstkulturarbeiter.

Jeder hatte sein Lohnbuch, in welches Soll und Haben eingetragen wurde und dessen Inhalt dann in ein Hauptbuch übertragen wurde.

Des Sommers bei Beschäftigung vieler Arbeiter wurden die Tagelöhner pp. eines Gutes und Dorfes, welches zunächst des Administrators Wohnung lag, morgens vor dem Hochamte ausgelohnt. Zu diesem Zwecke mußte Schreiber ds. bei seiner 3jährigen Führung des Hauptbuches jeden Sonntag morgen um 7 Uhr zur Stelle sein und dieserhalb einen Weg von etwa 20 Minuten mit starker Steigung zurücklegen. Zwei meiner Kollegen, welche nacheinander des Administrators Wohnung teilten, also keinen Weg hätten machen brauchen, wurden zur Buchführung nicht herangezogen. Bei dem Gedanken an diesen Gegenstand mischte sich später wohl die Meinung ein, für diese mehrjährigen Sonntagsextraleistungen, die teilweise über unsere Verwaltungsaufgaben hinausgriffen, hätte von Rechts wegen einige Entschädigung gewährt werden sollen.

Zeitungen waren auf dem Lande unbekannt. Größere Tagesneuigkeiten wurden durch fahrende Leute, Uhrmacher, Hausierer pp. im Wirtshause vertrieben. Wurde ein fremder Gast in der Wirtschaft wahrgenommen, so fanden sich immer einige Wissensdurstige ein, um das Neueste zu erfahren. Je mehr der Mann nun auszukramen verstand, desto rühmlicher machte er sich bei Wirt und Gästen.

Durch Austausch mit Genossen an Sammelplätzen und durch Übung erlangten manche der Fahrenden nicht nur an Virtuosität im Erzählen, sondern auch im Erfinden von weltbewegenden Neuigkeiten. Diese wurden dann nach Verlauf von 2 mal 24 Stunden Gemeingut aller Einwohner.

Der Postbote erschien im blauen Kittel höchstens einmal wöchentlich oder alle 14 Tage und lieferte hie und da ein Brieflein ab. Das war ein Ereignis. War er von einem verwandten oder Bekannten aus der fernen Stadt oder gar über das Weltmeer aus Amerika gekommen? Vielleicht hatte die eine oder andere Nachbarin den Postmann zufällig ins Haus gehen sehen. Nun mußte sie doch in nicht langer Zeit wissen, um was es sich handelte. Ein Anlaß, etwas zu borgen oder zu erfragen, war bald gefunden. Von der einen oder anderen Seite wurde dann auf das Ereignis übergeleitet. Somit kam die Nachbarin in Kenntnis und diese durchsetzte dann das Dorf, wie jener Sauerteig, den das Weib im Evangelium zwischen einige Maß Mehl mengte.

Das Briefporto war hoch. Ein gewöhnlicher Brief konnte in Preußen, je nach durchlaufener Entfernung, die in Staffeln eingeteilt war, bis 60 Pfennig kosten. Von Amerika betrug es 1,30 M bis 1,50 M. Wegen der Verschiedenheit, die sich aus der Länge der Entfernung ergab, mußte das Porto auf der Post erfragt werden. Meist mußte es der Empfänger tragen, dann war der Satz von der Postbehörde auf dem Brief angegeben.

War ein Brief freigemacht, so kostete seine Überbringung durch den Boten noch einen Groschen Landbestellgeld.

Freimarken und Postkarten waren unbekannt.

Unser Generalpostmeister Stephan rief einen Weltpostverein ins Leben. Auf seinen Vorschlag wurde das Porto auf eine einfache, bequeme und billige Grundlage gestellt. Das steigerte den geistigen Verkehr aller Völker gewaltig, beseitigte die umständlichen Verrechnungen der verschiedenen Staaten unter sich über den jeweiligen Beförderungsanteil und brachte den Postverwaltungen wachsende Überschüsse, wenngleich sie ihre Einrichtungen sehr vervollkommneten und vermehrten.

Das Eisenbahnfahrgeld in gleicher Weise zu vereinfachen und zu verbilligen, hat trotz Anregungen noch keinen Stephan gefunden.

Der Kalender war ein geschätzter Hausfreund. Er erteilte Auskunft und Rat in allen belangreichen Vorkommnissen. Zunächst kündigte er die kommende Witterung an nach Tagen, Monaten und Jahreszeiten.

Danach wurde den "Finsternüssen" gebührende Beachtung gewidmet. Diesem folgte eine Übersicht der Krankheiten und Gebrechen bis zu Zahnweh, Ohrenstechen und Melancholie, die jeder einzelne Monat über die Menschheit ausschütten würde. Auch verschwieg es der Kalender nicht, wenn einzelne Monate es auf das eine oder andere Geschlecht oder auf gewisse Altersstufen besonders gemünzt hatten und diesen hart zusetzen wollten.

Nach der Vorhersage von Fruchtbarkeit und dem Gedeihen hinsichtlich der Hauptgewächse kam die wichtige Frage nach Krieg und Frieden.

Hierzu muß man wissen, daß die Planeten ehemals abwechselnd eine Mitregentschaft am Weltenlaufe ausübten. Da diese kurz bemessen war, suchte jeder einzelne Planet sie in seiner Richtung nach Möglichkeit auszunutzen.

Hiernach möchte es verständlich sein, wenn wir ein Prognostikum des Paderborner Almanachs aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hier folgen lassen:

 

<center>"Vom Krieg und Frieden"</center>

"Nach astronomischen Mutmaßungen vom Kriege zu urteilen, so möchte der in sehr kräftiger Dignität stehende stürmische Saturnus durch die vermittelnde Würkung der zween friedliebenden Planeten Jupiter und Venus den ganzen Frühling und Sommer hindurch keine besondern Zerrüttungen zu verursachen im Stande sein, bis im Herbst sein feuriger Mitbruder, der Mars, zu regieren beginnt."

Das Folgende ist abgerissen, mag aber wahrscheinlich besagt haben, daß dieser kriegerische Herr dann aller Ecken und Enden zugleich losschlagen läßt.

Der Prophet mochte leicht zu seinem Rechte kommen. Bei der damaligen Kleinstaaterei lagen sich fast alle in den Haaren. Meist beteiligten sich dann später mehrere an dem Tanze, dem gewiß schon Kombinationen vorausgingen. Auf das Zusammentreffen mit der angegebenen Zeit mochte es weniger ankommen. Konnte man Reibungen oder drohende Verwicklungen mit der Vorhersage, wenn auch auf einem Umwege gemessen, in Verbindung bringen, so hieß es: "Sühste wall, dat het he witten!"

Die Planeten sind später dem Schicksale der Absetzung verfallen und haben sich ins regierungslose Privatleben zurückziehen müssen. Damit ist in den höheren Regionen der Kleinstaaterei ein Ende gemacht.

Mit dem Kalender sind wir aber noch nicht fertig. Für die weltlichen Verrichtungen waren im Kalender unter Berücksichtigung der Mondphasen die günstigen Tage angegeben. Wer pflanzen oder säen, auf Reisen gehen, Zähne ziehen, Ader lassen, schröpfen, Kindlein entwöhnen wollte, item wenn durch Unpässlichkeiten der Verdacht aufstieg, in seinem Leibesinnern triebe rückständiges Unrat sein Spiel, um ihn zu molestieren, und der nun den Plan erwog, solchen Unrüstigkeiten mit einigen Purgieren gründlich den Garaus zu machen - für all diese Unternehmungen hatte der Kalender seine Zeichen jenen Tagen beigesetzt, an welchen die Sache glatt und ohne Unbill verlief. Mit der halben Mixtura wurde am richtigen Tage die doppelte Wirkung erzielt.

Heute müssen die Menschen mit den wichtigsten Verrichtungen ins Dunkle hineintappen. Der Kalender hat nur noch Zeichen für Mondänderungen, für Fasten und Abstinenzen, als ob man erstere nicht mit Augen sehen, und an letzteren großes Gefallen haben könnte.

Da standen die Sterngucker von anno dazumal dem Himmel näher, indem sie neben dem Wetter nicht nur die Sonnen- und Mondfinsternisse, sondern auch Krieg und Frieden, Gesundheit und Krankheit nach Geschlechtern, Alter und Jahreszeit, sowie die günstigste Zeit für alle täglichen Verrichtungen bis herab zum Zähneziehen und Purgieren, alles in den Sternen lasen.

Nachdem jene Leitzeichen fehlen, mußten die Wirkungen unsicher werden. Daher ist gegen manche Nützlichkeiten ein Mißtrauen aufgekommen, das sie der Vergessenheit zu überantworten droht.

Kriegsprophezeiungen wurden außerdem noch vervollständigt aus Sybillenbüchern, die in jedem Winter fleißig gelesen wurden und die entsprechende Auslegung erfuhren. Nach richtiger Deutung passte ihr Inhalt auf gegenwärtige Machthaber. Demnach mußte es ohne Zweifel bald losgehen.

Die große Entscheidungsschlacht bei Werl in Westfalen, die der Sieger vom Birkenbaume aus befehligte, allwo er sein Schlachtroß von der rechten Seite aus bestieg, setzte der Sache vorläufig ein Ziel.

Aber, o Weh! Die streitbare Männerwelt war derart zusammengeschmolzen, daß 3 Weiblein sich einen Mann strittig machten. Unter solchen Aussichten mochte manches Maidlein den stillen Wunsch hegen, noch vor dem großen Aufräumen in den Besitz eines Männleins zu gelangen.

Jene große Schlacht steht vorläufig noch aus. Somit ist es der heiratslustigen Weiblichkeit auch bis dato erspart, sich um einen Mann gegenseitig die Haare zu rupfen.

Rief die Frühlingssonne zu vielerlei Arbeiten, so wurden die Kriegsprophezeiungen und die Kriegsfurcht bis zum kommenden Winter vertagt.

Ein Nordlicht färbte eines Winterabends mit wechselnden Strahlenflammen das Firmament rot. Die Bevölkerung, die nach Mitternacht dem Dreschen obliegen mußte, pflegte der Nachtruhe. Mütter, Kinder und ältere Spinnemädchen, ältere Männer sammelten sich auf der Straße und betrachteten mit Staunen und Furcht die ungewöhnliche und rätselhafte Erscheinung. "Kingers, düt bedütt Krieg" prophezeite ein alter Nachbar. Eine ähnliche Färbung sei am Himmel erschienen vor dem verhängnisvollen Kriegszuge nach Rußland.

Eine totale Sonnenfinsternis stand an einem Sommertag bevor. Es gingen beunruhigende Erzählungen vorher, z. B. sollten während der Finsternis Brunnen und Viehweiden vergiftet sein. Vielleicht waren das Nachklänge von abergläubigen Anschauungen früherer Zeiten. An dem Tage fand es keine sichtliche Beachtung.

Eine Synagoge erstand, nachdem mehrere der 9 Judenfamilien wohlhabend geworden waren und ihren Geschäftskreis erweiterten, daß selbst die Bürger der Nachbarstadt Borgentreich ihnen mit Eselskarawanen Getreide zuführten.

Zur Tempelweihe waren auswärtige Stammesgenossen geladen und in reicher Zahl erschienen, um an der Festfreude und Feier teilzunehmen und ein Opfer zu dem Werke beizusteuern.

Die Ehrenaufgabe, das "Rollchen" mit der Abschrift der Gesetzestafeln in den neuen Tempel zu übertragen, war dem alten ehrwürdigen Mannes zugefallen, der ein Makler bei Heu- und Strohverkäufen an das Magazin zu Hofgeismar war.

Um dieser feierlichen Aufgabe gemäß sein Äußeres entsprechend auszustatten, sann Mannes auf Ausrüstungsgegenstände. Es gelang ihm von Plengen Clemens eine schwarze Bux, die dieser aus der Fremde her noch besaß und von Knaken Johannes in Rösebeck einen hochstöckigen Zylinder, der noch von anno dazumal stammte, aufzutreiben und sich damit auszustaffieren. Wenn der schalkhafte Schreinermeister Menne Gelegenheit nahm, sich einen Zylinder aufzustülpen und sich mit einem weißen Umhang versah, so vermochte er die auf- und abwogenden Bewegungen, die Mannes mit dem Oberkörper und "Rollche" gemacht hatte, trefflich nachzuahmen. Unkundige wurden dadurch zum Lachen gereizt.

Zur Vollkommenheit der Festfeier gehört auch die Sorge, daß der Magen zu seinem Rechte komme. Das ist von Alters her überall beachtet worden. Auch unsere Israeliten hatten eine Festschänke vorgesehen und sie einem unbemittelten Stammesgenossen übertragen. Neben der Befriedigung der Festteilnehmer wurde auch ein ansehnlicher Verdienst des Schenkhalters damit bezweckt. Der hohen Feier entsprechend hatte der Schenkwirt natürlich auch Wein beschafft. Der Verlauf zeigte ihm bald, daß Teilnahme und Feststimmung über seinen bescheidenen Weinvorrat hinaus wuchsen. Am Platze war Ersatz nicht zu haben, guter Rat also teuer. Nun zeigte sich die Gewandtheit und Gelehrigkeit der Kinder Israels im schönsten Lichte. "Hat sich zu helfen gewußt, tüchtig Suer und Wasser gemischt - hat so auch gut geschmeckt und - hat schaine daran verdient."

Somit steht unser Schenkhalter mit diesem Griffe gleich als vollendeter Meister auf der Höhe des Faches welche die meisten christlichen Genossen wahrscheinlich erst nach spröden Anfängen und längerer Übung erreichen mögen.

Bei seinen Namensgenossen bestand der Brauch übrigens schon vor 2000 Jahren, daß erst guter Wein gereicht wurde und nach Erreichung einer erhöhten Verfassung der Gastgeber unversehens geringeren hinschob, der tat es dann auch. In unserm Falle, wo zwei junge , glutäugige Heber kredenzten, konnte sogar mit "Suer und Wasser" operiert werden.

Der Kramladen des Gastwirts Wehmann war der meinem Elternhause nächstgelegene. Dort mußte ich als Knäblein und Knabe zuweilen Essig und Gewürz einkaufen, je einen Tagesbedarf für wenige Pfennige. Im Kramladen sammeln sich Kunden für verschiedene Bedürfnisse. Kinder holten oft einen Tages- oder Mahlzeitsbedarf an Branntwein. Der Krämer drückte ein Läppchen mit pulverigem Inhalt in den zu füllenden Flaschenhals. Dies Läppchen hielt er dann mit 2 Fingern fest. Die Finger bildeten somit einen Trichterrand , und durch diese goß er den Branntwein in den Lapptrichter. Ein Verständnis hierfür erlangte ich erst später.

Der alte Wehmann in seiner weißen Zipfelmütze und geblümten Kattunjacke war nämlich sein eigener Destillateur und machte in verschiedenen Naturschnäpsen. Kalmuswurzeln, die Lamerder Weiber vom Kelzer Teiche holten, dienten ihm zur Herstellung eines angesehenen "Bitterlikörs". Ein Anhänger desselben behauptete, Methusalem wäre nicht so jung gestorben, wenn er Kalmus getrunken hätte. An unseren Berghängen wachsen Wacholderbeeren, aus denen Wehmann einen "Wachollern" bereitete, der nicht unberühmt war. In Wiesen und an Wegen gedeihet der Kümmel. Aus dem gequetschten Samen bereitete er durch Auslaugung den beliebten "Kümmel", der im Ansehen stand als Spediteur mißliebiger Dünste.

Das waren erfolgverheißende Qualitätschnäpse, die Wehmann aus Erzeugnissen der heimischen Fluren für Männlein und für Weiblein herzustellen verstand.

Bei der Sorte, "wo die ganze Welt von trinkt", und die ursprünglich weißfarbig ist, betätigte sich Wehmanns Erfindergeist in der Färbung. In dem erwähnten Läppchen des kombinierten Fingertrichters befand sich gepulverte Cichorie. Bei der Durchfilterung erhielt der weiße Tropfen die Färbung Strohgelb. Der Preis blieb bei all den guten Eigenschaften, entsprechend den billigen Materialien, ein mäßiger, welches die Zufriedenheit seiner Kundschaft vervollständigte.

Neben vorerwähntem, meist auf das Herbe gerichteten Schöpfergeiste Wehmanns, wohnte unter seiner Zipfelmütze aber auch Verständnis für das Milde. Zu seinen Kunden zählten nämlich auch etliche trinkhafte Weiber, an denen es nimmer mangelte. Diese verlangten zwischendurch nach einem "Süßen". Diesem Verlangen kam Wehmann dadurch entgegen, daß er ihnen aus getrockneten Kirschen einen angenehmen "Kirschlikör" destillierte. Hatten die trinkbaren Weiber diesen über ihr Zünglein gleiten lassen, so setzte sich dieses in lebhafte Bewegung zur Festigung der Herrschaft nach der einen oder anderen Art. Ähnelte dies bei Einigen den bekannten Stimmäußerungen schätzbaren Hausgeflügels, so fehlte auch nicht die kräftige Tonart, die in streithaftem, schier unerschöpflichen Redeflusse den Hausgenossen und Nachbarn einen Spiegel von Schwächen und Nachteilen vorführte, den sie nötigenfalls von den Vorfahren herholten. Dabei regneten die verzwicktesten Titulaturen und Komplimente auf die Erkorenen herab. Die Betroffenen waren davon keineswegs erbaut, während es den Fernerstehenden im einförmigen Alltagsleben als erheiternde Abwechslung galt.

Zuweilen nahm es bei den trinkhaften Weibern einen anderen Verlauf. Nach oftmaligen Wiederholungen ihrer An- und Ausfälle, oder wenn diese etwas gar zu stark waren, setzte es auch wohl mal zur Abwechslung Hiebe und Flucht, Gefangenschaft und Befreiung, die häufig komischer Beigaben nicht entbehrten.

Einmal meinte ein Mann, seine Frau läge in den letzten Zügen, welche Meinung hinzugekommene Nachbarfrauen teilten. Der Mann hatte im Bette nach einer Ursache gesucht und eine Flasche mit der Flüssigkeit hervorgezogen. Für Branntwein hielt man es nicht, man mutete also, die Frau habe einen Mißgriff getan, wodurch eine Art Vergiftung herbeigeführt sei. Der Pfarrer müsse gerufen werden, um für den letzten Gang geistliche Hilfe zu spenden. Ein kleiner Knirps aus der Verwandtschaft, der im Hause zuweilen herumsprang, löste die Spannung. Als wieder die Flasche mit der rätselhaften Flüssigkeit betrachtet wurde, begriff er, um was es sich handelte und stammelte: "Veddere! Is Lum".

Er war mitgelaufen, als Größere hatten Rum holen müssen. Durch sein "Veddere! Is Lum" sprang den Anwesenden ein Reifen vom Herzen. Kam es vom Rum, so war es der oft vorhandene Zustand, diesmal in verstärkter Potenz, der sich schon wieder geben würde.

Die Dilirierende hatte also, ähnlich unserm Altvater Noah, die Kräfte des Rums unterschätzt, oder sie hatte etwas zu tief in die Flasche geschaut. Nun mochte sie sich in einer Art von Verzückung wie im Paradiese wähnen und gebärden, woraus die Umstehenden schlossen, sie wolle die Reise ins Jenseits antreten. Kam aber wieder zu sich.

Längere Zeit vor Wehmann hatte ein gering bemittelter Mann über die Verbesserung seiner Verhältnisse nachgesonnen. Vor seinem Geiste tauchte immerzu ein verheißungsvolles Wirtshaus. Schließlich war es ihm vergönnt, den ausgestreckten Arm mit dem Schild an die Hausecke zu heften. Diese war nicht nur abgelegen, sondern auch äußerst bescheiden, daher zur Anlockung regen Zuspruchs wenig geeignet. In dem kleinen Häuslein mochte wahrscheinlich noch niemals ein Schweinchen gestochen sein.

Vermögenslage und Geschäftserfahrungsmangel geboten Vorsicht gegen Verluste. Daher sollte zunächst Barzahlung als strenges Prinzip innegehalten werden. Zum Betriebe mochte damals erst mal ein Faß Branntwein genügen. Der Zuspruch beschränkte sich zunächst auf einige neugierige Sonntagsburschen. Somit hätte das Faß sehr lange vorhalten können, wäre ihm nicht ein günstiger Umstand zu Hilfe gekommen.

Zu allen Zeiten ist die Meinung in Geltung gewesen, den freien Mittrunk der Wirtsleute müsse das Geschäft abwerfen. Hankestoffel und Trienemrigge, die neuen Wirtsleute hatten für diesen Grundsatz volles Verständnis. Aus großer Vorsicht jedoch beschlossen sie, sich vorerst selbst unter das Prinzip der Barzahlung zu stellen. Wer also "Einen" trinken wollte, mußte sich ihn vom Partner gegen Bar geben lassen.

Damit lebten sie in dem Bewußtsein, sich vor Nachteilen völlig gesichert zu haben. Nach solcher Sicherstellung ist es verständlich, daß unser Paar die Attacke auf das Faß mutig begann. Früher hatten sie es selten zu einem Tropfen bringen können - nun war die Zeit des Ausgleichs gekommen. Die neue Anrede: "Trienemrigge - gif mek für veier Häller - Hankestoffel, heerste, gif mik auk für veier Häller" klang ihnen so angenehm und erwies sich so wohltätig, daß sie ihnen schnell geläufig wurde und in gegenseitigem Eifer zur Anwendung kam. Die veier Häller wanderten mit kurzen Unterbrechungen vor dem Fasse hin und her und waren der Talisman geworden, der den Zapfen löste.

Nach dieser Seite standen also die an das Geschäft geknüpften Erwartungen in voller Erfüllung.

Leider werden die meisten Menschen von dauerndem Glücke nicht begünstigt. Lächelt es ihnen auch mal eine kurze Spanne, so zeigt sich seine Unbeständigkeit doch nur zu bald.

So auch bei unseren Wirtsleuten. Nach einigen angenehmen Monaten versagte der Talisman eines Tages. Das kräftig speiende Faß fing matt an zu rinnen und danach gab es keinen Tropfen mehr. Der äußerlich volle Bauch war ganz leer.

Diese befremdliche Wahrnehmung veranlaßte eine Kassenrevision mit dem Resultate, daß trotz strenger Barzahlung an dem Rechnungspreise des Fasses ein nicht unerheblicher Betrag fehlte. "J du mien Guod! We herre dütt dacht" riefen die verblüfften Wirtsleute.

Aber die Rechnung kann nicht stimmen, wenn bei geringem Zuspruch die Wirtsleute die Sache allein bezwingen sollen. Bei heutiger Geschäftsroutine würde man noch nicht verzweifeln, sondern Betrieb und die Tätigkeit des Talisman auf Kosten des Lieferanten vorerst noch munter fortsetzen. Damals stand die Menschheit dem Kindesalter noch näher, weshalb Irreführung und Überlistung noch nicht auf der Vollkommenheit standen wie in der aufklärten Zeit.

In schlichter Ehrlichkeit holte Hankestoffel das Schild wieder herunter, wozu es bei dem einstöckigen Häuslein nicht mal eines Aufstiegs bedurfte.

"Behüt Dich Gott, es wär so schön gewesen", hatte Scheffel damals noch nicht gesungen. Die frühere Abstinenz trat wieder in Geltung, die umso drückender wirkt, wenn man sich ihr als einer Zwingherrin unterwerfen muß. Ein rundliches Bäuchlein, das Attribut fast aller rechtschaffenen Wirte, war Hankestoffeln übrigens in der kurzen Zeit noch nicht angeformt, weshalb in dieser Hinsicht kein Rückschlag zu verzeichnen ist.

Eine andere Wirtschaft mußte später den Arm wieder einziehen bei flottem Zuspruch. Es war ein Vierspänner der unter dem Schilde sein Glück machen wollte. Als Handwerker das Schild hintrugen, sprach ein schalkiger Augenzeuge: "Jetzt bringen sie dem N.N. die letzte Salbung". Das Geschäft aber florierte prächtig. An Wochentagen war spärlicher Abendbesuch gebräuchlich.

An Sonntagen aber ähnelte unser Wirtshaus einem Taubenschlage. Die jungen Burschen hatten noch nie so lebhaft im Wirtshause verkehrt. Auch Knaben waren Zuschauer des Trubels in vermehrter Zahl . Zuweilen folgten auch vorbeigehende Mädchen dem freundlichen Zurufe und gingen für einige Zeit hinein, um bunte Gesellschaft zu machen.

Wollte der Trunk nicht sonderlich mehr munden, so fand sich die Wirtin auf einen Wink bereit, ihn durch Herstellung einer konsistenten Grundlage wieder zu beleben, indem sie eine Wurst oder einen Block Schinken herunterholte, was hier nimmer gebräuchlich gewesen war. "Kinkel de Kankel machen" nannte es die Wirtsfrau und fand bei ihren Gästen entgegenkommendes Verständnis. Die Gasthalter ließen es sich mitschmecken und neben materiellen Süßigkeiten sogen sie behaglich das Lob der jungen Leute hinzu und empfanden ihre helle Lust an deren lebhaftem Treiben.

Das mühevolle Amt des Ausschenkens besorgte inzwischen ein Tagelöhner, der sich in dieser schwierigen Periode als Hausfreund aufgetan hatte und eigene Letze nicht vergaß, sondern in Einklang und passenden Wechselbeziehungen mit den Bedürfnissen der Gäste zu setzen verstand.

Nach dem Prinzip "Leben und leben lassen" mochte es mit der Bezahlung nicht immer haarscharf gehalten werden. Eine scharfe Geschäftspraxis in dieser Hinsicht würde die jugendliche Kundschaft leicht verschnupft haben, weil das Geld ihr dazumal recht knapp war. Das ging einige Jahre gut, dann begann es zu hapern. Das Ende vom Liede war, daß Arm und Schild eingezogen werden mußten. Es ging mit neuem Namen zu einem neuen Anfänger über. Es wohnte sich aber nicht mehr völlig so behaglich unter ihm.

Die Hälfte der Grundstücke ging hinter dem Schilde her zu neuen Besitzern. Aus dem Vierspänner wurde ein Zweispänner. Und das hatte mit ihrem Singen die Loreley getan, vulgo Wirtshausschild.

Vergnügte Jahre aber waren es für alle gewesen, die sie zu würdigen verstanden hatten. Ihnen blieben sie noch lange in angenehmer Erinnerung. "Ein Märchen aus alten Zeiten, das will mir nicht aus dem Sinn". Unseres Wissens büßte noch ein Dreispänner seine Habe unter dem Wirtshausschilde völlig ein.

Des Sommers wurde an Sonntagnachmittagen ehemals regelmäßig Grünklee eingeholt, wobei man sich selbstverständlich etwas beeilte. Ging gegen Herbst der Grünklee zu Ende, so begaben sich die Mägde nach der Sonntagsnachmittagsandacht mit dem Krautlaken zum Kohlfelde, brachen ein Bund Blätter und trugen sie auf dem Kopfe heim. Hierzu bedurfte es keinen besonderen Geheiß, es waren althergebrachte Bräuche.

Die grellfarbenen Kleider mit Einsatz und Litze, die schneeigen Schürzen, mit denen die Mägdlein jetzt am Sonntagnachmittag und Abend flanieren gehen, hätten sich zu damaliger Beschäftigung nicht geeignet.

Am Grünendonnerstage kam ein Grünkohl auf den Mittagstisch, sogenannte "Niegenstiärkede". Der Name kam daher, daß erstens 9 Kräuterlein darin Verwendung fanden und zum andern, daß diesen am genannten Tage neunfache Kraft und Stärke inne wohnen sollte. Die Hecken und Zäune der Gärten wurden lebhaft nach ihnen abgesucht. Dort sproßten im Frühling: Gäßeln, Hopfen, Kümmel, Scharbock, Brennessel - - - wer kennt die übrigen?

Am Maitage sah man hie und da Stalltüren mit weithin sichtbaren Kreuzzeichen. Das hatte folgenden Grund: Gemäß einer alten Volkssage zogen in der ersten Maiennacht - Walpurgisnacht - die Hexen, auf Besenstielen reitend durch die Lüfte zum Blocksberge, um auf hochragender, umwaldeter Bergeskuppe unter der Direktion und Anführung des obersten Hexenmeisters einen nächtlichen Hexensabbath zu feiern.

Vor Jahren bestieg ich ihn auch mal, den Brocken it seinen gewaltigen Felstrümmerblöcken von Andreasberg aus über den kleinen Brocken und das sumpfige Brockenfeld. Das Wetter war zur Fernsicht sehr günstig, welches auf dem Brocken recht selten zutreffen soll. Im Schneeloch und Ilsetal gings wieder hinab nach Ilsenberg.

Besagte Hexen hatten nun die böse Gewohnheit, auf ihrem nächtlichen Ritte hie und da in einen Viehstall hinabzusteigen und im Vorbeigehen eben einem Stück Vieh den Hals umzudrehen.

So indes einige Kreuzzeichen auf der Tür angebracht waren, so konnte keine Hexe hineinkommen, sondern mußte unverrichteter Dinge schleunigst umkehren und davonjagen.

Vorsichtige versahen also am Abend des 30. April ihre Stalltüren mit weit sichtbaren Kreidekreuzzeichen.

Die Reformation soll ihre Wellen auch nach Körbecke geworfen haben und einen Teil unserer Vorfahren zum Abfall veranlaßt haben. Die Tradition besagte, ein lutherischer Geistlicher habe in der sogenannten "Hohlenweide" gewohnt. Aus diesem Anlasse seien auf dem sumpfigen Ausgangspfad nach der Kirche hin in trittweisem Abstande die noch vorhandenen größern Trittsteine gelegt worden.

Ein namhafter Geschichtsforscher teilte mir aus urkundlichen Informationen gelegentlich mit, Körbecke habe sich unter dem Einflusse der Herren von Spiegel zum Desenberg bis 1600 der lutherischen Lehre zugewandt. Hierbei sei erwähnt, daß bei einem Besuch der Wartburg bei Eisenach der oft zitierte Tintenklecks, den der Reformator von Wittenberg dort im Lutherzimmer gestiftet haben soll, nicht mehr vorhanden war. Die Stelle wurde nur noch rechts vom Türeingang gezeigt.

Als Schreiber ds. das Kaiserhaus zu Goslar am Harz besichtigte, zeigte und erklärte der Schloßwart u.a. auch im Reichssaal die Wandgemälde, Darstellungen aus der Deutschen Dichtung, von Professor Wislicenus.

Die Darstellung, daß Kaiser Heinrich III mit seinen stolzen, gewappneten und gepanzerten Mannen den greisen Papst Gregor VI als Gefangenen über die Alpen nach Deutschland führt, erläuterte er mit sichtlichem Behagen. Dann auf eine Figur in der Nähe des Papstes zeigend, fuhr er gereizten Tones fort: "Und dieser schwarze Mensch hier, ist der Hildebrand, der später noch Papst wurde und den Kaiser zwang, nach Kanossa zu gehen." Auf diesen schwarzen Menschen und den Canossa-Gang schien in der biedern Kastellansseele ein ernster Pick zu haften, der ihm die Freude an dem sonst so erbaulichen Gemälde in der Seele vergälte.

Holzkohlen mußten bei Schmieden Verwendung finden, als Eisenbahnen den Kohletransport noch nicht förderten. Über Kohlenbrennen in den Waldungen bei Bühne ist die Rede in unsern Holzprozeßakten. Nach mehr denn 15jährigem Betrieb der Bahnstrecke Warburg-Kassel sah ich einen Schmied von Liebenau Kohlen brennen hinter Friederichsfeld.

Franz, ein Leineweber , trug eimmal einige Ersparnisse nach Warburg, um sie in der Sparkasse anzulegen. Aus seinen Kreisen kamen Sparkasseneinleger damals sehr selten. Franz machte eine Ausnahme, weil er alljährlich ein nettes Sümmchen aus verkauftem Leinen löste. Seine alljährlich gute Bleiche wurde teilweise auf Nutzanwendungen bei der Weberei zurückgeführt.

Auf besagtem Gange traf er Joseip, einen Kleinbauern, der seine städtischen Geschäfte hauptsächlich mit "Hähren Bäckers" machte. Bei dem Hin und Her des Zwiegesprächs über die Zwecke des Stadtbesuchs offenbarte Franz auch sein Vorhaben bei der Sparkasse.

"Dat nümmet dek Hähr Bäckers auk af un gift dek de sülftege Tinse" sagte Joseip, und redete eindringlich auf Franz ein zur Anknüpfung mit "Hähren Bäckers", "weil dat so ne gewältig gooden Mann is". Als sie dessen Haus betraten, hatte sich die Umschnürung um Franzens Geldbeutel schon merklich gelockert.

Nachdem dann noch die Schleusen von Hähren Bäckers zuvorkommender Redegewandtheit sich gegen Franzen ergossen, sprang der Geldbeutelverschluß völlig auf und mit Freuden schüttete Franz den Inhalt vor seinen neuen Gönner hin.

Nun wurden die beiden Weggenossen in Hähren Bäckers Wohnstube zum Sofa geleitet und ihnen ein Kaffee mit Zucker und Wegge serviert, wie er in fürstlicher Schmackhaftigkeit Franzens Zunge niemals passiert hatte. Dabei fand eine angenehme Nötigung zum Zugreifen statt, der sie willig nachgaben. Nachdem sie somit eine erkleckliche Anzahl Tässlein geschlürft hatten, wartete ihrer eine Zigarre, die man damals nur unter der Nase Vornehmer zu sehen gewohnt war. "Nei! wenn ick düt mit der Sparkasse verglieke" sprach der entzückte Franz mit dankbarem Aufblick zu seinem Reisekumpel, "dann kümmet mek et für, orre wemme innen Himmel is. So ne leven, fründleken Hähren hawwek in der Stadt nau nie eemal andruopen. Up der Sparkasse, dat sind de reinen Jiesbärens hiejigen - de beiet enen nie mal ne Stohl an. Meindagdeslebens set ek diän Kärels kienen Foot wieder över de Schwelle."

Dann beklagte er, diesen charmanten Hähren Bäckers nicht früher gekannt zu haben und so dumm gewesen zu sein, nach der Sparkasse zu gehen.

So hatte "Hähr Bäckers" in Franzen einen begeisterten Lobredner mehr gewonnen. Nur schade, daß des Letzteren Bekannte nicht in der Lage waren, Depositen zu dem Gepriesenen hinzutragen.

Franz mochte seine neue Anlage noch nicht oft vermehrt, den obligaten Süßkaffee noch nicht häufig verkostet haben, als eines Tages die Kunde seine Ohren erreichte , Hähr Bäckers sei Pleite. Ein Donnerknall aus wolkenlosem Himmel hätte ihn nicht heftiger erschrecken können. Wie elektrisiert sprang er vom Webstuhle auf und stürmte nach Warburg, um sein Geld zu retten. "Hähr Bäckers" erklärte ihm mit bekümmerter Miene, er habe den Konkurs anmelden müssen und dürfe nun keinerlei Zahlungen mehr machen. Er vertröstete ihn auf die Konkursmasse. Diese war indes so wenig massig, daß sie an die nicht bevorzugten Gläubiger längst nicht heranreichte. "J, du mien Guod! " rief Franz nun das eine über das andere mal, "sollek denn düt dacht hawwen!". Sein Geld aber sah er nicht wieder und zum ferneren Lobgesange auf "Hähren Bäckers" war ihm die Melodie abhanden gekommen. In der Schlußrechnung stellte sich der Süßkaffee sehr teuer, dem ein "anderer Tee" mit anhaltend ätzendem Nachgeschmack folgte.

Als Franz später wieder einiges erübrigte, hat er den Eisbären auf der Sparkasse ihre Schnuffigkeit in christlicher Weise verziehen und sich mit ihnen wieder angefreundet.

Etwa in der gleichen Zeit, als Franz seinen neuen Bankhalter huldigte, erhielt ein hiesiges Mädchen von der Gerichtskasse zu Warburg einen Geldbetrag von mehreren hundert Talern ausgezahlt. So wie es die Summe in die Schürze gerafft hatte, trug sie es unter Assistenz der ratsamen Frau Lene direkt zu "Hähren Bäckers" und schüttete sie in dessen Schoß. Darin verschwand sie ebenfalls auf Nimmerwiedersehen.

Der Nachtwächter war amtlicher Schutzwart gegen Diebstahl, Einbruch, Brandstiftung etc., verkörperte also das wachende Auge des Gesetzes während der Nacht. Zu diesem Zwecke patrouillierte er stündlich durch das Dorf, rief auf bestimmten Stellen die Stunde ab und tutete deren Zahl durch das Wachthorn. Dies geschah im Sommer von 10 bis 2 Uhr, im Winter von 9 bis 3 Uhr.

Sollte dieser nüchternen Tätigkeit einige Poesie angehaucht werden oder war es Zufall, daß der Stundenruf in Verslein erscholl. Er lautete:

        Höret ihr Herren, was will ich euch sagen,

 

        Die Glocke hat neune - etc. - geschlagen.

 

Winterabends um 9 Uhr wurde hinzugesetzt:

 

        Verwahret das Feuer und auch das Licht,

 

        daß euch und dem Nachbarn kein Schaden geschieht.

 

        Tuht! Tuht!

 

In der Winternacht lautete der 3-Uhr-Stundenruf wie folgt:

 

        Ihr lieben Christen seid munter und wacht,

 

        Der Tag vertreibet die finstere Nacht.

 

        Ihr wisset nicht, wann der liebe Gott kömmt,

 

        Der uns mit seiner Gnade aufnömmt.

 

        Das hoffen wir alle Stunden! Tuht! Tuht!

 

Der Wächter muntert, nannte man diesen Stundenruf.

In der Christnacht gesellten sich freiwillige Sänger hinzu, um beim mitternächtlichen Stundenrufe die Strophe eines Weihnachtsliedes zu singen. Kälte und Schneelage waren daran kein Hindernis.

Am Neujahrstage blies der Wächter allen Einwohnern ein "Glückseliges Neues Jahr"! ins Haus. Dabei flocht er in einen Spruch die Heischung einer Neujahrsgabe. Diese bestand in Bauernhäusern aus Brot und Fleisch. Es mochte auf die Gabe einwirken, wenn in der Christnacht das Weihnachtslied hübsch zum Vortrag gebracht war.

Dorfbewohner am Tage als Herren anzusprechen, war damals nicht üblich. Vielleicht mochte ihr Äußeres nicht sonderlich dazu einladen. Wenn sie jedoch nachts schliefen, unterschieden sie sich nicht von städtischen Herrenleuten. Mit Fug und Recht gebührte ihnen also auch die gleiche Titulatur, welches der Nachtwächter begriff und beachtete. Daß sie deshalb obstinatig würden, war nicht anzunehmen, da sie nach dem Erwachen beim nächtlichen Dreschen immer wieder ernüchtert wurden.

Als alle Leistungen sichtlich zurückgingen, wollte der Nachtwächter keine alleinige Ausnahme machen. Nachdem er abends geblasen, zog er sich in seine Klus und ließ sich nachts weder sehen noch hören. Dadurch dämmerte bei den Dorfvätern die Meinung auf, es müsse sich auch ohne Wächter schlafen lassen, wofür wir Außenwohner, ein entsprechendes Beispiel waren. Der Posten wurde also ganz eingezogen. Seit einigen Jahren schläft man den Schlaf des Gerechten ohne Nachtwächter.

Knabenspiele waren zwischen Winter und Frühling das Ballschlagen und Blindekuh, im Herbst das Sauhüten oder -schlagen. Beim Ballschlagen und Sautreiben waren es immer 2 Parteien, die ihre Kraft und Geschicklichkeit gegeneinander setzten. Des Winters wurde unter Umständen geglitscht auf kleinen Eisbahnen im Dorfe, auf größeren unter den Thünen oder auf dem vorderen Bruche, wo sich zuweilen eine ausgedehnte Eisfläche befand. Ferner wurde Schlitten gefahren in Beckers Worth oder an der Lieth, bei Tauwetter geschneebällekert. Vom Frühling bis Herbst wurden Feld und Wald durchstreift. Die Mädchen lagen viel einem Fangspiel mit 5 Steinen ob.

Im Nachwinter verkündeten die schrillen Schreie des Sägenschärfers, daß Zimmerleute und Sägenzieher an der Arbeit waren, um mit der Dielsäge Bauholz zu schneiden. Hierzu wurden die Eichenstämme auf zwei Sägeböcke gewälzt, die mit einem Ende auf dem Boden ruhten, während das entgegengesetzte Ende auf zwei starken Beinen von über Mannshöhe stand. Beim Sägen stand der eine Mann oben auf dem Baume, der zweite unter dem Baume auf der Erde. Auf gleiche Weise wurden Eiche und Esche in Bohlen geschnitten zu Tischlerholz. Latten wurden mit der Faustsäge geschnitten. Gattersägen wurden wenig in Anspruch genommen, weil Handarbeit im Angebot war. Auch Holz für den Handel wurde mit der Hand geschnitten, teils im Walde, teils auf Holzlagerplätzen.

Staketteinfriedigungen waren unbekannt. Alle Umfriedigungen bestanden aus lebenden Hecken oder aus verbundenen Zäunen. Infolgedessen war der lebhafte Zaunkönig ein vielgesehener Gast, der auch im Winter zuweilen seine Strophe in kräftiger Tonart hören ließ, als wolle er dem Froste trotzen.

Auch Nachtigallen waren mehrfach unsere alljährlichen Gäste. Am Spätabend und nachts konnte man die seelenvollen Töne dieses ersten Sängers vernehmen, wenn man sich draußen befand oder das Fenster öffnete. In kurzen Pausen sang sie auch am Tage.

Damals waren die Gärten mit größeren und stärkeren Obstbäumen bestanden, die in der Laubfülle stellenweise einen waldartigen Eindruck machten.

Manche Großbauern hatten ihr eigenes Backhaus. Diese standen in den Gärten und bei ihnen lagerte Hecken-, Stangen- und Astholz in größeren Haufen. Diese Zusammengehörigkeiten boten den Singvögeln geschützten, dunkeln Aufenthalt zu Nistplätzen und zur Nahrungssuche.

Mit dem Aufhören dieser Verhältnisse schwanden auch die Lebensbedingungen der Singvögel, die demnach seltener wurden oder ganz verschwanden.

Zwei Storchenpaare waren immer hier beheimatet, um sich die Sorge um die Ankunft und Verteilung des kleinen, weltbürgerlichen Nachwuchses aufbürden zu lassen. Ihre dornige Sommerresidenz bauten sie sich auf der Giebelspitze von Strohdächern.

Als die Strohdächer verschwanden, siedelten sie sich zwischen Schornstein und Dach, auch auf der Giebelfirst eines Ziegeldaches an. In letzterm Falle wurde ihnen durch Anbringung eines alten Wagenrades ein Fundament gelegt. Seit längern Jahren wohnt nur noch ein Paar hier.

Die musikalische Kunst zählte auch hier ihre Jünger. Eine Familie Voland war in allen männlichen Mitgliedern gut musikalisch. Daneben waren noch einige ältere Musiker. Somit benutzten noch junge Leute die Gelegenheit, sich musikalisch auszubilden. Daher waren Kräfte zu einem ständigen, vollständigen Musikkorps von 6 Mann vorhanden. Diese leisteten die Musik zu Haushebungen, Tanz, zum Schützenfeste, Kirchenmusik bei Erstkommunionen und am Frohnleichnamsfeste, zu Hochzeiten und vereinzelt zu Erntehahnen.

Als Bezahlung am Platze erhielten sie für sonntägige Tanzmusik je Mann 1 1/2 M, 6 Mann also 9 Mark, damals 3 Taler.

Sie zogen auf Verdienst nach den Frankfurter Messen und haben jedenfalls auch in der Umgegend gelegentlich Musik gestellt.

Aemmelke - Amalie, die bejahrte Jungfrau, war in den Jugendjahren mit ihrem Vater König auf Kunstreisen gezogen und hatte dessen Geigenspiel mit den Klängen der Harfte sekundiert.

Ein alter Geiger Hofmann, geistig nicht mehr normal, ergeigte sich seinen Lebensunterhalt.

Die frühern musikalischen Familien sind fast alle ausgewandert. Gegenwärtig beschränken sich die musikalischen Fähigkeiten auf einige Klavierspieler, von denen einer auch ein geläufiger Orgelspieler ist, und auf einige Harmonikaspieler.

Das Schützenfest begann alljährlich am 2. Pfingstfeiertage. Eingeleitet wurde es durch den großen Zapfenstreich den Trommel und Pauke am Vorabend des Festes unter Gefolgschaft einer ansehnlichen Kinderschar durchs Dorf trugen. Das war ein Ereignis. Mit ihm kündigten sich die höchsten Freudentage im Jahreslaufe für die Schuljugend, nicht minder für die Erwachsenen an.

Dem feierlichen Ausmarsche nach dem Strumbook am zweiten Pfingsttage gingen Sammelmärsche im Dorfe voraus, die alle Einwohner in die Türen und auf die Straße lockten. Auf dem Strumbook war Königsschießen, Schenke und Tanz, alles im Freien am nahen, frühlingsgrünen Walde bei schöner Fernsicht. Zuschauer und Gefolge fand sich in Menge ein. Regelmäßig erschienen hessische Nachbarn aus Liebenau, Ostheim, Lamerden, kurfürstliche Dragoner von Hofgeismar in ihren damaligen farbenreichen, beschnürten Uniformen.

Am Spätnachmittage erfolgte der feierliche Einmarsch mit dem neuen Könige und Festmarsch durch die Dorfstraßen zur Darbringung militärischer Ehren. Die neue Königswürde nahm das Hauptinteresse des Tages in Anspruch. Diejenigen, die zu Hause verblieben waren, hatten sich vor dem Einmarsch schon von Heimkehrenden die Frage beantworten lassen: "We ist Künnig woren?" und die Antwort von Mund zu Mund weitergegeben.

Der Festmarsch durch die Dorfstraßen mit der Darbringung militärischer Honneurs wiederholte sich am folgenden Tage zweimal.

Wenn der hünenhafte Adam Jostes, Ackermann und ehemaliger Kürassier, mit Pferdekraft die tonangebende Klarinette zum Präsentiertusch blies, in welchen der wirre Trommelwirbel und dröhnende Paukendonner hineinklang, während der Fähnrich Bremer das große Banner von einem Ackerwagen herab in weitem Bogen schwang, so war das für bewegliche Knabengemüter zu viel, um nicht in einen Rausch von Begeisterung zu geraten. Das Schwenken des Banners vom Ackerwagen herab geschah ausnahmsweise vom genannten Fähnrich. Manchmal schwang er sich mit großer Gewandtheit auf den Wagen, um den Eindruck zu erhöhen. Die großen, weiß, rotwallenden Federbüsche neben den breiten, roten Schärpen der Chargierten übten auf Kinderaugen und Gemüter eine bezaubernde Anziehungskraft. Diese säbel- klirrenden Chargierten, meist hochgewachsene Männer, übertrafen bei uns Kindern die Heldenhaftigkeit von Blücher und Wellington, die den Kaiser Napoleon besiegt hatten.

Mit der Königswürde war die Aufgabe verbunden, einen Schinken zu stiften, der am zweiten Tage nach festlichem Einmarsch in seiner Wohnung mit dem üblichen Zubehör feierlich verspeist wurde. Warf nun beim Einmarsch ins Haus die Musik verstärkte Schallwellen zurück, welche den kleinen König zu rasenden Gewaltschlägen auf die Pauke entflammten und im Vorgefühle von dem seltenen Genusse die ganze Schützengarde elektrisieren, so lohte auch die Begeisterung der begleitenden Kinderschar zu heller Flamme auf.

Das Schützenbier wurde auf gemeinschaftliche Rechnung bezogen und dann frei verzapft. Der schäumende Trank mundete köstlich und hielt sich für lange Zeit in lieblicher Erinnerung. Die Knabenschar schwelgte in den Schützentagen in Augen-, Ohren- und Phantasiegenüssen. Der Gaumenkitzel steckte bei ihr noch in den Kinderschuhen und auf den unbekannten Biergenuß war sie nicht begehrlich. Nichtsdestoweniger taten einige Knaben mal unter Vorbehalt des Vaters, Onkels oder Hausgenossen einen Zug des schäumenden Saftes aus dem Bierglase und flossen dann über von Ruhm über die kapitale Köstlichkeit. In den letzten Schuljahren und der nächsten Folgezeit empfingen Knaben als Pfingstgabe einige Pfennige oder Groschen, womit auf dem Strumbook ein gemeinschaftliches oder selbsteigenes Bier bestritten wurde.

Die Schützen erhielten aus Gemeindemitteln einen Kostenzuschuß, der aber später wegfiel.

Die Schützenkompanie bestand aus verheirateten Männern und älteren Junggesellen. Jüngere Leute wurden nicht zugelassen.

Als das Schützenfest im Erstlingsflore stand und sich aus der Einwohnerschaft ein Musikkorps zusammenfand, war es ein Ehrendienst der Schützengarde , die Frohnleichnamsprozession zu begleiten. Sie bildeten unter präsentiertem Gewehr bei jeder Station Spalier zum Durchzug des Sanktissimum. Die Prozessionslieder wurden wechselweise eine Strophe gesungen, die nächste mit Musik vorgetragen, wobei jedes Teil zu Atem kam. Den jedesmaligen Segen begleiteten Gewehrsalven.

Die Festpredigt fand regelmäßig unter Mantels Linde statt. Diese stand oberhalb des Dorfes an einer Anhöhe. Dort saßen zu Füßen des Predigers die weiblichen Zuhörer auf abhängigen, blumenbesäten Rasenteppich. Seitwärts saß der männliche Teil an den Böschungen eines Hohlweges. Die weitausgreifenden Äste der altehrwürdigen Linde breiteten sich über die Teilnehmer aus und senkten ihr Gezweig schattenspendend und schützend auf sie nieder. Am äußern Ende des Hohlweges besorgte dies Röttkers große und breite Rundhecke. Das waren lauschige Sitzplätze.

In die Stimme des Predigers mischte sich das leise Lispeln der Lindenblätter und das Trillern der Lerchen, welche ringsum aus den Feldern emporstiegen.

Das war ländliche Poesie.

Nicht selten gewahrte man unter Mantels Linde die Prozession der Gemeinde Bühne unter der Hohenfelder alten Linde.

Wir Knaben krochen aus kindlicher Beweglichkeit oder bedürfnishalber während der Predigt wohl mal um Röttkes Rundhecke. Für die verwunderliche Wahrnehmung, daß einige Schützen hinter der Hecke sich eine Flaschenstärkung gestatteten, brachte die spätere militärische Schulung erst das richtige Verständnis.

Der Soldat soll nämlich bei seinen Feldzügen einen Vorrat an Lebens- und Stärkungsmitteln mitführen, auch in der Feldflasche. Da das Schützentum nun eine militärische Nachbildung ist, so kann auch der Feldflasche ihre Berechtigung nicht abgesprochen werden. Offenbar war es eine Konzession an die vielen Teilnehmer, die von militärischen Dingen verstanden, wenn sie nicht offen am Riemengehenk schaukelte, sondern sich mit dem verschämten Rocktaschenversteck begnügte. Hier war sie auch sicherer. In offener Hüftenstellung hätte sie seitens militärisch ungeschulter Schützen, die bei der Hantierungen mit ihren "Kuhfüßen" einen etwas weiten Bogen schlugen, leicht einen mörderischen Klatsch erhalten können.

Der Flaschenstulp hinter der Hecke mochte vielleicht die erhebende Wirkung der Festpredigt noch steigern, oder die Nerven für die kommenden Gewehrsalven stärken, vielleicht auch beides zugleich bewirken sollen. Hatten die Schützen somit am Frohnleichnamstage nach Kräften zur Erhöhung der Festlichkeit mitgewirkt, so ließen sie die Feststimmung am folgenden Tage noch in einer weltlichen Feier ausklingen.

Ein Torflager wurde im Jahre 1816 in einer Muldensenkung an der Borgentreicher Gemarkungsgrenze entdeckt. Es wurde bis über die Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts dort in beträchtlicher Menge guter Brenntorf gegraben. Das war ein billiges Brennmaterial, welches fast allgemein mehr oder minder benutzt wurde. Mit seiner Entdeckung war also der Gemeinde, besonders den weniger bemittelten Eingesessenen, ein sehr schätzungswerter Dienst erwiesen. Nach meiner Erinnerung ging die Ausgrabung 6 bis 8 Fuß tief.

Entdecker war der Schulmeister Heeger. Als Sohn des Münsterlandes mochten Jugenderinnerungen ihn zu der Entdeckung führen. Heeger war Klosterbruder in Herstelle gewesen. Als zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die meisten Klöster aufgehoben wurden, zerstreuten sich ihre Insassen in alle Welt. Heeger kam nach Körbecke und wirkte hier lange als Küster und Lehrer höchst befriedigend. Weil der damalige Pfarrer Finkelnburg wegen Gichtbeschwerden zuweilen unfähig war zur Ausübung geistlicher Funktionen, wurde dem ehemaligen Klosterbruder eine Weihe erteilt, und so war Heeger Vikar, Küster und Lehrer in einer Person.

Neben seinem Wirken für geistige Hebung war er in selbstloser Weise auch auf das materielle Wohl der Gemeinde bedacht.

Ein Zeugnis hierfür ist, daß er bei den damaligen bescheidenen Einkommen eine Mauer von 4 bis 5 Fuß hoch und ca. 90 Meter Länge rings um das Schulgrundstück und einen Brunnen auf eigene Kosten anlegen ließ. Seine Steine- und Holzfuhrleute bewirtete er nach deren Begriffen fürstlich. Dabei kam seine eigene Letze nicht zu Schaden, denn bei der Nachlaßauktion konnten 2 Männer sich probeweise gleichzeitig mit seiner Weste umknöpfen. Eine solch gedeihliche Lehrperson ist uns seither nicht wieder beschieden worden. Er blieb lange im besten Andenken.

Die Kartoffelkrankheit, hervorgerufen durch einen Pilz, Perenospera infestan, trat erstmals im Jahre 1845 auf. Wahrscheinlich war die Kartoffel damals noch nicht 150 Jahre hier heimisch. Der Zeitpunkt ihrer Einführung wird sich schwer nachweisen lassen. Als im Jahre 1709 meine damalige Ahnmutter mütterlicherseits, Lucia Derenthal, ihr Gut ihrer heiratsbeflissenen Tochter Magdalene Derenthal übertrug, bedingte sie sich Leinland und Kohlland, aber kein Kartoffelland aus. Dies läßt zwar noch die Deutung zu, daß sie von ihrem andern, sogenannten Derenthal'schen Stammgute, welches später zu dem jetzigen Gutshofe Marienburg ausgewachsen ist, und welches sie vorher an ihren Sohn Friedrich Derenthal übertragen hatte, Kartoffelland ausgedungen habe.

Wenn ich indes erwäge, daß meines Wissens die Tradition noch davon belebt war, vor der Kartoffelzeit sei in Bauernhäusern viel Sauerkraut eingestampft, so neige ich unter Berücksichtigung des Umstandes, daß Traditionen sich im allgemeinen nicht weit über 100 Jahre fortgepflanzt zu haben scheinen, zu der Annahme, bei besagter Gutsübertragung von 1709 sei die Kartoffel hier noch unbekannt gewesen.

Hier möchte ich die Bemerkung einschalten, daß das Gut, welches im Jahre 1709 von meiner Ahnfrau auf die folgende überging, später in meinen Besitz kam. Ferner, daß Pfarrer Grüe in Borgholz in der Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, in dem er das Adelsgeschlecht derer von Derenthal behandelt, welches urkundlich im 16. und 17. Jahrhundert auf seinem Rittersitze zu Borgholz und Natzungen saß, S. 152 u. 153 die Meinung äußert, die Familie Derenthal zu Körbecke möge von jenem Adelsgeschlecht abstammen.

Der letzte männliche Sproß der hiesigen Hauptfamilie Derenthal, Joseph Derenthal, Gutsbesitzer und Landtagsabgeordneter, sprach meines Wissens einmal davon, seine Familie solle ehemals zum Adel gezählt haben.

Nach dieser Abschweifung wieder zur Kartoffelkrankheit. Das Kraut wurde trocken unter unangenehmen Geruch und die Knolle faul. Im folgenden Jahr 1846 trat die Krankheit sehr stark auf und minderte den Ertrag gewaltig. So erzählte mir kürzlich ein Mann, sein Vater habe im Frühjahr 6 Sack ausgepflanzt und im Herbst 3 Sack geerntet.

Im gleichen Jahr war auch eine Fehlernte in Halmfrüchten zu verzeichnen, die zwar strohreich, aber desto ärmer im Körnerertrage war. Im zeitigen Frühjahr habe ungekannt üppiges Wetter eingesetzt, wodurch die Erwartungen hinsichtlich der Ernte aufs Höchste stiegen. Vielleicht hatte eine sehr frühe Blüte durch Nachfröste gelitten. Die Druschresultate seien außerordentlich gering gewesen.

Die Folge einer Fehlernte bei Getreide und Kartoffeln zugleich war eine Teuerung im Jahre 1847.

Wegen mangelhafter Verkehrseinrichtungen konnten damals Getreide und Kartoffeln aus entfernten Gegenden nicht bezogen werden. Damals galten im Getreideverkehr Maße ohne Gewicht. Wenige Jahre später wurden Gewichtsbestimmungen eingeführt, wonach zum Scheffel Weizen 85, zum Scheffel Roggen 80 Pfund zu liefern waren. Der vorher gebräuchliche gemessene Scheffel wog in der Regel einige Pfund weniger.

Im Jahre 1847 stieg der Scheffel Roggen auf 6 Taler, Weizen noch etwas höher. Das waren unerschwingliche Summen für Leute, die von der Hände Arbeit leben mußten, zumal bei den damaligen geringen Arbeitslöhnen. Und zu solch enormen Preisen war Getreide noch nicht erhältlich. Die Preissteigerung setzte im Frühjahr ein, als die Bauersleute ihren Überschuß verkauft haben. Es mangelt an greifbarer Ware. Die Gemeinde beschaffte für 800 Taler Getreide, wahrscheinlich auf behördliche Anregung hin. Es soll wenig Nutzen damit gestiftet sein, wahrscheinlich weil Engherzigkeit in der Kreditgewährung herrschte.

Als weitere Folge der Mißernte erschienen die nachgeborene Zwillingsschwester der Teuerung, die

Hungersnot im Jahre 1847.

Zwischen den bejahrten Leuten mangelte es sicher nicht an Personen, die in ihrer Jugend im Jahre 1847 und auch früher oder später Bekanntschaft mit dem Hunger gemacht haben.

Die Kartoffelkrankheit blieb zunächst permanent. Man wußte kein Mittel dagegen. Bei hohen Fruchtpreisen und geringem Verdienst bestand ein Mißverhältnis zwischen der unbemittelten Bevölkerung. Daher war die genügende Brotbeschaffung nicht immer möglich. Der Kinderappetit aber ist immer lebendig, besonders in den bessern Jahreszeiten und an den längeren Tagen, wo kindliche Lebhaftigkeit Spiel und fortwährende Bewegung veranlaßt.

Sind die Eltern außer Stande, den stets erneuten Forderungen nach Brot gerecht zu werden, so preßt das ihnen zuweilen Worte aus, die hart scheinen wollen. So vernahm ich damals folgenden Gramspruch einer gequälten Mutter: "Ik woll, dat dek Hunne bedülsmeden un nieh freuer wieder wach wören, bis de Roggen riepe wöre." Bedülmen ist der Ausdruck für den Zustand der Betäubung.

Tagelöhnereltern hatten eines abends ihre Kinder früh zu Bett verwiesen, um ihnen über den Mangel an Abendbrot hinwegzuhelfen. Die Kinder konnten jedoch den Schlaf nicht finden und weinten, weil der Hunger stärker war als der Schlaf. Nun sprach ihnen der Vater Trost zu, aber eine Stunde müßten sie noch warten, dann wolle er ihnen zu essen schaffen. Nach dieser Zeit begab sich der Vater fort und kehrte danach heim mit einigen Kohlraben im Sacke. Nun konnte der Kinderhunger gestillt werden. Zum Einholen hatte offenbar erst genügend Dunkelheit abgewartet werden müssen.

Bettler waren in damaliger Zeit auch ohne Mißernten eine bekannte Erscheinung. Insbesondere kamen sie fleißig und nachhaltig aus den armen Nachbardörfern Muddenhagen und Bühne; auch das bedürftige Lamerden stellte seinen Teil. Im Hungerjahr 1847 folgten sich die Bettler scharenweise in täglicher Wiederkehr, einheimische und fremde, letztere im Übergewicht.

In den Litaneien folgt die Hungersnot der Pest und ist dem Kriege vorangestellt.

In Zeiten besserer Wohlhabenheit und steter Sättigungsmöglichkeit wird es am vollen Begriffe dafür mangeln, was es heißt, mit dauerndem Mangel am Notwendigsten, mit Hunger dauernd kämpfen zu müssen, das Begehren einer bleichen, hungrigen Kinderschar nach unentbehrlicher Nahrung langzeitig nicht stillen, Krankheit und Siechtum von den Seinigen nicht abwehren zu können und in Schulden zu geraten, deren Tilgung unabsehbar ist.

Dieser Zustand herrschte damals weithin und am schärfsten bei denen, die nicht zum Bettelstabe greifen wollten.

Auf der andern Seite war es nur wenigen möglich, die in rascher Aufeinanderfolge erscheinenden Bettlerscharen genügend zu befriedigen. Manche, die dafür angesehen wurden, mochten vielleicht wegen eigener schwieriger oder beschränkter Vermögenslage wenig oder nichts reichen können. Einem unverkennbaren Notstande gegenüber war das in seiner täglichen Wiederkehr auch ein Übelstand schwerer Art.

Das "Hungerjahr" erhielt sich lange im Gedächtnis und im Munde. Voraussichtlich wird es hierzulande das letzte gewesen sein.

Während in den Vorzeiten Mißernten und Hungersnöte eine oft wiederkehrende Erscheinung waren, läßt jetzt vermehrte Düngung und bessere Bestellung Mißernten höchstens in beschränktem Maße auftreten. Hungersnot aber wird wegen besserer Ernten, ferner wegen Ausgestaltung und Vervollkommnung der Verkehrsmittel voraussichtlich nicht wiederkehren.

Die Kartoffelkrankheit verlor an Bedeutung, nachdem neue Sorten eingeführt wurden, die widerstandsfähiger waren. In nassen Jahren tritt sie aber immer noch auf, wenn auch nicht so verderblich.

Chronik Teil 6

Eisenbahnbau

Als eine Erlösung aus dem Notstande erschien der Eisenbahnbau. Es war zur Zeit der Hungersnot im Jahre 1847, als die erste Bahnlinie hiesiger Gegend, die Strecke Warburg-Kassel in Angriff genommen wurde. Für kräftige Arbeiter war das ungewöhnlich guter Verdienst. Nach einer Aufzeichnung beteiligten sich aus Körbecke 32 Arbeiter am Bahnbau, zunächst in der Gemarkung Ostheim, später in geringerer Zahl an der Diemelüberführung bei Haueda. Einige waren auch mit Pferd und Wagen an der Herstellung des großen Viadukts bei Altenbeken beschäftigt.

Während das für die Beteiligten eine Erlösung aus der Hungersnot war, verblieben schwächere Elemente, namentlich auch schwächere, unbemittelte Handwerker mit zahlreichem Kindersegen ihm länger unterworfen.

Über den Verdienst am Bahnbau konnte ein auswärtiger Teilnehmer noch folgende Auskunft geben: In der ersten Zeit erhielten die Arbeiter pro Tag eine Mark Vorschuß und außerdem, je nach der Tüchtigkeit 20 bis 50 Pfennig Nachschuß. Später wurde die Erdbewegung karrenweise mit 4 bis 5 und zuletzt mit 6 Pfennig für die Karre bezahlt. Hierbei habe ein tüchtiger Arbeiter es auf 2 Mark pro Tag gebracht. Das war und galt derzeit als ein außerordentlich guter Verdienst, der noch langen Ruhmes genoß. Über die Schwere der Arbeit aber wurde lebhaft geklagt. Es waren schlesische Arbeiter am Bahnbau, denen die hiesigen Arbeiter die Waage nicht halten konnten. Mangelnde Übung und voraufgegangener Nahrungsmangel mochten daran mitschuldig sein.

Als indes zu spätern Bahnbauten ostdeutsche und italienische Arbeiter zuströmten, haben hiesige Arbeiter nicht konkurrieren können und haben vom Wettbewerb Abstand genommen.

Nach gestiegener Wohlhabenheit und Einführung von Arbeitsmaschinen hat man sich hier der schweren Arbeiten mehr und mehr entwöhnt. Daß übrigens beim damaligen Bahnbau auch hiesige Leute, wenn auch vereinzelt, sich ungewöhnlich großen Anstrengungen unterzogen, möchten folgende Beispiele dartun:

Ein Mann schnitt des Winters nach Mitternacht bei seinem Ackersmann sein Quantum Häcksel und ging in der Morgenfrühe zum Bahnbau nach Haueda.

Ein anderer Teilnehmer sehnte sich nach einem eigenen Häuschen. Bauplätze hatte die Gemeinde. Ein Hausplatz mit Gärtchen kostete 20 Taler. Diese brauchten nicht gleich bezahlt zu werden, sondern wurden gegen jährliche Entrichtung von 1 Taler Zins auf beliebig lange Dauer gestundet. Jetzt sind jene Plätze mit 2 Reihen Häuser bebaut und bilden nach Süden die sogenannte Vorstadt.

Bei besagtem Tagelöhner nun mochte der gute Verdienst die Baulust beleben. Indem er sich die Sache überlegte, kam er zu der Meinung, die eichenen Schwellen,wie sie massenhaft am Bahnzuge lagerten, seien vortrefflich verwendbar zu Bauholz. Er versuchte daher probeweise, eine Schwelle abends auf den Schultern mit heim zu schleppen. Da die bauleitenden Aufseher dem fleißigen Besuche der Bahnschänken oblagen, mochten ihnen Kleinigkeiten bei dem großen Apparat leicht entgehen. Auch beim damaligen Bahnbau scheint es sich bewährt zu haben, daß "der große Geldbeutel manches ertragen kann."

Eine neue, eichene Bahnschwelle jenseits der Diemel die lange und starke Steigung am Schwiemelstein und im überaus holprigen und steilen Asborne herauf nach Körbecke zu schleppen, war gewiß ein hartes Unternehmen. Und nun erst nach vollbrachtem, sehr schweren Tagewerk! Nachdem es einmal gelungen war, wurde es fortgesetzt. Als unter langer, zäher Ausdauer der Bedarf endlich zusammengeschleppt war, kam Verrat. Bahnaufseher ließen nun mit leichter Mühe wieder hinabfahren, was in vielen Einzelanstrengungen keuchend und schweißtriefend heraufgeschleppt war. Der hoffnungsvolle Traum vom eigenen Häuslein leitete über in eine Gefängniszelle. Die harten Anstrengungen wurden ihm nicht angerechnet.

Später hat die Sehnsucht nach einem eigenen Heim auf einem ungefährlichen Wege doch seine Erfüllung gefunden.

Die Schwere der Bahnarbeit mochte ältere und schwächere Arbeiter für hiesige Bedürfnisse zurückhalten. Auch gab es damals Handwerker, welche nach Ersteigung des Zunftbaumes das Durchklettern sämtlicher Zweige bis zur Erreichung des Gipfels zu schwierig befunden und deshalb auf einem einzelnen Aste sitzen geblieben waren.

So gab es z. B. einen Sackschnieder und einen Gamaschenschnieder. Diese nebst Konsorten und Meisterinnen waren bereit, auf Bestellung Aushilfe in landwirtschaftlichen Arbeiten zu leisten, als Kartoffelpfanzen, hacken, behäufeln, ausmachen, beim Einernten, am Schneiden von Rauhkorn mit der Sichel usw. Das alles waren Handarbeiten. Zum Schneiden von Rauhkorn wurde bei trockenem Wetter morgens gegen 3 Uhr ausgerückt, weil es sich im Tau besser schnitt.

Die Streifung der ehrsamen Schneidergilde erinnert an einen vollkommeneren Jünger dieser Zunft, in dessen Wirken wir durch nachbarliche Einblicke manchmal eingeweiht wurden. Im Vorbeigehen sei es gestattet, aus dem vielgestalteten Wirken unseres ehrenwerten Ellenreiters einige Zwischenfälle einzuschalten.

Wir drängten ihn zuweilen zum Erzählen. Wenn er sich dann ein "Snüweken" einverleibte so war das ein Zeichen, daß er loslegen wollte.

Wir Kinder umstanden ihn dann mit offenen Munde und bewundernden Äuglein, den derben Nachbar Johann, wenn er uns einen fabelhaften wundersamen verlaufenen Roman aus seinen Wanderjahren aufband, den er auswendig gelernt hatte. Am Schluße der Erzählung belohnte er sich mit einem weiteren "Snüweken". Unsere Phantasie beschäftigte sich dann noch lange mit dem Gehörten und bewunderte den Erzähler und einstigen Helden, der aus den schwierigsten Lagen unter Beihilfe glücklicher Zufälle unbeschädigt hervorgegangen war.

Auch im gesetzten Alter überkamen unsern Meister noch verzwickte Lagen. Wir wollen im Nachfolgenden über einige berichten und werden sehen, wie er ihnen zu begegnen verstand.

Nicht ohne Stolz erzählte unser Kunstjünger, welche Handlungen und Neuerungen ein verständiges Geschick an einem Kleidungsstück vorzunehmen vermöge, wenn es dem jeweiligen Zwecke nicht mehr entspreche. So hatte er einst aus einem Rocke ein Stoffel gemacht, nachher auch Wamms oder Jacke genannt, welches die Jünglinge seinerzeit am Sonntagnachmittag trugen. Als später das Stoffel nicht mehr wollte, hatte er einen Rump (Weste) daraus geschaffen, und als der Rump versagte, wußten seine kunstfertigen Hände noch ein Paar regelrechte Fausthandschuhe daraus herzustellen. Für den Lumpenmatz blieb somit wenig übrig.

Als er den erstmaligen, damals seltenen Auftrag erhielt, selbständig einen neuen Sonntagsrock zu nähen, fühlte er sich beklommen. Im Falle des Mißlingens konnte dieser ehrenvolle Auftrag zur Klippe für das Vertrauen und seinen Meisterruhm werden. Meister Zwirn ersann eine List. Sein Auftraggeber war in der Statur einem seiner Nachbarn nicht unähnlich. Deshalb entlieh er unter einem harmlosen Vorwande dessen Rock. Diesen trennte er nun in seine einzelnen Teile und legte diese seinem neuen "Wand" als Schnittmuster auf. Danach mußte die Passe des neuen Rockes stimmen, wenn es nicht mit unrechten Dingen zuging; weil es damals nicht so genau genommen wurde. Äußerte ein Kunde Zweifel am guten Sitz, so wußte der Meister ihn zu beschwichtigen mit der Versicherung: "So nigge Tüeg is ümmer es en bitten widerspänstig, dat mot sek erst nan Liewe teihen, dat gift sek balle".

Als der rockleihende Nachbar sich am nächsten Sonntag zum Kirchgang rüsten wollte, hatten die Teile seines Obergewandes ihre volle Wiedervereinigung noch nicht gefeiert. Der Notlage halber mußte die einmalige Versäumnis des sonntäglichen Gottesdienstes Vergebung finden.

Geniale Unternehmungen enden manchmal ohne den verdienten Erfolg, weil ihre Ausführung auf unvorhergesehene Mißgeschicke stößt. Das ist eine Erfahrung aller Zeiten, die auch unser Meister verkosten mußte.

Als eimmal sein Eheweib einen Ausgang ins Dorf machte, stieg des Meisters Sehnsucht nach Mettwurst wieder einmal zu unbezwinglicher Höhe. Er beschloß sie diesmal zu befriedigen, die Gelegenheit war günstig. Fleisch und Würste hingen damals auf der Dehl unter der Balkendecke in der Nähe der Küche, wo sie auch geräuchert wurden. Die Fleisch- und Wurstwaren wurden mit einer Fleischgabel aufgehängt und abgenommen. Dies war eine lange Stange, deren Gabelenden in zwei kurze, eiserne Hörner ausliefen, in die ein Fleisch- oder Wurststock hineinpaßte. Der kleinere Häusler entlieh sich die Gabel von seinem größern Nachbarn. Unser Meister hielt im besagten Falle das Leihen der Gabel nicht ratsam. Die ungewohnte Tageszeit konnte die nachbarliche Neugier reizen und weibische Geschwätzigkeit dann leicht zu Verrat führen. Und die dann folgende Auseinandersetzung war ihm zuwider. Somit band er ein Messer an einen längern Stock, damit mußte es möglich sein, von

der angestellten Bühnenleiter aus den Wurstband durchzusäbeln. Die List gelang, bums! lag die Erkorene am Grunde, im Absturz von des Meisters Freudenlaut begleitet. Nachdem er das Objekt zur Strecke gebracht, stand die Erfüllung seiner Sehnsucht in nächster Nähe. Näher jedoch war die gefürchtete Wächterin, deren Zwieklatsch mit der Gevatterin durch äußere Umstände an der vollen Entfaltung behindert war und die deshalb in unerwartet rascher Rückkehr vor der Schwelle erschien, als das begehrte Objekt abstürzte. Dies im Sprunge aufraffen und ein helles Zetergeschrei über die Freveltat erheben, war eins. Dann folgte eine Lektion, wie sie bei Mathäi nicht kraftvoller geschrieben steht. Der überraschte Meister stand währenddes sprachlos mit Wehr und Waffe oben auf der Leiter. Unter der kraftvollen Kernsprache seiner Meisterin war seine Zunge gelähmt und zu jeder Gegenwehr unfähig. Somit erlitt er eine glatte Niederlage und stieg in bedingungsloser Kapitulation von seinem hohen Standpunkte herab und seufzend auf seinen Nähtisch. Seine Sehnsucht blieb wieder ungestillt.

Wenn man ein ersehntes Ziel nach gehabter Anstrengung endlich mit den Händen zu greifen meint und es dann plötzlich wieder entschwinden sieht, so sind solch grelle Gegensätze geeignet, das Gleichgewicht auch des Starken zu erschüttern. Des Meisters Kummer wurde dadurch vertieft, daß seine Ehehälfte es nicht unterlassen konnte, es schnell den Nachbarinnen zuzustoßen, wenn sie ihm eine Niederlage beigebracht hatte.

Unser Held aber ließ sich nicht entmutigen. Zum Beweise dessen sehen wir ihn in einer neuen Operation auf verwandtem Gebiete begriffen. Der Anlaß wurzelte in dem Umstande, daß er während der Prozession am Feste Christi Himmelfahrt den Kochtopf bedienen mußte. Seine gehobene Feststimmung verdichtete sich zu dem Wunsche nach einem Extraschmaus und lenkte sich nicht vorteilhaft auf Schweinsfuß. Also Schweinsbein in den Topf und dann mit vollen Backen in die Flammen geblasen.

In der Kochkunst stak unser Meister offenbar noch in den Lehrjahren, sonst hätte er wissen müssen, daß ein "Fikkelnfot" während der Prozession nicht gar werden würde. Bald drang an seine Ohren das Te Deum, unter dessen Absingen die Prozession der Kirche wieder zuzog. Unter seinem Schalle mußte der Schweinsfuß abgegessen und die Knöchel sorgsam beseitigt werden. Bei dem folgenden Mittagsmahle hatte der Appetit in ungeminderter Stärke zu walten, damit in der Frauenseele kein Verdacht aufstieg. Alles verlief glatt. Nach vollbrachter Atzung konnte des Meisters Danksagung aus festlich befriedigtem Herzen aufsteigen. Hiernach schlug sich der Meister abseits, um einer behaglichen Verdauung obzuliegen. Nun aber nahte die Nemesis eiligen Laufs und benutzte die ungaren "Fikkelnföte" zur Erregung heftiger Bauchgrimmen, die sie später in ungestüme Furganz überleitete. Der Schmerz stimmte zur Reue. Stöhnend gestand er seine Missetat als Ursache seines Zustandes. Nun wurden seine weiteren Anfälle von seinem zungenfertigen Weibe mit einer Philippika in steigender Tendenz begleitet. Während sie also eifrig und andächtig in das Te Deum eingestimmt hatte, hatte ihr Herr Schnuckezunge in schnöder Weise sich über die Hausgesetze hinweggesetzt. Auch die Samariterinnen am nahen Brunnen wurden vom Fenster aus schnell verständigt. So lag denn der arme Sünder in stöhnendem Schmerze und drückendem Schuldbewußtsein den kritischen Augen der neugierigen Nachbarweiber ausgesetzt. Zu dem körperlichen Schmerz kam die peinliche Wahrnehmung, daß die Lauge aus dem reichen Sprachschatze der Meisterin, womit diese den geschlagenen Strategen in seinem Harme mit immer neuem Gusse überbeizte, in den Augen und Wangen der lieben Nachbarinnen einen schalkhaften Kitzel erregte. Du böser Schweinsfüßetag! Des morgens umgaukeltest du des Meisters Sinne im verführerischen Festhochrot, um nachher seine Verdauungswerkzeuge umso schmerzlicher zu revolutionieren, ihn in der schätzbaren Reputation der lieben Nachbarinnen beschämend herabzuwürdigen und die labsame Atzung an Schweinsfüßen langzeitig mit einer dumpfen Nachempfindung belasten. Für solche Tücke sollst du im Kalendergedächtnis des Meisters mit einem tiefschwarzen Tupf langjährig haften bleiben.

Bedeutsame Träume sind nicht bloß Alleingut von Pharaonen und Potentaten, sondern Morpheus steigt auch unter das Strohdach und umgaukelt seine schlafenden Insassen mit den mannigfachsten und wundersamsten Bildern. So war es auch bei unserm Meister. Sein Traumgesicht sah an der Gemarkungsgrenze mit handgreiflicher Deutlichkeit einen Münzenschatz von erheblicher Größe im Boden funkeln und glänzen, mehr Gold als Silber. Von dem Schatz stieg eine Flamme an die Oberfläche, die sich zu einer Hand formte, welche gegen den Meister eine winkende Bewegung oft wiederholte. Das war wichtig genug, es der Ehegattin ungesäumt mitzuteilen. Diese deutete den Traum als eine Einladung zu Reichtum, Ansehen und Glück. Diese Auslegung erschien umso wahrscheinlicher und durfte ebenso weniger ignoriert werden, als man wußte, daß auf demselben Felde - Neunschenholz vor der Alster - schon wiederholt sogenannte "Geldfeuer" auch am Tage gesehen worden waren. Das noch nicht einmal beobachtete Winken mit der Hand schien doch andeuten zu wollen, daß unser Meister der Erkorene war, der das Glück haben sollte, die "Braut" heimzuführen, wie der Volksmund zu sagen pflegt. Und welcher Erdensohn wäre unempfindlich gegen irdisch Gut und Glück?

So sehen wir unsern Meister in der Schwebe zwischen überquellender Hoffnung und Ratlosigkeit. Es wurden einige Bekannte ins Vertrauen gezogen. Man brachte in Erfahrung, in Hofgeismar wohne ein Mann, der sich auf das Heben unterirdischer Schätze verstehe. Schatzgräber Jungheim wurde also berufen und leitete den Angriffsplan ein. Am selben Spätabend wollte man ausrücken, um mitternächtig an der Arbeit zu sein.

Niemals waren die hoffnungsvollen Weiber zuvorkommender gewesen, wie an jenem Abend. Sie stärkten sie zu dem wichtigen Werke bereitwillig durch ein mundgerechtes Abendessen besserer Güte und vergaßen nicht, sie unter freundlichem Zuspruche mit einem rechtschaffenen Stärkungstrunke zu bestecken.

In verheißungsvoller Stimmung wurde ausgerückt. Hacke, Spaten, Schaufel, einige Säcke wurden auf mehrere Schulter verteilt.

Meister Schatzgräber trug die wichtige und geheimnisvolle Wünschelrute. Er hatte die strenge Anweisung gegeben, von dem Augenblicke an, wo er auf der Stelle mit seiner Wünschelrute die Operation beginne, dürfe niemand mehr einen Laut von sich geben. Bei zu erwartenden Vorkommnissen wollte man sich durch Zeichen verständigen, woüber man sich instruiert hatte. So sollte z.B. bei einem Flaschenstulp das hierlands gebräuchliche "Prost" durch ein Kopfnicken versinnbildlicht werden - bei Leibe aber keinen Laut!

Als der Meister seine Gefolgschaft auf sein Traumfeld und die ungefähre Stelle geführt hatte, wurde der spezielle Punkt mit Hilfe der Wünschelrute bald festgestellt. Nachdem dann Meister Schatzgräber die bedeutsame Stelle mit der Wünschelrute dreimal umkreist und überzeichnet hatte, begannen die Genossen, mit Hacke Spaten und Schaufel emsig tiefwärts zu arbeiten. Der Schatzgräber begleitete die Arbeit mit bedeutsamen Bewegungen und Zeichen der Wünschelrute.

Nachdem eine entsprechende Tiefe erreicht war, verständigte der Wünschelmeister im Anschluß an die vorhergegangene Instruktion einen Genossen, den Grubengrund mit der Hand zu untersuchen. Der Betreffende mußte sich auf den Bauch legen, den Oberkörper in die Grube hinabbeugen und mit der Hand eifrig auf dem Grunde wühlen. Die Genossen umstanden ihm mit höchster Spannung und erwarteten ein Zeichen.

Bei dem Wühlmann trat zu der seelischen Gespanntheit noch die straffe Spannung des Hinterkörpers und eine Pressung gegen den Bauch hinzu. Wurde diesen mehrfachen Spannungen, die nach einem Ausweg suchten, nicht vorsichtig ein stiller Abzug geöffnet, so preßten sie gemeinsam gegen das Ventil und eine Katastrophe stand in Sicht. Zeigte nun die Instruktion in dieser Hinsicht eine Lücke oder hatte die vermeintlich handgreifliche Nähe des Schatzes jede andere Erwägung und Vorsicht übertäubt - genug, es geschah das Unvermeidliche - die gemeinsamen Spannungen erzwangen einen Ausweg durch eine regelrechte Explosion schlagender Unwetter, deren Schall durch die stille Nacht dahinrollte.

Das verstieß gegen die Vereinbarung.

Der Schatzgräber erhob dann auch ein bestürztes Lamento, weil die Sache verdorben war. Die Gnomen, Wächter des Schatzes, die er mit dem Zauberstabe in Schlummer versetzt habe, seien durch die Explosion erschrocken aufgewacht und mit ihrem Schatz hundert Klafter tiefer in die Erde geflüchtet. Erst nach längerem, unbestimmten Zeitraum würden sie wieder gegen die Oberfläche steigen.

Der Mann mochte seine Geister kennen.

Das dermalige Schatzgraben hatte sich also in eitel Wind und Dunst verflüchtigt. Reich ist niemand davon geworden. Als die Hände sich schon zum Ergreifen geöffnet hatten, entschwand der Schatz jählings wieder in die Tiefe. Enttäuscht und entmutigt trollte die Gesellschaft heimwärts. Da der Bann des Schweigens gebrochen war, fielen schmollende Worte und Vorwürfe gegen den Unseligen, einen Zweispänner, daß er im leichtsinnigen Gehenlassen das Unheil angerichtet, Schatz und Hoffnungen hinterlings verscheucht hatte. "Konnteste nieh dunne hallen" hieß es usw. Grimmige Pfeile des Unmuts haben die enttäuschten Weiber gegen den Missetäter geschleudert, als ihnen statt des erwarteten glanzvollen Goldes der dumpfe Mißklang von der windigen Zerstörung ihrer Hoffnungen heimgebracht und dadurch ihre Rachegeister geweckt wurden.

Unser hoffnungsbetrogener Meister mußte wieder zu Elle, Schere und Nadel greifen und ward mißtrauisch gegen Träume. Nur einmal noch trieb ein Traum von "en Düwele" aus dem sein "Wickeweib" ihm nichts Gutes prophezeite, ihn nach Paderborn, wo er im Dom einem Beichtvater sich offenbarte. Nachdem er belehrt worden war, wie er sich verhalten solle, daß der "Gläunige" ihn nicht packe, trollte er erleichtert heimwärts, forcht sich in Zukunft vor dem Deubel und seiner Großmutter nicht mehr, wollte auch keinen Pfifferling mehr auf Träume geben.

Den damaligen Pfarrherrn führte eines Winterabends sein Weg an unsers Meisters Wohnung vorbei, als just eine gepfefferte Zwiesprache zwischen diesem und seiner Eheliebsten hin- und herflog. Beide verfügten über ausgiebige Stimmen, er im Baß, sie im Quint. Wenn sie richtig abgestimmt waren und ihre Inhaber in Hitze und stärkere Spannung gerieten, so konnten sie ein höchst erbauliches Duett, eine elektrische Entladung loslassen, ähnlich dem Krater eines feuerspeienden Berges. Sie spie die glühende und zischende Lava, in welche der grollende Zeus mit dröhnenden Donnertönen hineinfuhr.

Das seelsorgliche Interesse vermag sich umso erfolgreicher zu betätigen, je mehr sein Träger über alle Verhältnisse unterrichtet ist. Nun pflegen Zwiesprachen - sowohl in Scharmützel als auch in Koseform - vor geistlichen Ohren selten zu voller Abwicklung zu gelangen. Machte sich daher mal eine vereinzelte Wahrnehmung geltend und möglich, so ist sie nicht von der Hand zu weisen. Diese Empfindung mochte den geistlichen Herrn veranlassen, sich einige Schritte seitwärts dem an der Hausecke befindlichen Brunnen zu nähern, um einige Deckung und ein ungestörtes Verständnis im seelsorglich Interesse zu gewinnen.

Das Wasser wurde damals eimerweise aus dem Brunnen aufgewunden. Die Brunnenkette wickelte sich an einer Holzwelle auf und ab. Im Winter fror das verschüttete Wasser zu Eis. An dem Brunnen bildeten sich deshalb Eisflächen, die sich seitwärts allmählich abflachten.

Zur Zeit unseres Vorkommnisses war eine solch schräge Eisfläche vorhanden. Dem Pfarrherrn mochte die Fertigkeit im Balancieren auf dem Eise, die ihm als Knabe eigen war, inzwischen abhanden gekommen sein. Vielleicht wurde auch durch das Interesse an der kräftigen Unterhaltung die Vorsicht zeitweilig ausgeschaltet. Genug, ehe er sich's versah,hatte er das Gleichgewicht verloren und lag lang auf dem Eise. Zum bleibenden Andenken an unsern ehrenfesten Meister Zwirn hatte er ein Bein gebrochen. Hiermit war das Interesse an der innerhäuslichen Unterhaltung jäh erloschen und wurde diese durch lauten Zuruf unterbrochen.

Als sie gewahrten, daß ihr Duell außerhalb der Schußlinie eine fatale Blessur angerichtet hatte, waren sie umso verblüffter, als ihre Attacken bisher immer blessurlos verlaufen waren, so oft sie auch im Feuer exerziert hatten. In solcher Stimmung neigten sie zu einem stillschweigenden Präliminarfrieden. Eine ältere, im Hause wohnhafte Verwandte gelobte zur Sühne eine Wallfahrt nach Werl.

Unsers Meisters Unternehmergeist haben wir bei geeigneten Anlässen in Taten hervorbrechen sehen. Geringfügige Ursachen können unter Umständen bedeutende Wirkungen veranlassen, wie Geschichte und Erfahrungen lehren. So auch in unserm Falle. Ihm wurde stets vorgehalten, die Mettwürste müssen seinen Ackerleuten vorsetzt werden. Diese Vorenthaltung und Einschränkungen mußte ihn zu stetem Verdrusse reizen. Da sein Bestreben nach gebührender Anteilnahme einigemal mißlungen war, griff er schließlich zu einem Mittel, das andere Potentaten auch zuweilen anwenden, wenn ihnen die Sache gegen den Strich läuft.

Es heißt, eines Tages warf er Schere, Nadel und Bügelbolzen bei Seite, spannte Kühe ein und zog zum Staunen von Jung und Alt zu Felde als selbstständiger Ackersmann.

Das war eine förmliche Umwälzung. Aus dem Industriestaate war ein Agrarstaat geworden. Alle Zuwendungen mußten sich also hinfür auf den letztern beziehen, selbstredend auch hinsichtlich der Mettwurst.

Ganz glatt konnte die Sache indes nicht verlaufen, denn alle Umwälzungen, die total sind, stoßen in den Anfängen auf geringere oder größere Schwierigkeiten. Diese Erfahrung mußte auch unser Ellenritter verkosten. Zunächst machte er die fatale Wahrnehmung, daß seine neuen Untertanen, Blome und Brune, ein steifnackiges Hornvieh und weit ungefüger zu regieren seien, als Schere, Nadel und Bügeleisen. Während diese dem leisen Drucke eines einzelnen Fingers gehorchten, widerstanden die ungeschlachteten Biester seinen vereinten Fäusten. Für sein kraftvolles "Hüh! Hott! Ha!" waren sie teilnahmslos und taub. Die ausgesuchtesten Drohungen, die ihr Herr und Gebieter ihnen unter drohender Zustreckung der geballten Faust im höchsten Zorn und grimmen Baßtönen zudonnerte, nahm das Vieh mit kalter Gelassenheit entgegen. Griff er sie darob wütend an das Gehörn, so drehten sie gar das Weiße im Auge zu. Gut nur, daß er in Unbotsamkeit und Nichtachtung seiner Donnerstimme nicht ohne einige Erfahrung war, aber von diesem Rindvieh hatte er es doch nicht erwartet. Sogar die gelegentliche Anwendung von Bibelworten blieb erfolglos, denn als einst unter den grimmen Zuruf " Du sollst wissen und sehen, daß es bitter ist, deinen Herrn verlassen zu haben" mit einem langen Braken feste rückenlängs drüberhieb, ließen sie ihn mit Vorwärtsbringen einer Fuhre dennoch im Stich. Das waren fatale Situationen.

Auch seine leblosen Güter hatten zuweilen ihre Launen. Als einmal sich zwischen Vorder- und Hinterschar ein Stein festgeklemmt hatte und der Pflug nun plötzlich und gänzlich versagte, stand der neugebackene Ackersmann in starrer Verwunderung vor einem Rätsel. Auf dem einsamen und entlegenen Felde däuchte ihm die Sache nicht geheuer und eine sofortige Heimkehr schien ihm das Geratenste. Als er auf dem Heimwege einem Fachmann sein beklommenes Herz ausschüttete, bereicherte dieser seine Kenntnisse, indem er durch Entfernung des Steines den Pflug von dem Banne befreite und zum frühern Gehorsam zurückführte.

Übermütige Burschen hatten eines Samstagsabends seinen Wagen stückweise auf ein Strohdach geschleppt, welches über einen niedrigen Anbau hinweg ziemlich erdwärts reichte, ihn oben ineinandergesetzt und ihn mit Dünger beladen. Am folgenden Morgen und am ganzen Sonntag thronte auf dem Bauernhause rittlings ein Fuder Dünger zum Gaudium der herbeilaufenden Jugend. Außerdem gab es Gesprächsstoff und dem Wageneigentümer nicht geringen Ärger, sowie Schwierigkeiten in der Herabschaffung.

Indes Mensch und Tier besitzen die Fähigkeit der Akklimatisierung und so kam unser Freund nach und nach mit Blome und Brune leidlich zurecht. Auch die bösen Buben verschonten ihn mit größeren Schabernack, wenn sie ihn auch gerade nicht für zünftig anerkennen mochten.

Ob unser Ritter es nun nicht ertragen mochte, daß ihn im neuen Gewerbe die vollendete Meisterschaft nicht blühen wollte, oder kam es ihm, wie man sich zuweilen ausdrückt, schließlich mit dem Vieh zu dumm vor - genug, nach einigen Kampagnen griff er zum Wanderstab und kehrte seiner Heimat den Rücken, um sich als kinderloser Rentner in der Stadt niederzulassen. Hiermit hatte er seine Herrschergewalt beschränkt und konzentriert auf sein Ehegespons, vermutlich mit bestem Erfolg. Dabei genoß er Pökelfleisch und Fikkelnföte wieder mit vermehrten Wohlgefallen, immer frisch vom Metzgertisch weg. Da er die Zubereitung seiner Ehehälfte überließ, wurden sie auch wacker gar und mürbe, zum Lecken, derweil war er ihrer des Lobes voll. Die Mittel hierzu gewährte ihm der Erlös aus seinen hiesigen Liegenschaften. Somit sonnte sich unser Freund am Ende seiner rühmlichen Erdenlaufbahn mit gewohnter Tapferkeit noch mal in einer letzten Meisterschaft bis zu seinem gottseligen Ableben.

Von einem andern Genossen der respektablen Schneiderzunft erzählt mir ein Altersgenosse, daß er in seinem Elternhaus oftmals die Bekleidungsstücke einer zahlreichen Kinderschar reparierte. Beim Frühstück, das derzeit aus Brot, etwas trockenem Käse und Schnaps bestand, gebrauchte der Meister den Trick, wenn er sich unbeachtet glaubte, die eine und andere Brotschnitte unter die Weste zu schieben und sich neues zu schneiden, als habe er das vorige verzehrt. Beim Nachmittagskaffee desgleichen. Die Arbeitgeber drückten dem Hausfreunde gegenüber ein Auge zu. Hatte die Sache gut gegangen, so kam Meister Zwirn abends mit geschwollenem Busen heim, aus dem er dann pelkanähnlich seine Jungen atzte.

Manche unserer direkten Vorgänger besaßen eine gute Schulbildung, wogegen wieder andere wegen unterlassenen Schulbesuchs, wozu damals kein Zwang bestand, oder wegen mangelnder Aufmerksamkeit nichts mitbekommen hatten. Diese waren unsicher in der Entscheidung, ob sie in der Kirche ihr Buch richtig hielten oder ob es auf dem Kopf stand. Da sie nicht mitsingen konnten, beschränkten sie sich auf die Vorschrift, die Hl. Messe mit Andacht zu hören. Rechnen aber lernten sie im praktischen Leben, konnten daher in Geldangelegenheiten mitsprechen und kamen hierin nicht zu kurz. War ihre Namensunterschrift erforderlich, so zeichneten sie mit drei Kreuzen. Es fand sich manches Schriftstück, in welchem die Namensunterschrift mit 3 Kreuzen war.

Ein Sohn Israels, dem die Kreuze zuwider waren, unterzeichnete mit 3 Nullches. Er hatte mit irdenen Töpferwaren nach hier hausiert, z. B. Milch- und Milchseihetöpfe, Teller und Näpfe. Mit der minderwertigen Ware, die er in der Kiepe auf dem Rücken trug, mochte sein Vermögen ungefähr abschließen. Er freite dann ein hiesiges Mädchen ohne Vermögen und mietete sich hier ein. Hat sich dann aber schön emporgenullt. Wurde Besitzer von 2 Häusern, 3 Grundstücksplänen, hielt Kühe, Pferd und Wagen, handelte mit Getreide, Schafen, Wolle etc . Seine Frau behauptete von ihm, er wolle immer alle Lait retten, denen es schofel ginge-- !?

Als sein Sohn Geschäftsnachfolger war, hielt dieser einmal in Lamerden, um sich zur Heimfahrt noch durch den Genuß einigen gebrannten Wassers zu stärken, worin er es zuweilen zu einem kleinen Spitz bringen konnte. Meister Henriks war auch schon da und lag der gleichen lieben Beschäftigung ob. Als sie genug hatten, machten sie Anstalten zur Heimfahrt. Es war winterabends und lag Schnee.

Drinnen hatten sie schon vereinbart, Meister Henriks solle den Fuhrmann machen, weil er als der Zuverlässigere galt. Nachdem sie sich vorsichtig zurechtgesetzt hatten, fuhren sie los, auf Körbecke an. Als Henriks vor seiner Behausung anlangte, rief er "Brrr! " und das Pferd machte halt. Man hatte schon auf ihn gewartet und so kam der verheiratete Sohn mit der Leuchte heraus. Im Herabklettern sprach Henriks: " So, Pinnes, nun habe ich dich weit genug gebracht, nun mußte sehen, daß du auch bald nach Hause kommst." Auf diese Ansprache hin leuchtete der Sohn suchend in den Wagen. Als er nichts sah, fragte er: "Wo haste denn Pinnes, ich sehe nichts?" "Ei", entgegnete der Vater, "muß doch da sein, ich habe ja eben bei der Amtscheune noch mit ihm gesprochen". Darauf machte der Sohn das Pferd fest, leuchtete zurück bis zur Amtscheune, rief nach Pinnes, sah und hörte aber nichts. Er kehrte also um, brachte Pferd und Wagen heim und berichtete der Frau Pinnesen. Diese bewog ihn den Weg bis Lamerden mit der Leuchte nach dem verlorenen Pinnes abzusuchen. Als der Suchende unterwegs nichts entdeckte, ging er bis zur Wirtschaft, um dort vielleicht einen Hinweis zu des Rätsels Lösung zu erhalten. Hier saß der Gesuchte zwischen den Einheimischen und taten in fidelster Stimmung einen rechtschaffenen Trunk, weil Pinnes Malör gehabt, aber keinen Schaden dabei genommen hatte. Es hatte sich folgendermaßen zugetragen:

Pinnes hatte nicht auf dem höheren Fahrsitz Platz genommen, sondern sich vorsichtshalber niedriger im Wagen auf einen liegenden Sack gesetzt. Als ein Hilfsmann ihn hinaufgeholfen, das Pferd eingesträngt und losgebunden hatte, reichte er dem Fuhrmann die Zügel. Dem Pferd hatte der Aufenthalt schon zu lange gedauert und mit Ungeduld erwartete es den Augenblick der Abfahrt. Der angeheiterte Henriks wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich als forscher Fuhrmann zu zeigen. Er schwappte das Pferd mit dem Zügel und, heidi, gings im scharfen Tempo von dannen. Als der Hilfsmann eines kleinen Bedürfnisses halber noch eine knappe Minute verweilte, hatte das Gefährt Lamerden verlassen. Bei dem ruckweisen Angehen des Pferdes hatte Pinnesens etwas pendelnder Kopf die Haltung verloren. Deshalb hatte sein Träger, da der Wagen ohne Steg war, ein rücklings geschlagenes Purzelbäumchen vollbracht und lag hinter dem Wagen auf dem weichen Schnee. Vielleicht war es Schadenfreude, daß sein Pferd ein wieherndes Gelächter anstimmte. So sah ihn der Hilfsmann bei seinem Umdrehen zu seinen Füßen, nahm ihn auf und erschien mit seinem Findling wieder in der Wirtsstube zum Gaudium der Anwesenden. Diese machten nun den naheliegenden Gedanken geltend, er müsse als Fundgeld und da er ein Malör gehabt, ohne Schaden zu nehmen, Einen traktieren. Während Pinnes also hier in fröhlicher Gesellschaft seine Auferstehung feierte, hatte sein angeheiterter Reisekumpel, der im flimmerigen Zwielicht Mann und Sack nicht zu unterscheiden vermochte, auf dem Heimwege bis zur Amtscheune in fideler Redsamkeit mit ihm gesprochen.

Ende gut, alles gut. Das Begebnis löste sich in Wohlgefallen auf. Auch die harrende Frau, wenngleich ihr Männlein erst nach Mitternacht ihr zugeführt werden konnte, war tief entzückt, als sie ihren Pinnes nach allen Ereignissen unbeschädigt wieder in den Armen hatte.

Eine Feuerwehr

Vor etwas über 50 Jahren wurde hier erstmalig eine Feuerwehr gegründet. Unsere Väter wurden mit Armschildern ausgerüstet, auf denen der Anfangsbuchstabe der Abteilung, zu der sie zählten, weithin sichtbar war. Die Abteilungsdirigenten führten zwei, der Kommandeur des Ganzen drei Buchstaben im Schilde. Als sie ordnungsmäßig beschildet waren, wurde verabredetermaßen in den nächsten Tagen auch mal die Brandglocke gezogen. Die Wehr sammelte sich am Dorfteiche. Es mußte doch mal ersichtlich werden, wie sie sich in den neuen Schildern ausnahmen, nebenbei fand auch eine kleine Spritzenprobe statt. Alles verlief in bester Ordnung.

Nun war zur Bewältigung kommender Brände eine legitime Macht vorhanden. Wer indes weitgehende Erwartungen hieran geknüpft hatte, kam nicht auf seine Kosten. Als nach einer Reihe von Jahren ein Brand ausbrach - die Zwischenräume von einem bis zum anderen Brand haben jeweils 15 Jahre betragen -, waren Vorgesetzte und Gemeine teils verstorben, teils verzogen und an Ersatz nicht gedacht worden. Die Armschilde, nicht unter Verschluß gehalten, waren von den Kindern als Spielzeug benutzt worden und danach verkommen, die ganze Sache in Vergessenheit gekommen. Der Brand wurde also ohne alle Umstände in vormaliger, legitimationsloser Weise angegriffen. Nach geschehenem Brand erinnerte man sich, daß mal eine Feuerwehr gewesen war. Gut noch, daß wenigstens eine einmalige Schildparade stattgefunden hatte, sonst wäre kaum eine Erinnerung daran verblieben.

Eine Bürgergarde

Etwa um die gleiche Zeit, als man sich dem gefahrdrohenden Element des Feuers gegenüber des Schutzes einer Feuerwehr versichert hatte, wurde auch eine Bürgergarde, kriegerischen Andenkens, errichtet. Zu diesem Zwecke mußten alle streitbaren Männer beim Vorsteher zu Protokoll erklären, ob sie ihre Tapferkeit mit einer Flinte oder Lanze offenbaren wollten. Die meisten wählten Flinte, wahrscheinlich in der besonnenen Erwägung, damit in angenehmerer Entfernung vom Feinde verbleiben zu können und zugleich im Falle eines Retirierens einen schätzenswerten Vorsprung zu haben. Zu einer Bewaffnung und kriegerischen Übung aber kam es nicht. Dies war für uns Knaben eine große Enttäuschung. Wir hatten uns baß gefreut, eine leibhaftige Kriegsführung erwachsener Männer mit blitzenden Waffen, die an Sonntagnachmittagen stattfinden sollten, vor Augen zu sehen. Was war das gegen unsere eigenen Kriegsübungen mit Ruten und Stöcken, Steinen und Schneebällen. Nach dem Beispiel der Schützen rechneten wir auch auf musikalischen Aus- und Einmarsch, wozu hier ein Musikkorps vorhanden war. Wir wurden durch die Nichtausführung stark verschnupft.

Wenn aus unsern kriegerisch veranlagten Reihen nicht wieder ein General hervorgegangen ist, wie im Jahrhundert vorher, so ist das ohne Zweifel besagter Enttäuschung zuzuschreiben.

Ein hessisches Nachbarstädtchen war mit seiner Bürgergarde weiter gediehen. Als sie zu einer ersten Übungsprobe auf einer Weidefläche erschienen, wurden sie unversehens von einer regelrechten Kriegserklärung überrascht. Der bösartige Gemeindebulle kam unter drohendem Gebrüll aus der Herde hervor, als wolle er die Weideruhe der Herde nicht stören lassen. Auf solch jähen Angriff war die junge Garde nicht eingerichtet. Der Kampfesmut hatte die Knospe noch nicht gesprengt, sondern schlummerte noch in friedlicher Umhüllung. Durch die bevorstehenden Übungen sollte er erst zu allmächtiger Entfaltung kommen. Was war nun zu tun? Durften sie ihre ungeschulten Kräfte, deren das Vaterland vielleicht bald bedurfte, angegen ein ungeschlachtetes, blindwütiges Ungetüm aufs Spiel setzen und ihr erstes Debut vielleicht mit Opfern bezahlen? Das hätte einen Mangel an Patriotismus bekundet, der einer Bürgergarde fremd bleiben soll. In weiser Besonnenheit fanden sie den richtigen Ausweg aus der ernsten Lage, indem sie unter Befolgung der bewährten Devise "Der Klügste gibt nach" früh genug aus dem Bereiche der Gefahr schieden. Sie erwählten der Tapferkeit besten Teil, indem sie sich dem Vaterland noch länger unversehrt erhielten.

Fromme Bräuche

Vor dem Anschneiden eines Brotes war es allgemein üblich, mit dem Messer ein Kreuzzeichen am Brot zu zeichnen.

Bei Hauserhebungen kommandierte der Zimmermeister vor der Richtung des schwersten Stückes - ehemals Giebel, jetzt Dachstuhl - "zum Gebet!"

( Übrigens wurden größere Haushebungen früher mit Musik begleitet. Bei der Hebung unserer Scheune am 20. Oktober 1869 hatte ich ein Musikkorps von Beverungen. )

Die Antreibung der Arbeitstiere geschah - wenigstens bei unsicheren Anlässen - mit den Worten: " Hoi, in Guads Namen".

"Gesundheit" wurde als Trinkspruch und beim Niesen gewünscht.

Die Ausstreuung von Saatgut begann der Sämann nicht andere als mit 3 Kreuzwürfen.

Kamen die Arbeitstiere nach beendeter Arbeit einer Einsaat zum Stehen, so zogen einige Ackerherren die Mütze vom Kopf, schwenkten sie gegen den Acker und taten folgenden Segensspruch: "Herr, ich habe nun das Meinige getan, tue nun du auch das Deinige hinzu, dann wird es gut werden". Manchmal hatten die Schelme das Ihrige etwas recht schwach bemessen und mochten glauben, den Herrn besonders aufmerksam machen zu müssen, nachdem sie ihm das meiste überlassen hatten. Ein Ackersmann begegnete einst dem Vorhalt ungenügender Bearbeitung seines Saatackers mit den Worten: "Ei was, man muß auch auf den Herrn hoffen".

Es konnte nicht ausbleiben, daß ihre Hoffnungen oft unerfüllt blieben. Das machte sie indes im Vertrauen auf den Herrn nicht wankend. Manche kleinere Ackerleute waren nämlich dazumal ihrer Acker und ihrer ganzen Wirtschaft recht lässige Besteller. "Lat sachte gahn" lautete ein Vorbeigehegruß, den sie auch beachteten. War es Gewohnheit oder die niemals besiegte Knappheit, die eine Aufraffung der Energie hemmte? Vielleicht auch das Beispiel. Gegenwärtig ist die Lässigkeit ausgestorben, der eine tuts dem andern zuvor. Damit hat auch eine behäbige Fülle allenthalben auch in kleineren Verhältnissen den frühern elterlichen Mangel abgelöst.

Als zwischen Preußen und Kurhessen noch Zollschranken bestanden, waren in Körbecke zwei Zollwächter oder Kontrolleure stationiert, welche die Grenze kontrollierten und überwachten, damit nicht zollpflichtige Waren ohne Zollabgabe eingeführt wurden. Die Schmuggler rechneten auf gut Glück und ersannen nebenbei allerhand List, um die Kontrolleure zu täuschen, zu umgehen und auf falsche Fährten zu leiten. Manch ergötzliches Stückchen wurde davon noch erzählt.

Der letzte hier zugezogene Kontrolleur erschien im Trauerflor und beklagte den Tod seiner jungen Frau. Da er im Wirtshause wohnte, benutzte er die Gelegenheit, seinen Gram mit manchen Gläschen tiefbetrübt zu begießen. Die Wirtstochter war nicht nur ein ansehnliches Mädchen, sondern besaß auch ein teilnehmendes Herz, welches von dem offensichtlichen Harme gerührt ward. Ungeachtet des abweichenden Religionsbekenntnisses kam zwischen den beiden bald ein Verlöbnis zustande. Die Braut gestattete indes, daß er das Andenken an seine"Seelige" noch einige Zeit durch das Tragen der Trauerabzeichen ehren durfte. Unser Kontrolleur nun, um nicht in den Verdacht zu kommen, als schätze er die Brautstandsfreuden geringer als den frühern Schmerz, war in ehrlicher Unparteilichkeit darauf bedacht , die angebrochene Freudigkeit mit manchem Gläschen aus lieber Hand aufs fleißigste zu befeuchten. Die Jungfer Braut dagegen, nachdem sie erfahren hatte, daß dem Glase vermehrte Zärtlichkeit entquoll, war im Einschänken nicht lässig. Somit standen sie im schönsten wechselseitigen Einklang und schwelgten in feuchtfröhlicher Zärtlichkeit. Unser Kontrolleur traf mit dem gleichzeitigen erfolgreichen Umwerben zweier begehrenswerter Objekte immer zwei Fliegen mit einem Schlage.

Wie schade, daß solch schöner Zustand vom Verhängnis ereilt werden konnte. Als er nämlich eines Tages gerade wieder ein Tröpflein zum Munde führen wollte, öffnete sich die Tür und mit einem "Gude Morgen Keunig!" trat seine "Selige" über die Schwelle. In sprachloser Verwirrung entfiel das Glas seiner Hand.

Als er wieder Worte fand, lautete sein Gegengruß: "Wie führt dich der Deibel hierher, du hohlnäsige Tater!" Ihre Nase war nämlich einflüglich, weil das Mittelstück fehlte, sonst war sie ganz komplett. Sie hatte ihm aus der Gegend von Gütersloh nachgeforscht und ertappte ihn hier im schnäbelnden Brautstande. Obgleich das wieder Traurigkeit über ihn brachte, mußte er die äußern Trauerabzeichen doch ablegen und seine "Hohlnäs" behalten. Auch der Feuchtigkeitsmesser sank um mehrere Grade.

Die Zollgrenzen fielen bald nachher und auch seine Beamteneigenschaft. Da er kein Handwerk erlernt hatte, sank der Feuchtigkeitsmesser nochmals erheblich. Oftmals saß er völlig auf dem Trockenen. Da mochte er zuweilen nicht ohne Wehmut an die feuchtfröhlichen Tage des Brautstandes mit Wirtstöchterlein zurückdenken. Nur in den Tagen des Schützenfestes schwamm er alljährlich einige Tage wieder in feuchtfröhlicher Wonne, indem er etatmäßiger Paukenschläger war. Seine "Tater" mochte ihm eine zweite Härmung und Beflorung um ihretwillen nicht zumuten und hielt es deshalb für angemessen, ihn zu überleben.

Die Ackergeräte bestanden ehemals aus Wagen, Pflug und Egge. In größeren Bauernhäusern war neben dem Wagen noch eine zweirädrige Karre. Die Wagenachsen einschließlich der hölzernen Schenkel waren aus einem Stück. In die untere Reibfläche des hölzernen Schenkels war eine etwa 3-fingerbreite eiserne Schiene eingelassen, damit die Reibung das Holz nicht so stark angreife. Zu gleichem Zwecke waren in die Radnabe mehrere schmale Eisenschienen eingelassen. Zu unserer Knabenzeit kamen die ersten eisernen Achsen in Gebrauch und wurde auch ein zweiter leichterer Wagen in größeren Bauernhäusern zugelegt.

Die Pflüge hatten hölzerne Streichbretter oder Reister, an deren hinterem Eck eine kleine Eisenschiene oder Lappen aufgenagelt war, und hölzerne Sohlen, ebenfalls mit einer Eisenschiene. Das Pflugvordereisen stand mitten im durchlochten Grengel, in welchem es oben und unten mit je 2 hölzernen Keilen in die richtige Stellung gekeilt und festgehalten wurde. Ohne eine genaue Stellung des Vorderschars ging der Pflug nicht. Deshalb erforderte die Zurichtung der Keile und das Einkeilen ein gutes Verständnis. Gingen die Keile verloren oder fehlte es an Ersatz, so war das Arbeiten zu Ende. Deshalb mußte der Pflugmann möglichst eine Barte und etwas Keilholz mitführen, um nachkeilen zu können. Die Barte wurde stets mit nach Hause genommen, damit sie nicht abhanden kam.

Später erhielt das Vordereisen seinen Stand neben dem Grengel. Ein Bügel lag in 2 befestigten eisernen Rinnenlatten um den Grengel. Auf diesen wurde eine Platte mit 2 Schraubenmuttern angedreht, wodurch das Vordereisen gegen den Grengel gepreßt wurde. Das war eine weit einfachere und sichere Stellung, die mit einer kleinen Holzunterlage leicht regulierbar war und nicht verloren ging, weil die Schraubenmutterbefestigung sich nicht selbstständig löste.

Die jetzigen Pflüge arbeiten, nachdem auch der Boden durch Entwässerung und kräftige Düngung erheblich gemildert ist, um so viel sicherer und leichter, daß ein Knabe den Pflug leichter führt, wie ehedem ein guter Großknecht. Die schwereren Pflüge auf den Gütern sind Selbstgänger, die ohne jegliche Führung sicher gehen. Als die Pflugwiede von Eisen nach und nach in Gebrauch kam, mußten sie langjährig mit nach Hause genommen werden, damit sie nicht abhanden kamen. Sie wurden einem Pferde um den Hals gehängt. Jetzt sind auch sie außer Gebrauch und durch 2 am Vorderpfluge befestigte Ketten abgelöst.

Die Eggen bestanden aus 4 Holzbalken, die mit 3 Scheiden verbunden waren. Jeder Balken enthielt 8, der Zugbalken 7 eingebrannte Zinken. Jede schwere Ackeregge hierlands war für 2 Pferde berechnet. Für Zweispänner und für manche Gegenden mit leichterm Boden waren sie leichter und für 1 Pferd berechnet.

Wurde 4-spännig geeggt und mußte in hängigen Lagen bergab umgedreht werden, so war es leicht der Fall, daß die Pferde nicht genug Abstand hielten. Dann ging die hintere Egge zu nah hinter der Vorderegge, konnte diese fassen und aufrichten, wonach dann beide Eggen rücklings den Pferden nahezu auf die Hacken schlugen und die Tiere wild machten. Da durfte man bei Leibe keinen Jungen eggen lassen. Im gegebenen Fall mußte der Führer kurz vor dem Umwenden die hintere Egge schnellstens seitwärts werfen, ohne die unruhig gehenden Pferde einen Augenblick aus sorgfältiger Führung kommen zu lassen. Dazu gehörte ein ganzer Mann.

Es wurde auch 6 spännig geeggt, aber an hängigen Lagen ging das nicht. Es war eine Erlösung, als die jetzigen eisernen Zugeggen erschienen, die an einem Balken gekettet in stetig gleichem Abstande nebeneinander gehen, was ein Umstürzen unmöglich macht. Sofort nach ihrem Erscheinen beschaffte ich den ersten hiesigen Zug.
Die Eggen wurden ehedem nicht auf dem schwerem Ackerwagen gefahren, sondern auf einem niedrigen Eggenschlitten. Die Säcke mit Saatfrucht wurden auf die Pferde gelegt.
Walzen kamen erst in unserer Knabenzeit in Gebrauch. Vorher wurden, wenn das Land grob war, die Eggen auf den Rücken gefahren (geschleift), damit die Balken mit den vorstehenden Zinkenköpfen die Kluten zerkleinerten. Genügte das voraussichtlich nicht, so kamen hölzerne Klutenklöpper in Tätigkeit, die fast in jedem Bauernhause vorrätig waren.

Vor etwa 30 Jahren führte nicht ein einziger Wagen ein Hemmgeschirr. An starken Hängen wurde mit der Hemmkette ein Rad gehemmt, meist aber mußten die Hinterpferde durch Rückwärtsstemmen Widerstand leisten. Hierzu mußten die Tiere durch vorhalten der Peitsche oder Schläge vor den Kopf angehalten werden. Das strengte die Tiere an und war nach keiner Seite angenehm.

Als Schreiber ds. wegen seiner hängigen Grundstücke und Zugangswege das erste hiesige Hemmschraubewerk führte, fand es bei allen älteren Fachgenossen eine sehr abfällige Beurteilung. Heute hat jeder Wagen diese nützliche Vorrichtung. Hier scheint die Anmerkung nicht überflüssig, daß jetzt bei den meist gehärteten und sehr gut gehaltenen Wegen knabenhafte Jünglinge vielfach die alleinigen Führer schweren Fuhrwerks sind. Früher bedurfte es dazu eines kräftigen und erfahrenen Mannes, dem bei Fuhren nach auswärts stets ein Begleiter assistierte. Daß ein Fuhrwerk unterwegs festliegt und nicht vorwärts kommen konnte, wie das früher bei den elenden Wegeverhältnissen an der Tagesordnung war, kommt schon nicht mehr vor.

Zu den Ackergeräten zählen jetzt große, mittlere und einspännige Wagen, gewöhnliche Pflüge, Schäl-, Hack- und Häufelpflüge, gewöhnliche Eggen, Löffel- und Saateggen, hölzerne und eiserne Walzen, Sämaschinen, Mähmaschinen, Pferdeharken u. m.

Tische, Stühle und Bänke blieben ehemals ohne Anstrich. In größern Bauernhäusern kam sonntags zum Mittagstisch eine weißleinene Tischdecke in Gebrauch. Unsere Vorfahren, die in ihre Einfachheit von der Überkultur noch nicht angeleckt waren, kannten weder andere Tischdecken, noch Fenstergardinen und Vorhänge, Teppiche, Bettspreiten usw., ohne die es jetzt Tagelöhnerweiber nicht mehr tun wollen.

Die ungestrichenen Stubenmöbel wurden samstags gescheuert. Dazu diente Sand, der aus Steinen geklopft wurde, die aus einzelnen Gemarkungsfeldern gelegentlich mit heimgebracht waren. Ein Strohwisch, aus einer handvoll Stroh lose zusammengebunden, diente als Handhabe. Damit wurden auch Küchentisch und Eimer gescheuert. Tischplatten wurden in längerer Zeit etwas dünner gescheuert,so z.B. meiner Großmutter Brauttisch, der jetzt 114 Jahre alt ist und in der Gesindestube noch als Eßtisch dient. Gegenwärtig dient zum Scheuern gekaufter Sand und eine Wurzelbürste. Ohne Geld geht es nicht mehr.

Der frühere Zehnte an Feldfrüchten zerfiel in einige Teile, den großen, den kleinen und andere. Sie wurden verpachtet. Den sogenannten großen Zehnten teilten mehrere Pächter - richtiger den Erlös des großen Zehnten teilten mehrere Pächter unter sich, nachdem sie die Zehntsammlung und den Ausdrusch gemeinschaftlich bewirkt hatten.

In der Erntezeit sandten die Pächter mehrere Männer zu Felde, sogenannte Zehntsammler. Diese erspähten alle Felder und Acker, auf denen Früchte gebunden wurden, nichts entging ihnen. Jedes zehnte Bund legten sie aus der Reihe, das mußte der Eigentümer liegen lassen. Von Erzeugnissen, die nicht gebunden wurden, z.B. Sommersamen nahmen sie die zehnte Schwade. War das zehnte Bund nach ihrer Ansicht geringer gemacht, oder die Schwade, so nahmen sie das 11., 21. usw.; Streitigkeiten blieben dabei nicht aus. Den Zehntsammlern folgten Wagen, welche die Bunde sammelten und in eine gepachtet Scheune fuhren, hier langjährig die Amtscheune. Das Geschäft mochte meistens ein gutes sein, was daraus zu schließen ist, daß nach den Erzählungen beim gemeinsamen Ausdrusch mehr wie sonst gebräuchlich ein anregender Trunk zwischendurchlief.

Frühere Feiertage

Vom 1. Januar 1785 ab kamen im Bistum Paderborn nach dem Vorgange anderer Länder und Diözesen 19 Feiertage in Wegfall. Von den verbliebenen sind später noch 6 in Wegfall gekommen, teilweise auf die nachfolgenden Sonntage verlegt. Vor dem 1. Januar 1785 bestanden also 25 Feiertage mehr wie gegenwärtig.

Ehemalige gutsherrlich-bäuerliche Verhältnisse

Die Dörfer Daseburg, Rösebeck, Körbecke, Bühne, Manrode und Muddenhagen bildeten ehemals die sogenannte Herrschaft Desenberg. Sie standen zu den Herren von Spiegel zum Desenberg in verschiedenen Verhältnissen. Zunächst waren sie das Jahr hindurch frohndienstpflichtig. Ein Vollmeier mußte im Jahre 83 Tage Spanndienst leisten und zwar von Petri bis Michaeli wöchentlich 2 Tage, von Michaeli bis Petri wöchentlich 1 Tag. Ein Kötter dagegen mußte im Jahr 66 Tage Handdienst leisten und zwar von Johanni bis Michaeli 2 Tage, von Michaeli bis Johanni wöchentlich 1 Tag. Auf einen Halbmeier und Halbkötter entfiel je die Hälfte von vorstehenden Leistungen. Die Wahl der Tage stand den Frohnleuten nicht zu, sie mußten auf Bestellung kommen. Sie standen unter Frohnvögten, erhielten Mittagessen und eine "Micke", das war ein runder Laib Brot, item Trinkwasser zur Beschwichtigung etwaigen Durstes. Machten sie sich mißliebig, so wurde kurzer Prozeß mit ihnen gemacht, indem sie für eine Nacht oder länger in die "Eule" gesperrt wurden. Einen Rechtsweg hiergegen mochte es nicht geben. Daher war es auch nicht ratsam, auf geschehene Bestellung auszubleiben.

Körbecke frohndete auf Übelngönne.

Es war Rede davon, den Köttern sei Heede zum Spinnen ins Haus geworfen. Flachs wurde gezehntet und da im Winter weniger Beschäftigung in Handdiensten war, wählte man den Ausweg, die bei der Flachsbereitung gewonnene Heede von den Dienstpflichtigen in ihrer Wohnung spinnen zu lassen. An Abgaben, welche unsere Vorväter leisten mußten, nennen verstreute Urkundennotizen folgende:

Frucht- und Blutzehnten, Heuerfrüchte, Schillinge, Hofgeld, Weinkaufsgeld von jedem neuen Besitznachfolger, Maibeede, Hahnen, Rauchhühner, Eier, Kruggeld, Trifthämmel und Triftlämmer. Auch von einem Heimfallsrecht bei mangelnder Nachkommenschaft ist die Rede. Daneben spielt Dienstgeld eine große Rolle, welches später an die Stelle der Frondienste getreten zu sein scheint. Übrigens berichten mir Jetztlebende, daß ihre Väter noch Frondienste geleistet und auch gelegentlich in die "Eule" gewandert sind.

Neben diesen Leistungen schrieb die Landesregierung ihre Schatzungen aus. Welche Lähmungen diese Frohnlasten und endlosen Abgaben auf das eigene Fortkommen üben mußten, ist leicht zu ermessen. Neben denen von Spiegel zum Desenberg waren unsere Vorfahren auch an andere Adelsgeschlechter und an Klöster pflichtig. Diese Verpflichtungen sind zunächst teilweise, später aber allgemein in Geldabgaben verwandelt worden. Danach wurden sie unter staatlicher Vermittlung zur Ablösung gebracht. Die langjährigen Zinsen u. Amortisationsbeträge hießen Renten, weil die Ablösung durch Rentenbanken erfolgte. Auf des Unterzeichneten Grundstücke betrugen diese Jahresrenten pro Morgen 1 Mark 3 Pfennige. Ein Teil war am 31. Dezember 1890 getilgt, der andere Teil am 31. Dezember 1897.

In den Zeiten des sogenannten Raubrittertums war es notwendig, daß die Ritter ihre Hintersassen vor Überfällen und Plünderungen benachbarter Ritter beschützten. Auch ließen sie Verwaltung und Gerichtsbarkeit ausüben. Somit stand den Abgaben und Dienstleistungen einige Gegenleistung gegenüber. Oft genug mochte es aber zutreffen, daß ein Ritter, weil er seinem Gegner auf bergtrotzender Burgfeste nicht beikommen konnte, sich an dessen Hintersassen durch Raub und Plünderung rächte, ohne das diesen Ersatz geleistet wurde.

Hierbei sei daran erinnert, wie die Ritter einst den Kaufmann, mit dem sie niemals in irgend welcher Verbindung standen, auf seinen Warenzügen tributpflichtig machten. Der Kaufmann erwehrte sich dieser anwachsenden Tributnahme im Zusammenschlusse mit bewaffneter Hand. Dies war nur möglich, weil er geldkräftig war und sich am häuslichen Herd hinter dreifachen Stadtmauern vor Überfällen gesichert wußte.

Dem offen wohnenden, geldarmen Bauern standen keine Mittel zu Gebote, sich einer anwachsenden Tributpflicht zu erwehren und somit mußte er ihr erliegen.

Nun waren im Verlauf der Zeit Schutz, Rechtspflege und Verwaltung an die Landesregierungen übergegangen. Dementsprechend erhoben diese auch Abgaben. Danach blieben die frühern gutsherrlichen Leistungen ungeschwächt bestehen, obwohl ihnen durch Wegfall jeglicher Gegenleistung die Berechtigungsgrundlage fehlte. Der Bauer war also doppelt mit Abgaben belastet, einmal dem Staat, daneben vom sogenannten Gutsherren, von letztem in stärkerem Maße. Zudem beschränkte dieser ihn in der Verfügung über sein Eigentum.

Unsern Leistungen an den Staat, die Kirche, die Gemeinden und Kommunalverbänden stehen allseits Gegenleistungen gegenüber.

Danach mußten besagte Verhältnisse unhaltbar und ihre Umgestaltung als Frage der Zeit erscheinen. Vielleicht aber hätten sie noch eine lange Fortdauer erfahren, wenn nicht neue Ideen gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts, von Frankreich ausgehend, Geltung erlangt hätten.

Bis dahin hatten die Standesvorrechte und Feudalverhältnisse allseits als die stärksten Stützen der Staaten gegolten. Die französische Revolution und der aus dieser hervorgegangene Napoleon brachen mit diesen Anschauungen und somit gelangten Söhne aus dem Volke, talentvolle Bauernsöhne und gewesene Fleischergesellen in die höchsten Staats- und Heerführerstellen. Als Napoleon diese gegen die europäischen Feudalstaaten marschieren ließ, kamen letztere in überraschend schneller Weise nicht nur ins Wanken, sondern zu jähem Sturze. Danach wurde die Morschheit der bestehenden Verhältnisse allseitig erkannt. Weitschauende Staatsmänner suchten nach einem breitern und zuverlässigern Fundament, um die Staatenreste auf ihnen umformen und wieder aufrichten zu können. Sie erkannten es in einem freien Bauernstande und vermochten - sicher nicht ohne Kampf - die Aufhebung der Leibeigenschaft durchzusetzen (1809). - Hiernach mußte die Zeit nicht fern scheinen, in welcher auch die Anhängsel der Leibeigenschaft, die gutsherrlichen Leistungen, denen keine Gegenleistungen gegenüberstanden, in Wegfall kamen.

In dieser Voraussicht mochte es geschehen, daß unsere Vorfahren nun zur gerichtlichen Anerkennung der Hauptleistungen veranlaßt und diese dann in die Hypothekenbücher eingetragen wurden. Das geschah gegen 1812. Nun waren sie festgelegt und mußten später im Wege der Ablösung getilgt werden.

Somit hatte der Staat aus dringendem Staatsinteresse uns die Freiheit zurückgegeben, nachdem er einst unsere freien Vorfahren durch ein Wort der Staatsallmacht ihrer Freiheit entäußert und sie in die Gewalt mächtiger Geschlechter gegeben hatte. Aus der hieraus abgeleiteten Dienstbarkeit und Abgabenpflicht mußten wir uns loskaufen.

Chronik Teil 7

Holzgerechtsame und Holzprozeß

Im 17. Jahrhundert begann ein Prozeß über Rechte und Pflichten zwischen den 6 Dorfschaften der Herrschaft Desenberg und den sämtlichen Gevettern von Spiegel zum Desenberge.

Darunter befand sich die Forderung auf Wiedergewährung der Holzgerechtsame, d. i. der Anspruch der Dörfer auf Wiederherstellung freier Brennholzlieferung aus den von Spiegel'schen Waldungen, die in der Hauptsache in einem großen Halbkreis hinter Bühne liegen. Auch das Braunsholz bei Körbecke zählt dazu.

Im Jahre 1686 erging das erste richterliche Erkenntnis der Paderborner Regierung, worin zunächst Daseburg das geforderte Recht zuerkannt wurde. In der nächsten Zeit wurde ausgesprochen, daß sich genannte Rechtsprechung auf alle 6 Dörfer beziehe.

In den Jahren 1701 und 1718 folgten Erkenntnisse des Reichskammergerichts. Weitere Erkenntnisse datierten aus den Jahren 1775 und 1780. In allen Erkenntnissen wird übereinstimmend allen 6 Dorfschaften das Recht freien Brennholzbezuges aus den von Spiegel'schen Waldungen zugesprochen, "wie vor Alters" und "in Conformität hierbevor gewesenen Gebrauchs". Diese Ausdrücke und Wendungen gestatten keinen Zweifel daran, daß der Brennholzbezug ein althergebrachtes Recht war, welches von den Pflichtigen zu Unrecht vorenthalten wurde. Dies Recht wurde also durch Richterspruch wiederhergestellt, indem sämtliche Ausflüchte derer von Spiegel zurückgewiesen wurden.

Gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts war der Prozeß 100 Jahre in der Schwebe gewesen mit dem Resultat, daß die Dörfer stets, auch in den höchsten Instanzen gewonnen, aber nie etwas empfangen hatten. Das war dazu angetan, den Glauben an die jemalige greifbare Erlangung ihrer Berechtigung zu erschüttern und eine Ermüdung zu bewirken. Drei Generationen waren darüber ins Grab gesunken. Ein namhafter Schriftsteller sagt: "Wenn es lange geht, daß der gemeine Mann sein Recht erhält, so verliert er das Vertrauen und gibt alles verloren." Dies traf im vorliegenden Fall bei unsern Vorvätern wörtlich zu. An einer Stelle erklären die Berechtigten, daß sie "wegen vieler Kosten, großer Schäden und Unannehmlichkeiten sich schwach und incapabel fühlen" und sich auf einen Vergleich einlassen wollen. Geschicktes Zureden durch von Spiegel'sche Beamte mochte hinzukommen, und so sehen wir dann 5 Dörfer ihr erstrittenes Recht und mehr denn 100-jährige Rechtsforderungen gegen einen verschwindend winzigen Nachlaß von Verpflichtungen preisgeben.

Mit Eingesessenen von Körbecke, als den letzten der Vergleichenden wurde der Vergleich am 18. November 1790 abgeschlossen. Von Seiten derer von Spiegel ist später aus ihren Renteiregistern nachgewiesen, für Körbecke sei gegen den Vergleichsverzicht auf die Holzgerechtsame folgender Nachlaß gewährt worden:

  1. 1 Taler 12 Mariengroschen 6 Pfennige an Schillingen und Hofgeld
  2. 14 1/2 Stck Hahnen und 290 Eier (Hühner dagegen verbleiben)
  3. 15 Taler 22 Mariengroschen Dienstgeld.

Dieser Jahresnachlaß hat einen Wert von etwas über 20 Talern. Die Werte der gegeneinandergestellten Verzichte stehen in einem solch schreienden Mißverhältnisse, daß ich die Richtigkeit obiger Zahlen bezweifeln würde, wenn sie nicht als von v. Spiegel'scher Seite herrührend in einem amtlichen Schriftstück vor mir lägen.

Von einem halbwegs verständlichen Ausgleich kann bei solch auffälligen Wertdifferenzen nicht Rede sein.

Vorhin ist bereits aufgeführt, daß die Berechtigung nach dem Verlauf der Sache die Hoffnung auf greifbare Erlangung ihrer Berechtigung verlieren mußten. Einmal war gerichtsseitig festgesetzt, weil die Pflichtwälder durch übermäßiges Hauen etc. ruiniert seien, sollten die Berechtigten sich bis zur Erholung der Wälder vorerst mit 500 Waldfuhren jährlich begnügen, die ihnen zu verabfolgen seien. Sie bekamen doch künftig ebensowenig etwas, wie vorher. Es war keine Exekutive vorhanden, die unsern Vorvätern ihr erstrittenes Recht verschaffte, weshalb sie trotz errungener Siege kapitulierten. Das Abhängigkeitsverhältnis, in welchem sie Jahrhunderte zu den "hochadeligen Häusern" gestanden hatten, mochte auch noch eine Rolle spielen, daß sie ihre Rechte in einem äußerst hinkenden Vergleich wie der Volksmund sagt "für ein halbes Ei und einen halben Käse" hingaben.

Die Gemeinde Bühne hatte sich nicht zur Kapitulation bewegen lassen und verfolgte weiter unablässig ihr Recht. Als die Kriegsgeißel zu Ausgang des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts sich über die Länder wälzte und staatliche Umwälzungen sich in baldiger Wiederkehr vollzogen, kamen Anträge zu dem Gegenstand nicht zur Ausführung. Im Jahre 1819 dagegen kam der Prozess für die Gemeinde Bühne faktisch wieder in Aufnahme. Diesem schlossen sich die Gemeinden Manrode und Muddenhagen im Jahre 1843 wieder an.

In den Vergleichsdokumenten war gesagt, die Gevettern von Spiegel sollten ein gleichlautendes Exemplar vollziehen und den resp. Gemeinden aushändigen lassen. Dies scheint nicht geschehen zu sein, weder persönlich, noch durch Bevollmächtigte. Ein direkter Beweis für diese Vollziehung hat nirgends erbracht werden können. Somit wurden die jeweiligen Vergleiche der einzelnen Gemeinden für einseitige Schriftstücke angesehen und ihre Gültigkeit mangels Vollziehung der andern Vergleichspartei seitens der Gemeinden bestritten. Dies wurde nun der Angelpunkt, um welchen sich die Sache fortan drehte. Von Seiten der Gemeinden ist eidlich ausgesagt, es sei nicht bekannt, daß die resp. Gemeinde jemals im Besitz eines von denen von Spiegel vollzogenen Vergleichsexemplars gewesen sei. Die Personen, die hierüber bekunden sollten, wurden von gegnerischer Seite namhaft gemacht.

Das Verhältnis der einzelnen Gemeinden kann hier nicht näher dargestellt werden. Das abweichende Verhältnis der Gemeinde Bühne ist vorhin dargelegt. Des weitern ist zu bemerken, daß die erwähnten Vergleiche der Gemeinden Körbecke, Manrode und Muddenhagen von demselben Notar du Plat abgefaßt waren und in ihrem Wortlaut übereinstimmten. Die Rechtsgrundlage dieser 3 Gemeinde war also völlig gleichmäßig. Das Resultat dieser neuerlichen Prozesse war, daß den Gemeinden die Gerechtsame wieder zugesprochen wurde, den Gemeinden Manrode und Muddenhagen letztinstanzlich im Jahre 1853.

Da die Exekutivgewalt zur Zeit eine stärkere und durchgreifendere war, wurde in den Jahren 1856 und 1857 ein interimistischer Hauungsplan für die Pflichtwaldungen behördlich festgesetzt und vorgeschrieben, auch die Ausfolgung bestimmter Holzdeputate an die Berechtigten reguliert und angeordnet. Hiermit kamen die Berechtigten von Bühne, Manrode und Muddenhagen kurz vor 1860 in den erstmaligen - interimistischen - Genuß ihrer Berechtigung. Das war etwas über 170 Jahre nach dem ersten zusprechenden Erkenntnisse. Inzwischen war die Ablösung der Berechtigung beantragt worden. Zu diesem Verfahren wurde die Gemeinde Körbecke amtlich in einen Termin nach Beverungen geladen, um sich zum Gegenstande zu äußern. Nach dem Vorgang der andern Gemeinden schloß sich auch die Gemeinde Körbecke der Geltendmachung der Gerechtsame wieder an und war hiermit wieder prozessende Partei.

Bis dahin hatte der Gegenstand hier das Interesse verloren. Da nirgends und niemals ein greifbarer Erfolg errungen war, mochte man keine Hoffnung mehr im Herzen haben und wurde gleichgültig. Der Einzelne, der die Sache hätte in Gang bringen und erhalten sollen, wäre behufs Information zu Reisen, zum Studium der Sachlage, also zur Aufwendung erheblicher persönlicher Opfer an Zeit und Geld genötigt gewesen.
In den Gemeinden Manrode und Muddenhagen, an dritter Stelle auch Bühne, wurde unseres Wissens von manchen Einwohnern verhältnismäßig sehr viel prozessiert. Deshalb mochte es dort nicht an streithaften Männern fehlen, die ihre Holzgerechtsame mit zäher Energie unter großen persönlichen und materiellen Opfern immer wieder verfolgten. Es wurde gesagt, mehr wie einmal sei die Ziege aus dem Stalle verkauft worden, um wieder einiges Reisegeld zur Verfolgung der Sache zu erlangen.

Der gemeinsame Kirchgang an Sonntagen hielt die Bewohner dieser 3 Gemeinden in steter und lebhafter Verbindung. Daß sie sich deshalb von der Verfolgung eines, alle Gemeinden gleichmäßig interessierenden Rechtes in gegenseitiger Kenntnis und Anregung hielten, ist nur natürlich.

Das alles traf bei den übrigen 3 Dorfschaften nicht zu. An dem endlichen und handgreiflichen Siege der obigen 3 Gemeinden nahmen jene, die die größten, bewunderungswerten Opfer zu seiner Erlangung gebracht hatten, nicht mehr teil.

Als Körbecke in die Verhandlungen wieder einbezogen, die Berechtigung auch beansprucht und der Verjährungseinwand zurückgewiesen war, mußte die Sache insofern für günstig angesehen werden, als Manrode und Muddenhagen bei völlig gleicher Sachlage letztinstanzlich gesiegt hatten. Indes blieb die möglichste Widerlegung und Entkräftigung der gegnerischen Behauptungen und Beweisversuche unerläßlich. Wer das unterläßt, wird ohne Ausnahme jeden Prozeß verlieren. In unserm Falle konnten nur Wahrscheinlichkeitsbeweise aus der Vergangenheit beiderseits herangezogen werden. Es waren 3 Deputierte gewählt, welche die Sache verfechten sollten. Diese waren indes dem verwickelten Gegenstande nicht entfernt gewachsen. Es lag ein Status causa et controversiae von über 150 Bogenseiten über den Stand der Sache mit seinen Gründen und Gegengründen vor. Wie wollten die Deputierten sich aus einem Schriftstück von solchem Umfange informieren, das sie - wenigstens teilweise - nicht mal ordentlich lesen konnten!

Demnächst stand ein richterliches Erkenntnis bevor.

In diesem Stadium wurde Schreiber ds. mit dem Gegenstande bekannt. Im neueren Verlauf war bereits ein für uns ungünstiges Erkenntnis ergangen. Nun wußte niemand von uns, daß es für uns die allerhöchste Zeit war zu der größten Gegenwehr, Schreiber ds. konnte es im Alter von unter 30 Jahren erst recht nicht wissen. Die Deputierten aber hätten es wissen müssen.

Eine eingehende Überprüfung der Akten führten mich zu der Überzeugung, manche der gegnerischen Beweisführung könnten gründlich widerlegt und entkräftet, anderen gegenteiligen Tatsachen von gleicher Wahrscheinlichkeit entgegengesetzt werden. In einem Schriftstück hatte ich das ausführlich darzulegen versucht. Dazu hatte ich wiederholt dringend geraten, einen tüchtigen Rechtsanwalt mit der Vertretung zu betrauen und ihn mit Verteidigungsmitteln nach Möglichkeit auszurüsten. Ohne tatsächliche Widerlegung der gegnerischen Behauptungen und Angaben mußten diese Beweiskraft erlangen.

Mein Vorschlag auf Vertretung durch einen Rechtsanwalt wurde nicht befolgt, weil weise Männer reifern Alters davon abrieten. Aus Furcht vor Verrat hatte nämlich von Anfang an die Parole gegolten, unter keinen Umständen dürfe die Gewalt aus der Hand gegeben werden. Das war so ein- gefleischt, daß der Befürworter einer rechtsanwaltlichen Vertretung bei der Menge, die sich jetzt wieder lebhaft für den Gegenstand interessierte, die Färbung nach Bestechlichkeit und Verrat erhielt.

Auf der Gegenseite arbeiteten mehrere Rechtsanwälte in gegenseitiger Unterstützung. Da konnte es wohl kaum anders kommen, daß uns, die wir nichts taten, eine ungünstige Entscheidung zufiel. Dies geschah dann auch durch Urteilsspruch im Jahre 1864.

Durch Schaden wird man klug; so erging es unsern Weisen. Nun wollten sie einen Rechtsanwalt zulassen, der den verfahrenen Karren wieder aus dem Sumpfe aufs Trockene ziehen sollte. Es wurde ein Paderborner Justizrat, der früher in gleicher Sache für Muddenhagen und Manrode tätig gewesen war, in Anspruch genommen.

Einer der Deputierten lebte schon länger nicht mehr, ein anderer war schwach und kränklich, der dritte hätte dem Rechtsgelehrten zu einer vorläufigen Information, die dieser ohne vorheriges Studium der Akten bedurfte, wohl nicht eine einzige Antwort geben können. Somit wurde Schreiber ds. als Sprecher mit nach Paderborn delegiert. Dort erfuhren wir, daß uns keine Appellation, sondern nur das Recht der Nichtigkeitsbeschwerde offen stände, welches aber an sehr enge Bedingungen gebunden sei. - Ein Rechtsanwalt am Obertribunal zu Berlin lehnte nach Durchsicht der Akten die Einlegung einer Nichtigkeitsbeschwerde ab, weil kein durchschlagender Grund dafür vorhanden sei. Somit hatten wir die Berechtigung unwiderbringlich verloren.

Wenn eine Gesamtheit in wichtiger und schwieriger Sache die Wahl von Vertretern nicht auf Sachkenntnis und Leistungsfähigkeit gründet, sondern sich von plumper Redeweise imponieren läßt, die in der Regel umso hohler ist, je breiter sie sich macht, so ist es nicht nur natürlich, sondern sogar billig und recht, wenn sie gründlich abfällt. Das geschieht denn auch oft, wird aber nichtsdestoweniger ebenso oft wiederholt. Das große Wort imponiert auch ohne jedwede Sachkenntnis. Aber schade und recht beklagenswert bleibt es immer, daß unser Braunsholz nicht auch an die Nachkommen seiner ursprünglichen Besitzer zurück gelangte. Die endliche Abwicklung des Holzgerechtsameprozesses dauerte bei den Gemeinden Bühne, Manrode und Muddenhagen bis gegen die Jahrhundertwende, ohne die Vorstadien vor dem ersten Erkenntnisse immerhin über 200 Jahre, wobei eine Ausgleichung über die früher nicht geleisteten Rückstände nicht eingerechnet ist.

Das war fürwahr ein langer Prozeß!

Wer ist des Gedankens fähig, unsere Vorfahren hätten es ermöglichen können, den Herren von Spiegel länger denn 170 Jahre Rechte und Leistungen völlig vorzuenthalten, nachdem sie durch richterliche Urteile aller lnstanzen zu deren Leistung immer wieder pflichtschuldig erklärt worden? Zweifelsohne würde man mit ihnen, wie der Volksmund zu sagen pflegt, kurzen Prozeß gemacht haben.

Bühne, Manrode und Muddenhagen sind mit Waldparzellen abgelöst worden. Zu den Deputierten von Bühne zählte seinerzeit ein älterer unbemittelter Schuhmachermeister, der nicht nur großen Eifer, sondern auch ein ausgezeichnetes Verständnis von dem verwickelten Gegenstand besaß. Bei der Vorstellung des ehrenwerten Meisters habe ich immer die Empfindung an dem Manne sei ein guter Rechtsanwalt oder Diplomat verloren gegangen, auch seiner äußeren Erscheinung nach. Den endlichen Sieg seiner Sache hat auch er nicht mehr gesehen.

In dem Verfahren wurde wiederholt erwähnt, der Anspruch der Eingesessen auf das Recht des Raff- und Leseholzes, sowie des Stukenrodens sei einem besondern Verfahren vorbehalten. Die Abwicklung des Hauptgegenstandes hatte aber eine solche Übermüdung veranlaßt, daß besagte Rechte nicht mehr zur Sprache gebracht worden sind. Hierzu mochte übrigens auch beitragen, daß sie die ehemalige Bedeutung nicht mehr besaßen.

Das Streitholz in unserm Braunsholze, das ist der Teil rechts vom mittlern Wege, soll länger im Besitz der Gemeinde gewesen, dann aber auch verloren gegangen sein. Näheres und Aktenmäßiges ist darüber nicht bekannt.

Das Braunsholzwäldchen hätte uns, nach wiederholtem Ausspruch der die Sache bearbeitenden Spezialkommissare, bei richtiger und tatkräftiger Vertretung nicht können verloren gehen. Die erstrebte Brennholzgerechtsame muß als Überbleibsel frühern Eigentums angesehen werden.

Als die Geschlechter der Mächtigen in unsere Gegend kamen, waren unsere Vorfahren lange schon ansässig. Ohne Zweifel besaßen und nutzten sie auch ihre Bemarkungswälder. Als später Wald, Jagd, Fischerei etc. auf irgend welche Weise in den Alleinbesitz der Großen genommen wurde, verblieb den frühern Eigentümern der freie Bezug des unentbehrlichen Brennholzes. Diese Folgerung ist so natürlich und naheliegend, daß ein Zweifel daran nicht zulässig ist. Die entzogene Freiheit hatte der Staat unseren Vätern im Staatsinteresse wiedergegeben. Von den Pflichtigkeiten konnten wir uns unter staatlicher Beihilfe ablösen durch Geldzahlungen. Auch vom Walde hätten wir nach dem Vorgange von Bühne, Manrode und Muddenhagen einiges zurückerhalten, hatten es aber verträumt und verpaßt. Gewissermaßen als ein bleicher Schatten früherer Rechte blieb uns nun das gelegenliche Betreten, der Genuß von des Waldes Luft und Schatten, den Kindern die Freude an einigen Waldbeeren.

Die ideellen Eigenschaften und Genüsse, die der Wald bietet in seiner Luft und seinem Schatten, in seinem freundlichen, von allen Seiten uns umgebenden Grün, im Vogelgesang, wirken wohltätig auf die menschliche Gemüts- und Seelenstimmung und heben das körperliche und geistige Befinden. Das Wiedererwachen der Natur im Frühling läßt sich in seinen Fortschritten nirgends besser beobachten und verfolgen, wie im Walde. Deshalb bestand zwischen Mensch und Wald ein freundschaftliches Verhältnis seit dem Bestehen des Menschengeschlechts.

Die ideellen Güter und Gaben des Waldes sind in unerschöpflicher Fülle vorhanden, sind materiell für den Waldbesitzer völlig wertlos und erfahren durch tausendfältigen Genuß keine Verminderung. Diese Eigenschaften geben ihnen den Stempel eines Allgemeinguts, ähnlich dem erwärmenden und belebenden Sonnenstrahle. Daher war auch eine Störung des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Mensch und Wald früher absolut unbekannt und erschien undenkbar, obgleich die materiellen Waldwerte nicht ohne schädigende Angriffe blieben.

Auch unser Wäldchen, dessen nächste Umgebung in angenehmster Weise schöne und wechselvolle Aussichten bietet, war in der bessern Jahreszeit ein wirkungsvoller Anziehungspunkt für sonn- und festtägige Spaziergänger. Bei einladendem Wetter machte mancher Landmann am Sonntagnachmittag mal einen längst besprochenen Gang mit Frau und Kindern zum Walde und fanden darin eine Erholung von langen Wochenmühen. Das war das einzige Vergnügen auf dem vernügungsarmen Lande. Einzelne besuchten den Wald auch an Wochentagen. Wer nach längerer Abwesenheit zum Geburtsorte kam, den zog es alsbald zum Wäldchen. Städtische Besucher auf dem Lande verlangen in der besseren Jahreszeit nach dem Aufenthalt im Freien und namentlich im Walde. Einzeln fand am Sonntag ein Bierverzapf, einmal ein Konzert daselbst statt, zweimal produzierten sich auswärtige Gesangvereine (von Daseburg und Wormbach). Dabei wäre es stets angenehm gewesen, hätten wir auf eigenem Grund und Boden gestanden. Dies machte sich fühlbar, weil seitens unserer störrischen Forstaufsicht der Waldbesuch mehr und mehr angefeindet wurde. Dies hätte man früher für undenkbar gehalten. Im Jahre 1895 ist dann im Warburger Kreisblatt durch den Rentmeister des Grafen von Spiegel das Betreten des Braunsholzes förmlich verboten worden. Die Wege wurden gleichzeitig teilweise bepflanzt, mit Holz verlegt, mit Querbalken gesperrt. Auch das Pflücken einiger nutzlos verwelkter Beeren ist zur Bestrafung gebracht worden. Da keinerlei Waldfrevel mehr stattfinden, mußte das als Schikane empfunden werden.

Im Streitverfahren hätte sich das nur für wenige Einzelne unwirksam machen lassen. Gütliche Vorstellungen bei dem vermeintlichen, im Auslande wohnenden Besitzer hatten wenig Erfolg. Der Herr sprach sich wohlwollend aus, fürchtete aber die Erwerbung eines Verjährungsrechts und wollte bestimmte Beschlüsse nicht fassen ohne seinen Rechtsbeistand und seinen Rentmeister. Diese aber glauben sich im eigenen Interesse verdient zu machen, wenn sie vor Preisgabe von Rechten warnen. Nachdem wir von dieser Sachlage aufs Überzeugendste vergewissert worden waren, leisteten wir auf weitere Unterhandlungen als völlig zwecklos Verzicht.

Somit war uns Nachkommen der frühern Urbesitzer das zuletzt verbliebene Brosamen - der Genuß von Waldes Luft und Schatten - denn auch versagt, weil unser unfreundlicher Forstaufseher den altgewohnten und harmlosen Besuch in schroffster Weise zu einem Anfeindungsprojekte gemacht hatte. Einzelne z.B. Schreiber ds. setzten ihren Waldbesuch fort und würden ihn nötigenfalls auf dem Rechtswege verteidigt und behauptet haben, für die meisten aber hörte diese billige Annehmlichkeit nahezu ganz auf.

Im Jahre 1901 bedurfte die Forstverwaltung für den Braunenkop eine Holzabfuhr nach der Amensenchaussee. Sie hatte sich einen Weg angelegt der über den Separationsweg Nr. 37 zur Chaussee führt. Der Weg Nr. 37 ist in der Separation von und für die Separationsinteressengemeinschaft aus deren Vermögen angelegt. Der Braunekop ist nun von der Separation ausgeschlossen worden und also nicht Mitglied besagter Interessengemeinschaft. Somit kann auch kein Nutzungsrecht an den von der genannten Gemeinschaft neu angelegten Wegen beansprucht werden, sonder muß sich auf die vor der Separation bestandenen Abfuhrwege beschränken. Diese unsere Auffassung hatte Unterzeichneter sich von der kompetentesten Beurteilerin der Separationsausschüsse, der Königlichen General-Kommission zu Münster bestätigen lassen, weil die Forstverwaltung auf eine unrichtig geformte Wendung in unserm Reparationsrezesse hin ein Recht an dem Weg Nr. 37 behauptete.

Wir widersetzten uns der Holzabfuhr über diesen Weg, weil dem Walde die Anmaßung unzuständiger Rechte nicht gestattet werden konnte, nachdem seine Besitzer uns den bloßen Eintritt verwehrten. Obgleich unsere Polizeibehörde sich zunächst weigerte, erzwangen wir doch die Bestrafung der Holzabfuhr über den Separationsweg Nr. 37. Das führte zu Verhandlungen.

Hierbei stellte sich heraus, daß der bisher Domherrliche Waldteil, der etwa 3/4 des ganzen Braunsholzes ausmacht, für uns zunächst in Frage kommt und seit 36 Jahren im Erbprozesse schwebt, unter gerichtlichen Kuratel stand. Ein Justizrat in Hamm war seit Jahren gerichtlich bestellter Kurator. Dies war uns bis dahin unbekannt geblieben. Dieser Herr nun vermochte bei einer Aussprache und Verhandlung an Ort und Stelle der schroffen Geltendmachung von Rechten seitens der Forstmänner kein Verständnis abzugewinnen, weil ein sachlicher Grund und Zweck dafür nicht ersichtlich zu machen ist. Somit kam es zu einem Übereinkommen, wonach der althergebrachte Waldbesuch uns mit Ausnahme der Schonungen weiter gestattet, dem Waldeigentümer dagegen die neue, für die Zukunft wohl unentbehrliche Holzabfuhr über den Interessentenweg Nr. 37 zugestanden ist. Dies Abkommen lautet auf gegenseitige Kündigung, beide Teile aber haben ein Interesse an seinem Fortbestande.

Das Verbot des Betretens, das der Rentmeister des Grafen publiziert hatte, war also eine Täuschung und ein Übergriff, weil ihm nur über den verhältnismäßig kleinen Anteil des Grafen Rechte zustanden, über das ganze Braunsholz als solches zu bestimmen ihm aber jede Befugnis mangelte. Dieser Übergriff darf als ein Glied in der Kette alten Herkommens angesehen werden. Die Gegenüberstellung der Tatsachen, daß uns der altgewohnte Eintritt verwehrt, dagegen mit dreister Überlegenheit die wegeverwüstende Holzabfuhr über einen Weg beansprucht wurde, von dessen Anlage und Herstellung man den fraglichen Waldteil ausgeschlossen hatte, läßt ahnen, wie sich die Verhältnisse zur Zeit unserer Vorväter entwickelt haben mögen, wenn wir hinzunehmen, daß Letztere auch in späterer Zeit richterlich verbürgte Rechte nicht mal zu erlangen vermochten, wie der Holzprozeß bezeugt.

Hierhin gehört noch, daß zwei Rechtsanwälte als Vertreter der Waldbesitzer der hiesigen Gemeinde gemeinsam die Erklärung zustellten, das Braunsholz werde als eigene Jagdparzelle beansprucht und sei damit aus der Gemeindejagd ausgeschlossen. Seither sind Jahre vergangen, ohne daß das von Spiegelsche Braunsholz in der Hand eines einzigen Besitzers vereinigt worden wäre. Zu einem eigenen Jagdbezirke fehlten also die gesetzlichen Voraussetzungen durchaus. Es war nicht anzunehmen, daß die beiden Rechtsgelehrten von der Stichhaltigkeit ihrer gesuchten Argumentation überzeugt waren. Somit blieb nur die Annahme übrig, es sei die Meinung maßgebend gewesen, das gemeinsame Auftreten zweier Justizräte und die Erwägung, daß deren Auftraggeber die Kosten eines Prozesses nicht zu scheuen brauchten, würde einer Dorfgemeinde derart imponieren, daß sie sofort die Waffen strecke.

Das hatte verdient, den Herren scharfen Schnupftabak unter die Nase zu schicken. Nach Kenntnis aller einschlägigen Verhältnisse kann es unmöglich zweifelhaft sein, welche Seite auf Erlangung von Vorteilen zu Ungunsten und zum Nachteil der Gegenseite vorging.

Es sei noch ein Gegenstand erwähnt, der zu denen von Spiegel als Besitzer des Braunsholzes in Verbindung steht.

Die Hauptzugangswege zum Braunsholz - Mittlererweg und Ostheimerweg - waren früher schmal und einspurig, vielfach Hohlwege. In der Separation im Jahre 1858 wurden hier für neue Wege in Breite von 2 Ruten ausgelegt. Somit wurden zum Mittlerenweg 6 Morgen, zum Ostheimerwege 4 1/2 Morgen Ackerland verwendet, wogegen die geringere und wertlose Fläche der alten Wege in die Separationsmasse überging. Die neuen Wege mußten in Gräben gelegt und notdürftig planiert werden. Zu diesen Neuanlagen der Wege, die durch Verwendung der doppelten Grundfläche bessern Ackerlandes, durch Grabenanlage und Planierung kostspielig war, trug das Braunsholz nichts bei, weil die Veranlagung aus der Separationsmasse bestritten wurde, das Braunsholz aber von der Separation ausgeschlossen war. Die Verbesserung dagegen kam ihm in erheblichen Maße zu Gute.

Die Holzabfuhr geschieht durchweg im Winter und Vorfrühling, auch bei nassem Wetter, weil die Wege stets Gefälle haben. Die betreffenden Wege werden daher alljährlich arg zerfahren und für Frühjahrsdüngerfuhren, die eine stete Steigung überwinden müssen, unbrauchbar gemacht. Dies wird immer fühlbarer, weil das Braunsholz inzwischen zu Hochwald aufgewirtschaftet ist und infolgedessen weit mehr und schwerere Holzarten liefert wie ehedem - Klafterholz statt der früheren Reisighaufen. Wegen besagten Zerfahrens hat die Gemeinde einige der bedürftigsten Strecken chausseemäßig herstellen lassen. Zu den Gemeindeausgaben wird das Braunsholz mit einem Grundsteuerbetrag herangezogen.

Die Grundsteuerveranlagung stammt aus einer Zeit, in welcher das Braunsholz als Buschholz etwa 1/4 von dem gegenwärtigen Werte hatte. Da Holzungen überhaupt zu einem geringeren Reinertrage eingeschätzt werden, so ist der Grundsteuersatz des Braunsholzes äußerst gering. Die Gemeindeausgaben gehen zur Zeit über die Steuerbeträge hinaus, deshalb müssen Zuschläge auf Einkommen- und andere Steuern erhoben werden. Hierbei geht das Braunsholz leer aus.

Zu den kostspieligen Neuanlagen der jetzigen besseren Wege trug also das Braunsholz gar nichts bei. Sein Beitragsanteil zu den laufenden Reparaturen und Verbesserungen steht zu seinem Interesse an den Wegen, zu den starken Schädigungen, die es ihnen zufügt, die weit größer sind, wie von Ackergrundstücken gleichen Flächeninhalts und eine vermehrte Kostenaufwendung geradezu notwendig machen, in einem starken Mißverhältnis zum Nachteil der Gemeinde.

Hinzu kommt noch der Nachteil, den die einzelnen Grundstückseigentümer dadurch erleiden, daß die Wege alljährlich durch die Holzabfuhr zu Düngerfuhren zeitweise unbrauchbar oder viel schwerer passierbar gemacht werden.

Diesen Gegenstand habe ich in vorstehender Weise im Jahre 1905 dargelegt, damit er durch den Gemeindevorsteher dem gerichtlich bestellten Kurator des Freiherrlich von Spiegelschen Fideikommißvermögens, Justizrat Schultz zu Hamm, zugestellt werde unter der Anheimgabe eines finanziellen Zuschusses zu den Kosten für Aufbesserung der Wege zum Braunsholz. Nachdem darauf einige Einwendungen widerlegt waren, ist der Gemeinde aus der von Spiegelschen Forstkasse ein Wegebauzuschuß von 100 Mark überwiesen.

Waldbegrünung
Seit 27 Jahren hat der Unterzeichnete den Zeitpunkt aufgezeichnet, in welchem der Wald im jungen Frühlingskleide prangte, also im jungen Vollgrün stand. Als Beobachtungsobjekt ist das Liebenauer Diemeltalwäldchen gewählt, welches unserm Bachtal quer vorliegt und in Feld und Wohnung meinen Blicken täglich zugänglich ist. Es ist ein Buchenschlagholz mittlern Alters. Das nähere Braunsholz eignet sich vorläufig weniger zum Beobachtungsobjekt, weil es wegen gemischten Bestandes (Buche, Eiche, Birke, Linde, usw.) mit seinem Vollgrün weniger scharf einsetzt.

In den 27 Jahren der Beobachtung fiel der Zeitpunkt der eingetretenen Vollbegrünung 14 mal in den Maimonat, 13 mal in den Monat April. Abgesehen von einem Ausnahmetermine vom 17. April 1894 steht als frühester Termin einmal der 23., viermal der 24. April, als spätester Zeitpunkt dagegen zweimal der 11. Mai verzeichnet. Einen Durchschnittstermin erhält man aus der Summe der Tage, welche bei der jeweiligen Begrünung seit dem 1. Januar verflossen waren. - Fällt das Vollgrün z.B. auf den 24. April, so ist das der 114. Tag im Jahre, wogegen der 11. Mai der 131. Tag ist. Hiernach erhalte ich in den 27 Beobachtungsjahren mit Einrechnung des Begrünungstages die Summe von 3263 Tagen und nach Hinzurechnung von 6 Schalttagen 3269 Tage, geteilt durch 27 - ergibt 121 Tage im Durchschnitt. Danach fällt der Durchschnittstag der eingetretenen Vollbegrünung in den 27 Jahren auf den 1. Mai - in einem Schaltjahre auf den 30. April.

Eine spätere Wiederaufnahme dieser Beobachtungen, - die hiermit bestens empfohlen sei, - würde zu einem interessanten Vergleiche und zuverlässigen Schlusse hinsichtlich etwaiger Klimaveränderungen dienen können.

Ein Notar hier ansässig

In einem Kaufvertrage über die hiesige Mühle aus dem Jahre 1653 sagt der amtierende Notar Henrikus Steckell, die Vertragsschließenden seien in seiner hiesigen Wohnung vor dem Mühlentor erschienen. Der Tradition zufolge soll er in Sauerlands Hause gewohnt haben.

Ein Einwohner Steckell schenkte zum vormaligen Kirchenbau im Jahre 1663 100 Taler. Es darf angenommen werden, daß es Notar Steckell war.

Körbecke ein Marktflecken?

Der Tradition zufolge soll Körbecke ehemals ein Marktflecken gewesen sein. Ein Brunnen an der östlichen Lieth sei der Marktbrunnen gewesen (bis in die 1880 Jahre vorhanden). Die Namen von 3 Toren haben sich erhalten: Mühlentor, Kreuztor und Teppentor. Hierbei käme in Rücksicht, daß Borgentreich sich zusammengesetzt hat aus verschiedenen Ortschaften, die ehemals um Borgentreich lagen, z.B. Emmerke in der Richtung Bühne, Sünnerke nach Eissen, Holthusen nach Körbecke hin u.a. Als diese Ortschaften noch bestanden, war Körbecke vielleicht größer als Borgentreich und so ist es wohl möglich, daß Körbecke damals seine Märkte hatte.

Mietwohnungen

Einigen ist es noch bestimmt in Kenntnis, daß um die Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts in Körbecke mehr als 50 Familien ansässig waren, die kein eigenes Heim besaßen, sondern bei andern Hausbesitzern mietweise wohnten, Juden und Christen. Dabei waren weniger Häuser vorhanden wie jetzt, auch waren die Häuser durchweg kleiner, denn fast alle Häuser sind seither durch Neu- oder Anbauten vergrößert worden. Viele ärmere Leute mußten sich damals mit erstaunlich beengten Wohnräumen begnügen. Ein Mann wurde noch namhaft gemacht, der, als er einmal keine Wohnung bekommen konnte, sich am Heiberge eine Wohnung herrichtete, halb Höhle, halb Hütte, und diese mit der Familie bezog. Das mietweise Wohnen hat inzwischen fast ganz aufgehört, teils wegen Abnahme der Bevölkerung, teils wegen Neubau von kleinen Wohnungen.

Bei der Erstkommunion war es Brauch, nach der Kommunion ein Gläschen Rotwein folgen zu lassen, das der Knabe Nr. 1 aus einem bereitgestellten Kruge einschenkte und der Reihe nach darreichte. Schreiber ds. ist hier der letzte derartige Mundschenk gewesen, danach ist der Brauch abgeschafft.

Als bei dem frühern Weidegange die mittägige Kuhmilch von der Weide geholt werden mußte, veranstalteten die "Milchmädchen" allsommerlich den sogenannten "Milchmädchentanz", bei welchem die umgekehrte Ordnung galt, daß die Mädchen zu jedem Tanze sich ihre Tänzer wählten. Die Borgentreicher Milchmädchen und Frauen trugen ihre Milcheimer allesamt auf dem Kopfe und strickten unterwegs Strümpfe, wie ich oftmals gesehen habe. Das Tragen auf dem Kopfe, auf den zunächst ein eigens dazu geformtes Kissen gelegt wurde, Kruke genannt, war bei der weiblichen Bevölkerung eine verbreitete Gewohnheit.

Von auswärtigen Körbecker Kindern seien noch einige erwähnt, die gestiegen sind: Mein Schulgenosse Bernhardinus König, der talentvolle Knabe einer blutarmen Mutter, besuchte die Schule noch ein 9. Jahr, zugleich mit Levy Wolfstein. Sie waren insofern meine engern Schulgenossen, als ich, wenngleich noch schulpflichtig, mit ihnen zusammen arbeitete, wir also keiner Schulklasse angehörten. Beide widmeten sich der Kaufmannschaft, König hier, Wolfstein in Amerika. Als B. König selbstständig wurde, wohnte er zunächst in Sömmerda, später bis jetzt in Haspe bei Hagen, wo er ein eigenes Fabrikgeschäft betreibt. Es mag ein sehr bewegtes Leben gewesen sein, durch welches König auf den jetzigen Standpunkt gekommen ist. Julius Göken widmete sich der Kaufmannschaft und ist jetzt Besitzer einer Schuhfabrik in Neumarktl, Krain-Österreich. Gregor Graute begann mit seinem elterlichen Vermögen von 11 Morgen Land, einem Hause und Lohnbacken. Das Backgeschäft dehnte er später dahin aus, daß er wöchentlich zweimal Verkaufsbrot nach Warburg fuhr. Nachdem er sein Gut nach und nach auf 60 Morgen vermehrt und die entsprechenden Gebäude zugebaut hatte, kaufte er die Uhlenburg bei Warburg und siedelte dahin über. Nun betrieb er das Backgeschäft mit täglichem Absatz nach Warburg und in die Industriegegend, wo sein Brot einen Namen erwarb. Graute besitzt jetzt mit der Uhlenburg nahe 140 Morgen Land, in Körbecke noch über 40 Morgen. Von seinen Söhnen wohnt einer in Essen, einer in Warburg. Jeder von ihnen betreibt eine schwunghafte Brotbäckerei auf eigenem Grund und Boden mit den neuesten Einrichtungen und elektrisch betriebenen Maschinen, alles von Vaters Segen.

Ferdinand Grewe fing an mit seinem väterlichen Erbe von 5 1/2 Morgen Land und einem Haus. Des Winters machte er Holzschuh, vermehrte sein Land nach und nach bis gegen 19 Morgen und baute ein neues Haus. Dann kaufte er die Austernmühle bei Warburg und ca. 70 Morgen Land und siedelte dahin über.

Als die Zuckerfabrik eine neue Kläranlage baute, sank das Wasser in dem Kalksteinfelsen und kam bis in das Wohnhaus der Austermühle. Daher kaufte die Zuckerfabrik nun die Austermühle. Ferdinand Grewe aber kaufte sich in der Provinz Hessen-Nassau in der Gegend von Fulda an. Dort zählt unser ehemaliger "Holschenmette" nun anscheinend zu den befestigten Großgrundbesitzern mit 220 Morgen Land und Wiesen, welches eine gute Lage haben, gut fruchtbar sein soll. Also Hofbesitzer.

Über die frühere Beschaffenheit der Wege ist noch folgendes anzuführen:

Bis ins 19. Jahrhundert hinein, teilweise bis zur Separation führte unmittelbar vor den Dorfausgängen in der Richtung nach Rösebeck eine niedrige Sumpfstrecke, die in einer Urkunde als "der große Entenpfuhl bei Henniges Hause" bezeichnet wird. Der jetzige Straßendamm ist im 19. Jahrhundert angeschüttet. In der Richtung nach Liebenau lag vor dem Mühlengraben eine Sumpfstrecke, die bei nassem Wetter unpassierbar war. Im 19. Jahrhundert mußte der Müller, wenn er zu Pferde mit seinen Kunden verkehren wollte, dies auf Umwegen über die Wanne bewerkstelligen, natürlich zur Zeit der Nässe. An einen Wagenverkehr war nicht zu denken. Die Kirchgänger und Schulkinder aus der Mühle hielten bei nassen Zeiten den Weg über den jetzigen Häusern am Berge und kamen dann vom Degenbicken her in die Mühle und umgekehrt. Der jetzige Wegedamm wurde später aufgeschüttet. In der Richtung nach Lamerden führte der "Schlangenweg", ein tiefer Hohlweg. Ins sogenannte "Große Feld" führte der Amtweg, ein Hohlweg. In der Richtung nach Bühne kannten wir vor dem Dorfausgange bei nassem Wetter noch eine große Laache, die indes keinen sumpfigen Untergrund mehr hatte, wie ihre Umgebung.

Als bei der Bruchmelioration eine Drainageführung die Thünewiesen entlang unter der Chaussee vor der Mühlenbrücke vorbei gelegt wurde, hob man aus dem kurzen und schmalen Grabengrunde unter der Chaussee, nachdem man in der Tiefe auf den ehemaligen Weg gestoßen war, 12 Stk. Hufeisen aus der Tiefe, die ehedem in den Sumpfboden leicht stecken blieben. Diese Hufeisen, ebenso wie auf dem Bruche aus den Drainagegräben heraufbeförderte, waren durchweg klein, demnach von erheblich kleineren Pferden, wie jetzt hier heimisch sind. Dagegen waren die Schenkel der Hufeisen breiter, ließen also in der Mitte wenig Huf frei. Ein Ackersmann erzählte, er sei einmal mit einem zweispännigen Wagen nach Warburg gefahren und habe ein leeres Hausmannsfaß auf dem Wagen gehabt. Diesseits des Rothenhauses, neben dem Desenberge, blieb der Wagen im sumpfigen Hohlwege stecken. Es mußte Hilfe von Rothehaus geholt, der Wagen auseinandergenommen und stückweise auf das höhere Land neben dem Hohlwege geschafft werden. Bei abendlicher Rückkehr mit einiger Ladung wurde der Hohlweg gemieden und der Weg über höher gelegene Acker genommen. Das war wahrscheinlich in den Jahren nach 1830.

Als wegen des kurhessischen Konflikts im Jahre 1850 Preußen einerseits Österreich und Bayern anderseits sich drohend gegenüberstanden, hatten wir zuweilen Durchmärsche und von Herbst bis Nachwinter 3 mal längere Einquartierungen. Im nahen Kurhessen waren Bayern einquartiert. Nachdem die erste Einquartierung wochenlang gedauert hatte, erschallten in einer düstern Novembernacht die Alarmsignale durch die ganze Gegend. In stockfinstrer Nacht rückten die Truppen auf den damaligen schlechten Wegen in das Kurfürstentum ein. Danach kam noch zweimalige Einquartierung. Diese gestalteten sich recht drückend aus folgenden Gründen: Die Kartoffelkrankheit stand damals auf ihrer Höhe und schmälerte den Ertrag derart, daß der Bedarf der eigenen Bevölkerung unbefriedigt blieb. Ein etwaiger Bezug aus fernen Ländern war völlig ausgeschlossen, weil weite Gebiete dem Eisenbahnverkehr noch nicht angeschlossen waren. Somit war es auch mit der Schweinemast unrühmlich bestellt.

Macht sich in normalen Jahren eine längere Einquartierung schon recht unangenehm geltend, wie drückend mußten dann bei dem Mangel an Hauptnahrungsmitteln längere Einquartierungen mit Verpflegung empfunden werden. Die Dauer der Einquartierungen war nicht abzusehen. Die Hausvorstände konnten sich unmöglich der Sorge entschlagen, für eigenen Bedarf bis zur nächsten Ernte etwas zu behalten. Da nun manche Hausstände monatelang um das doppelte stärker noch vermehrt waren, so ist es leicht zu ermessen, daß die Beköstigung den Hausvorständen ernste Sorgen und Schwierigkeiten bereitete, die in der Unsicherheit in Bezug auf die Dauer eine erhebliche Verschärfung erfuhr. Die jüngern Linientruppen waren in ihren Ansprüchen von durchaus tadelloser Bescheidenheit. Anders dagegen war es mit einer rheinischen Landwehrtruppe, meist Angehörige städtischer Industrien, mit denen Konflikte unvermeidlich waren. Neben ihren Einwendungen gegen die Beköstigung, die bei dem Kartoffelmangel nicht völlig normal sein konnte, zeugten andere Oppositionen z.B. gegen das nächtliche Dreschen, welches ihre Nachtruhe störe, nicht eben von friedlich wohlwollenden Gesinnungen. In der Sylvesternacht, wo junge Leute und Männer mehr wie gewöhnlich im Wirtshause und auf der Straße sind, kam es in einer Wirtschaft mit ihnen wegen anmaßenden Wesens zu einer Schlägerei, die auf der Straße ihre Fortsetzung fand und in der die anmaßenden Fremdlinge den Kürzeren zogen.

Unsere Schulgebäude sind 1893 und 1896 gebaut und hatten die Erwerbung eines Spritzenhausplatzes, den Abbruch des alten und die Erbauung eines neuen Spritzenhauses, eine Entschädigung des Lehrers für verlorene Nutzung von Obstbäume und einer kleinen Baumschule im Gefolge. Mit Einrechnung aller Nebenkosten beliefen sich die Schulbaukosten auf rd. 50.000,-- DM, obiges eingerechnet.

Zu unserm Kirchenbau, den wir zu Ehre Gottes, zu unserm und unserer Nachkommen Seelenheil begonnen und dessen glückliche Vollendung wir dem Schutze des Allerhöchsten empfohlen hatten, war kein Baufonds vorhanden. Die Bausumme mußte angeliehen, verzinst und amortisiert werden.

Nachdem in den letzten 50 Jahren besserer Wohlhabenheit an die Stelle alter Häuser vielfach neue, größere und schönere Gebäude errichtet worden, auch ein ansehnliches Schulgebäude erstanden war, wurde es immer augenfälliger, daß unser kleines und unscheinbares Kirchlein inmitten besserer Umgebung und gestiegener Wohlhabenheit das Gotteshaus nicht mehr würdig repräsentiere. Durch den Neubau kam nun auch die Kirche zu ihrem Rechte.

Die Bauleitung hatte Architekt von Fisenne in Gelsenkirchen. Bauunternehmer war Meister Franz Sunder-Plaßmann zu Herzfeld a.d. Lippe, Bez. Münster. Platzpolier war Joseph Striewe aus Schwaney, der sich ein hiesiges Mädchen zur Frau erkor.

Arbeitslöhne am Kirchenbau.

Maurer erhielten einen Stundenlohn von 34 bis 35 Pfennig im ersten, 32 bis 34 Pfennig im zweiten Baujahre. Handlanger erhielten 2,40 Mk. pro Tag; Maurerlehrlinge 1,30 Mk. je Tag. Die Anfuhr von Baumaterial von Station Liebenau wurde je Zentner mit 10 Pfennig bezahlt. Die Maurer murreten und waren mit dem Lohn nicht zufrieden. Als der hiesige Unternehmer Joseph Dierkes in den Jahren 1850 und 51 das Rathaus in Borgentreich und s. Zt. die Dammbrücke vor Borgentreich, sowie die Eggelbrücken vor Lütgeneder ausführte, waren überflüssige Maurer hier noch nicht vorhanden. Nach den Angaben eines Teilnehmers dauerte die Arbeitszeit damals in der bessern Jahreszeit regelmäßig von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Nach Abrechnung einer zweistündigen Mittags und einer halbstündigen Frühstücks- und Vesper-Pause verblieben 12 Arbeitsstunden. Der Gesellenlohn betrug damals 11 Silbergroschen, gleich 1,10 Mk. je Tag.

Unser Kirchenbau fand erfreulicherweise seine Vollendung ohne jeglichen Unfall.

Die Gesamtkosten einschl. der Platzerweiterung belaufen sich auf 112.000,- Mk. Hinzu kommen für notwendige innere Einrichtungen etwas über 10.000,- Mk. Weitere Inventaranschaffungen über die augenblickliche Notwendigkeit hinaus ca. 4.000,- Mk. Summe aller Aufwendungen abgerundet: 126.000,- Mk. Der auf die Gemeinde übernommene Kostenteil beziffert sich auf 117.000,- bis 118.000,- Mk. An freiwilligen Gaben ist beigesteuert: Von Einheimischen 5.600,- Mk. von Auswärtigen ca. 2.600,- Mk. zus. 8.200,- Mk.

Auswärtige Teilnahme

Zum vorhergehenden Kirchenbau hatten von auswärts der damalige Fürstbischof von Fürstenberg 400 Taler, die Besitzer des Forstortes Eichhagen bei Bühne (damals von Spiegel) das benötigte Bauholz zugesteuert. Über den Eingängen der Kirche befanden sich zwei bischöfliche und ein von Spiegel'sches Wappen, offenbar zum Andenken an jene Hilfsbereitschaft. Diese Wappen haben in der Westfront des neuen Turmes ihren Platz gefunden. Auch ist jene Beteiligung in eine neue Grundsteinurkunde aufgenommen, die Pietät gegen die ehemaligen Wohltäter mit der alten Kirche also keineswegs abgebrochen.

Nun stand ich unter dem Eindruck, vielleicht sei es den Manen der ehemaligen Wohltäter als auch deren Nachkommen gegenüber nicht völlig gerecht und könne möglicherweise als Vernachlässigung erachtet werden, wenn nicht wenigstens einem Familienrepräsentanten in Erinnerung an die ehemalige Teilnahme ihrer Vorfahren Kenntnis von dem gegenwärtigen Kirchenbau und damit Gelegenheit gegeben werde, zu einer etwaigen Anknüpfung an die vormalige Beteiligung ihrer Ahnherren. In diesem Sinne unterbreitete ich dem Herrn Grafen von Spiegel-Desenberg zu Wischenau in Mähren-Österreich, als auch dem Herrn Grafen von Fürstenberg-Herdingen bei Hüsten Bez. Arnsberg je einen entsprechenden Vortrag. - Der Herr Graf von Spiegel-Desenberg, der durch einigen Grundstücksbesitz unserm Gemeindeverbande zuzählt, erklärte sofort seine aufrichtige Genugtuung darüber, daß es ihm durch mein Anschreiben ermöglicht sei, nach dem Beispiel seiner Vorfahren sich an unserm Kirchenbau beteiligen zu können. Nach Benehmung mit unserm Pfarrherrn stiftete er eine neue Monstranz. Mit der Anfertigung betraute er den Goldschmiedemeister Ludwig Adler in Wien. Anfang Juli 1902 traf sie hier ein und wurde bei Einweihung der Kirche durch den hochw. Bischof von Paderborn, Dr. Wilhelm Schneider, am 21. Juli 1902 zum erstenmal in Gebrauch genommen. Sie ist aus massivem Silber in Vergoldung - die Lunula aus Gold - hergestellt, mit Edelsteinen und Perlen besetzt und erregte freudige Bewunderung. - Der Herr Graf von Fürstenberg lehnte eine Beteiligung ab.

In Ausführung des Vorhabens unseres verstorbenen Herrn Pfarrers Hartmann stifteten seine Warburger Erben eine Kommunionbank. Von auswärtigen Körbecker Kindern stiftete der Kaplan Bremer in Marsberg die Kirchenlampen einschl. derer vor dem Portal, sein Bruder, der Chemiker Dr. Bremer, damals in Antwerpen, gab 200 Mk bar.

Möge der Bau seine Bestimmung zur Ehre Gottes und zum Heil unserer Seelen für uns und unsere Nachkommen stets erfüllen bis in die fernsten Zeiten. Das Glockengeläute erscholl vom neuen Turme zum erstenmal am 12. Dezember 1901. Der feierliche Einzug erfolgte am ersten Ostertage, den 30. März 1902 vor dem Hochamte. Schlechtes Wetter beeinträchtigte die Einzugsfeier wesentlich. Am Einzuge konnten manche leider nicht mehr teilnehmen, die es freudig gehofft und gewünscht hatten, u. a. unser seitheriger Pfarrer und Schullehrer.

Nach dem erstmaligen Verlassen der neuen Kirche kam keine freudige Empfindung zum Ausdruck, sondern es herrschte allgemeine Mißstimmung über die ungenügende Größe, die von Mund zu Mund beklagt wurde.

Hieran beteiligten sich auch solche, die stets die genügende Größe ausdrücklich proklamiert hatten. Da ungenügende Größe ein dauerndes Hindernis für notwendige Ordnung bildet, so wird dieser schwere Fehler voraussichtlich durch Jahrhunderte beklagt und schwer empfunden werden. Deshalb erscheint es angemessen, seine Geschichte etwas genauer darzulegen.

Als die Bauzeichnung erschien, die in gänzlicher Verkennung der hiesigen Verhältnisse zu allem Überfluß zweitürmig war, wurde sie "als viel zu groß" allgemein verschrien und bekämpft. Dem lag keine verlässliche Kenntnis zu Grunde. Eine Erklärung gibt es einmal, in der gewohnt gewordenen Kleinheit unserer alten Kirche, dann die ländliche Unkenntnis von Bauzeichnungen. Nun ist ein Kirchenbau für eine Dorfgemeinde unleugbar das wichtigste Werk des Jahrhunderts. Deshalb ist es nicht nur geziemend, sondern unabweisbare Pflicht zunächst der geistlichen und weltlichen Vorstände, möglichst zuverlässige Selbstinformationen zu beschaffen, damit das kostspielige, für viele Jahrhunderte zu schaffende Werk den berechtigten Anforderungen entspreche. Unter den berechtigten Anforderungen steht die ausreichende Raumbeschaffung an erster Stelle als unerläßliche Aufgabe. Zuverlässige Information hierüber ist zu erlangen durch Messung, Berechnung und Vergleichung von Vorhandenem nebst entsprechenden Umfragen darüber. Die vielseitige Bekämpfung unserer gezeichneten Größe drängte geradezu nach dieser Information. Da genannte Pflicht indes unbeachtet blieb, glaubte Schreiber ds. sich ihr unterziehen zu sollen, um dem Gemeindewohl zu dienen und es nicht zur Tatsache werden zu lassen, daß das wichtigste Werk von Jahrhunderten aus der Gemeinde heraus nicht das notwendige und werktätige Interesse finde. Somit habe ich die Kirchen von Lütgeneder, Dössel, Hohenwepel, Daseburg, Westheim und Schwaney, die im abgelaufenen Jahrhundert erbaut waren und in denen ein einzelner Geistlicher amtiert, gemessen, ihre Größe auf die katholische Seelenzahl verrechnet und die örtliche Erfahrung und Meinung erfragt.

Bei allen Neubauten hat sich eine etwas reichliche Raumbefriedigung ohne Ausnahme stets und allein richtig erwiesen. Die Erfahrung lehrt, daß hinsichtlich des Größenbedürfnisses nur allzu häufig eine Unterschätzung herrscht. Das findet seinen Ausdruck in der späteren Klage, daß es hätte größer sein müssen, und in Nach- und Anbauten, die gegen eine ursprüngliche Ausdehnung weder zweckmäßig noch sparsam erscheinen. Eine gegenteilige Überschreitung dagegen zählt zu den großen Seltenheiten.

Zur Anbahnung einer Vergrößerung ist folgendes versucht worden: Schon vor dem Abschluß meiner Information machte ich dem Architekten gelegentlich mündlich den Vorschlag einer Erbreiterung um 2 Meter. Es lag nahe, daß eine Einzelanregung ohne jegliche Unterstützung eine Ablehnung erfahren werde. Dieses erfolgte denn auch in einer Weise, die den Eindruck der Unzugänglichkeit machte, womit jedes Hineinreden abgeschnitten werden sollte. Nach Vervollständigung meiner lnformation handelte es sich darum, wie sich unsere maßgebenden Personen dazu stellten. Sie sind ihnen vorgelegt worden mit folgendem Erfolge:

Auf einer Stelle wurde noch das Schreiben eines auswärtigen Pfarrherrn vorgelegt, mit dem ich über die Größenfrage im Schriftwechsel gestanden hatte. Dieser sprach in lebhaftem Interesse unter Hervorhebung spezieller Gesichtspunkte einer reichlichen Raumbefriedigung das Wort und betonte besonders, daß von der eigenen Pfarrkirche sicher niemand auch nur ein Quadratmeter würde missen wollen. Das alles wurde zwar zur Kenntnis genommen,aber nicht im geringsten darauf reagiert, vielmehr unter Hinweis auf die Zuverlässigkeit unseres Architekten unserm Projekt die unbedingte Sicherheit bezüglich der zweckgemäßen Größe zugesprochen. Auf zwei anderen Stellen fanden meine Vorlagen und Bemühungen gar kein Interesse.

Selbst das Zahlenmaterial wurde keiner Prüfung und Vergleichung unterzogen. Mit dem Trostspruche "groß genug wird sie ja!" war die Sache abgetan. Unsere maßgebenden und verantwortlichen Personen bemühten sich also nicht selbst um Informationen und verschlossen auch vor ihnen gebotenen die Augen.

Hinzu kommt noch folgendes:

1. Der unzuverlässige Architekt hatte einmal sich schriftlich bereit erklärt , das Projekt um ein Pfeilerfeld zu verkürzen und die Gewölbejoche zu drücken, also kürzer und niedriger zu bauen. Der Fassung nach war das offenbar eine Antwort auf eine Mitteilung über die hiesige Größenbemängelung, welcher der Architekt sich also beugte. Ob die gedachte Mitteilung vielleicht einen Vorschlag auf Verkleinerung enthalten hatte, entzieht sich meinem Urteil, unmöglich ist es nicht. Als mir das besagte Schriftstück des Architekten zufällig zu Gesicht gekommen, machte ich seinem Verfasser ungesäumt ernste schriftliche Vorhaltungen über seine unberechtigte und unrühmliche Kapitulation vor unmündigen Kundgebungen, denen gegenüber er das Notwendige unverteidigt preisgebe.

2. Nachdem uneigennützige Bemühungen im Interesse des Gemeinwohles sich nicht in der Richtung einer Verkleinerung bewegen wollten, bemühte man sich um ihre Ausschaltung. An rechtskundiger Stelle wurden Erkundigungen eingezogen, ob der Kirchenvorstand in der Sache mitzusprechen habe, während mit Mitteln der Gemeindekasse gebaut werde. Es wurde bejubelt, als diese Frage verneint wurde.

3. Ein Bewohner hatte dem Bischöflichen Generalvikariat mitgeteilt, die hiesige Bevölkerung seufze unter schwerem Kummer, weil ein Kirchenbau über Bedürfnis ausgeführt werden solle.

4. Das Bischöfliche Generalvikariat sandte einen Deligierten, der dem hiesigen Kirchenvorstande Vorstellungen dahin machen mußte, das Projekt überschreite unser Raumbedürfnis, stehe mit einer finanziellen Haushaltung nicht im Einklang und deshalb empfehle sich eine Einschränkung. Nachdem solcher Gestalt bundesgenossenschaftliche Angriffe auf die Größe des Projekts sich die Hände reichten und die hiesige Stimmung stärkten, wurde einem Vorschlage auf Vergrößerung die Diskussionsfähigkeit abgeschnitten.

Daß die Abwehr der Angriffe auf die projektierte Größe gelang, war wohl eine Folge meines Zahlenmaterials und meiner Bemühungen. Der Vikariats-Delegierte z.B. nahm nach Vorlegung und Erläuterung desselben von der weiteren Verfolgung seines Auftrages völlig Abstand, auch der Architekt widersetzte sich nach meiner Gewissensschärfung hierfür einer Verkleinerung. Dagegen mußte ein vereinzeltes Befürworten auf Vergrößerung, dessen Notwendigkeit zu verteidigen ich übrigens nie aufgehört habe, verhallen, wie die Stimme des Rufenden in der Wüste.

Alles gesagte spielte sich ab vor dem Baubeginn, und da dieser gegen die ursprüngliche Absicht eine vorteilhafe Hinausschiebung erfuhr, fehlte es zu ausreichender lnformation nicht an Zeit. Das Projekt - es ist nur eines vorhanden gewesen - kam mit Weglassung eines zweiten Turmes zur Ausführung und ist in der neuen Kirche verkörpert. Es ist nicht erreicht, was die Mehrheit wollte, denn diese wollte dringlichst eine kleinere Kirche, aber zu klein ist sie doch, die in ihrem Projekte von den Rufern im Streite als der schreckbare "Kölner Dom", der die Gemeinden Körbecke und Rösebeck fassen könne, ohne gefüllt zu werden" zum Schrecken vieler Unwissenden ausposaunt wurde.

Übrigens war während der Bauzeit die Stimmung allmählich selbsttätig umgeschlagen. Eine erhebliche Mehrheit glaubte nicht mehr an den Schreckhaften "Kölner Dom", sondern stand - leider zu spät - unter dem Eindrucke ungenügender Größe. Diese Meinung hat sich in unserm größeren Maße zutreffend erwiesen. Der Augenschein lehrt, daß eine ansehnliche Teilnehmerzahl keinen Sitzplatz erhalten kann.

Dabei ist der Kinderplatz noch ungeügend bemessen, die alten Bänke stehen mit 70 cm von Mitte zu Mitte zu eng, sodaß die Männer beim Sitzen unter der Predigt die Beine schräg halten müssen. Dabei ist die Teilnahme am Hochamt noch durch vorhergehende Frühmesse vermindert, welches, weil früher nicht gebräuchlich, beim Bau nicht in Betracht kommen konnte, auch womöglich wieder in Fortfall kommen kann. Dieser schwere, durch Jahrhunderte fortwirkende Fehler verdirbt die aufrichtige Freude am Werk - befriedigt ist niemand.

Die Verantwortung trägt zunächst der einseitig beauftragte Architekt, der ein ungenügendes Projekt vorlegte und sich bereit erklärte, dies noch zu verkleinern. Solcher Wankelmut vermochte indes das Vertrauen unserer maßgebenden Personen in seine Zuverlässigkeit nicht im mindesten zu erschüttern. Nicht mindere Verantwortung hat das Bischöfliche Generalvikariat mit seinem Verkleinerungsvorschlage. Dieser war zwar einer guten Absicht entsprungen, allein damit hebt sich die Verantwortung nicht auf. Ihm wie auch dem Architekten fällt pflichtgemäß die Obsorge für die Zweckmäßigkeit zu, auch müssen beide sich der Tragweite ihrer Einwirkungen völlig bewußt sein. Solch verkehrten Einwirkungen gegenüber schweigsam zu verharren, ist meines Empfindens nicht recht. Durch Klärung können ähnlich schädlich wirkende Einflüsse an einer Fortsetzung behindert werden.

Nach Eintritt des untrüglichen Augenscheins, der kein Ausweichen zuläßt, habe ich mich daher der undankbaren Aufgabe unterziehen zu sollen geglaubt, sowohl dem Generalvikariat als auch dem Architekten je eine ausführliche Darlegung dessen, worauf es bei einem Kirchenbau an erster Stelle ankommt, zu unterbreiten und in Verbindung hiermit die Unsachlichkeit und schädliche Folge ihrer Einwirkungen zu betonen und lebhaft zu beklagen. Mach meinen außerordentlichen Bemühungen um eine zweckmäßige Größe, die von jenen Seiten durchkreuzt waren, konnte ich ihnen diese Vorhaltungen nicht schenken.

Das Vorhalten vorgenannter Faktoren bestätigt die alte und leider so häufig unbeachtete Lehre, daß in wichtiger Angelegenheit niemals blindes Vertrauen an die Stelle von Selbstinformation treten soll, soweit letztere möglich ist.

Als unsere Vorväter eine kleine Kirche bauten, war die Schwächung der Bevölkerung und Finanzkraft durch den 30-jährigen Krieg noch nicht ausgeglichen. Uns stehen bei dem gleichen Fehler Milderungsgründe nicht zur Seite. In Gemeindeangelegenheiten schiebt eine Großmannssucht leider nur zu häufig eine persönliche Gegensätzlichkeit an die Stelle des sachlichen Interesses. So auch in unangenehmer Weise hier beim Kirchenbau. Bei wichtigen Anlässen ist dann oft ein Eingreifen der Aufsichtsorgane notwendig, um in das richtige Gleis zu steuern. In unserm Falle aber steuerten diese in Ermangelung richtiger Sachkenntnis nur noch weiter vom richtigen Wege ab. Der Größenmangel bleibt ein stetes Hindernis für die notwendige Ordnung. Es muß beachtet werden, daß die ländliche Bevölkerung gegenwärtig auf einer Tiefstandziffer steht, die eine weitere Abnahme kaum ertragen kann und einige Zunahme nicht zur Unmöglichkeit zählt. Ist das Raumverhältnis nun für die gegenwärtige Tiefstandziffer nicht völlig ausreichend, so würde schon eine geringe Vermehrung das Mißverhältnis umso auffälliger machen. Die gewöhnliche Entwicklung wird künftighin zuverlässig Ansprüche erheben auf vermehrte Räumlichkeit in jeder, auch der kirchlichen Richtung.

Angemessen und dringend ist es, zu wichtigem Werke die Vorbereitungen auf das sorgfältigste zu treffen, damit das Zweckmäßige getroffen werde. Bei wenigen Anlässen möchte dazu so viel Zeit zur Verfügung stehen, wie bei einem Kirchenbau, wobei sie ohne Schädigung auf Jahre ausgedehnt werden darf. Unsern Vorbereitungen nach ist der Bau noch gut genug ausgefallen.

Feldquellen die niemals versiegten und aus denen die sommerlichen Feldarbeiter ein gutes Trinkwasser entnahmen, waren in unserer Gemarkung etwa 40 bis 50 Stück vorhanden. Am quellreichsten waren die Ahlersieks-, Neien-, Ellentalswiesen und Schnakenberg, während der Gemarkungsteil vom Liebenauer Wege bis durchs Waterfeld und Alfen ohne Quellen war. Nach der Separation sind die meisten durch Drainröhren in die benachbarten Gräben geleitet und dadurch leider dem Auge unsichtbar geworden.

Zum Bleichen von Leinen und Wäsche wurden ehemals die "Eckernwiesen" und die Wiesen "Unter den Thünen" benutzt. Da die Separation leider keine Gemeindebleichplätze ausgelegt hat, werden die Wiesen "Unter den Thünen" auch heute noch als Bleichplätze benutzt.

Früher führte in "Becker Woorth", die zu dem Hause Nr. 66 gehört, am Pfarrgarten entlang ein Fußweg zu den Thünenwiesen und den Bleichen. Dieser Fußweg, dessen Vorhandensein und Benutzung sich zweifellos die ältesten Einwohner erinnerten, wurde nach 1870 von dem Grundstücksbesitzer gesperrt. Unsere Gemeindevertretung hätte dem wehren müssen, hat sich aber nicht darum gekümmert. Es ist also kein direkter Zugang mehr vorhanden und soweit ferner noch dort gebleicht wird,ist den Frauen und Mädchen, denen eine Menge häuslicher Arbeiten obliegt, der öftere Bleichgang sehr erschwert.

Becker Woorth diente ehemals auch den Kindern im Winter zu einer Schlittenbahn, die nicht gewehrt wurde. Später hat der Besitzer dies verpönt, wozu man ihm das Recht nicht absprechen kann. Es erscheint empfehlenswert, daß seitens der Gemeinde vermittelst Einvernehmen und einer mäßigen Vergütung an den Eigentümer den Kindern Becker Woorth wieder als Schlittenbahn zugänglich gemacht würde, weil es an einer andern geeigneten Bahn mangelt und das Schlittenfahren für die Kinder ein zuträgliches Wintervergnügen ist.

Im Sturm- und Revolutionsjahre 1848 zitterten die Wogen des Aufruhrs bis in die Dörfer hinein. Hier hatten Gleichgesinnte wiederholt dem Vorschlag zugestimmt, einige Judenhäuser mit ansehnlichen Kramläden - es waren deren 3 - auszuplündern. Indem die Phantasie ihnen den verlockenden Genuß von Branntwein, Tabak, Kaffee, Zucker ect. bei dem Werke in Aussicht stellte, mochte die Begehrlichkeit und Versuchung groß genug sein. Eine Probe auf die Nützlichkeit ist indes nicht gemacht, die Kinder Israels kamen mit dem Schrecken davon.

Ein Agitator aus Paderborn suchte in einem Vortrage die Bevölkerung zur Steuerverweigerung zu erziehen. Durch dieses einfache Mittel könne und müsse die Regierung lahm gelegt werden. Nach der Verweigerung werde der Exekutor pfänden und einen Verkauf der Pfandstücke anstellen. Auf diese Pfändstücke dürfe nirgends und von niemand ein Gebot erfolgen. Dann gehe der Regierung das Geld und der Atem aus und werde sie durch dies einfache Mittel zur Kapitulation gezwungen. Danach komme eine Volksregierung, die im Handumdrehen ein goldenes Zeitalter herbeiführe.

Die Bevölkerung mochte ein Häkchen an der Sache finden, denn die Probe auf die Nützlichkeit des Exempels ist auch hierin nicht gemacht worden.

Zeitungen erschienen vor dem Sturmjahre wenige und waren auf dem Lande völlig unbekannt. Das Revolutionsjahr aber erzeugte viele Zeitungen und der Schuhmachermeister Jürgens hielt eine zeitlang die Hahnenzeitung, an deren Kopf ein Hahn stand. Aufregende Neuigkeiten passierten viele und vielerorts. Der wachsame und aufmerksame Hahn beobachtete alles, krähte es in sein Blatt hinein und tat seine Meinung hinzu. An den Tagen, an denen der Postmann die Hahnenzeitung brachte, sammelten sich abends einige Männer um den Meister, um zu erfahren, was der Hahn Neues aus dem weiten, bewegten Beobachtungsgebiete berichtete.

Einigemal wurde ich mitgenommen, als Vorleser zu fungieren. Bei schmackhaften Kraftstellen, an denen es nicht mangelte, wurde Halt geboten um den Kraftausdrücken freudigen Beifall zu zollen, auch Bemerkungen und Prophezeihungen daran zu knüpfen. Der begabte Meister hatte sich schon vorher mit dem Inhalt bekannt gemacht und einige Folgerungen in petto, war daher ausschlaggebend. Danach konnte weiter gelesen werden. Vielleicht mochte ich verständlich vorlesen können, für ein politisches Verständnis war in dem Schulknabengemüt aber kein Raum. Als die Wogen sich alsbald glätteten und der Glanz der Revolutionshelden verblaßte, wußte der Hahn nichts Neues mehr und ging in die Mauserung. Auch die politischen Besucher des Meisters blieben aus und achteten daheim auf die unpolitischen Auslassungen ihrer Ehehälften. So saß denn der Meister abends wieder vereinsamt hinter seiner Leuchtkugel und handhabte Pfriem und Pechfaden ohne politische Anwandlungen. Die Hoffnungen auf das goldene Zeitalter gingen nicht in Erfüllung.

Das Jahr 1848 hinterließ immerhin einige Errungenschaften, davon sei die folgende erwähnt:

Bis dahin wurde die Jagd nur von den sogenannten Gutsherren geübt, die dies und manch anderes Privileg infolge einstmaliger Aneignung besaßen. Hiernach waren in den Gemarkungen der Dörfer Daseburg, Rösebeck, Körbecke, Bühne, Manrode und Muddenhagen, die ehemals die Herrschaft Desenberg bildeten, nur die Herren von Spiegel jagdberechtigt. Da die meisten der Berechtigten fernab wohnten, ließen sie die Jagd durch ihr Forstpersonal üben. Sonderlich viel Wild kam dabei eben nicht zum Abschuß.

Im Jahre 1848 wurde dies Privileg vom Volke vollständig ignoriert. Es jagte, wer Lust dazu hatte. Hauptsächlich waren es die erwachsenen Jünglinge, die eine alte Flinte herbei suchten und am Sonntagnachmittag damit lossteuerten. Das arme Hasengetier hatte noch nie so böse Zeiten erlebt, wie die damaligen Sonntagnachmittage. Mochten die neugebackenen Nimrode ihre Geschosse auch nur selten in den Pelz des Meister Lampe dirigieren und ihm einen völligen Garaus machen können, so wurde durch das viele Gepuffe die zaghafte Sippe doch in Schrecken und Bestürzung versetzt, überall aufgescheucht und mußte heilloses Fersengeld geben. Wohin sie sich immer in ihrer Flucht wenden mochten, allenthalben richteten sich Flintenläufe auf ihr bißchen Leben, wonach die Flüchtigen zuweilen die Besinnung fast verloren. - Die Jagdnutzung verblieb hinfort den Eigentümern der Grundstücke als Gemeinrecht, auf denen das Wild sich ernährt und wird gemeindeseitig verpachtet. Von interessierter Seite ist bis in die neueste Zeit gelegentlich behauptet worden, der Verlust des ehemaligen Jagdrechts ohne Entschädigung sei ein Unrecht. Als wenn jemand glauben könnte, die Herrschaften hätten bei der ehemaligen Vorwegnahme des Privilegs irgendwelche Gegenleistungen gewährt. Mit gleichem Recht können sie sich darüber beklagen, daß die Völker ohne Entschädigung ihnen nicht leibeigen geblieben sind.

Unsere Vorväter hatten Adligen und Klöstern verschiedene Pflichtigkeiten an Naturallieferungen, Dienstleistungen ect. Im Jahre 1803 wurden die Klöster aufgehoben, die Klostergüter in Staatsdomänen umgewandelt, und flossen die ehemaligen geistlichen Einkünfte fortan in die Staatskasse unter dem Namen Domänenabgaben. Diese Naturalleistungen wurden später in Geld umgewandelt und führten von da ab, soweit ihr Ursprung aus Pflichtigkeiten von Adlige herstammte, den Namen Tilgungsrenten, diejenigen geistlichen Ursprungs dagegen Domänenrenten. Die Umwandlung der Domänenabgabe in Geld geschah nach einem mir vorliegenden Rezesse im Jahre 1846, die der Abgaben an Adlige schon früher. Diese sämtlichen Abgaben wurden später zur Tilgung gestellt.

Die Amortisationsperiode für Tilgungsrenten lief von 1850 bis 1890, diejenige der Domänenrenten von 1857 bis 1898, jede Periode also 41 Jahre.

Für Körbecke bezifferten sich die Jahreszahlungen:

1. an Tilgungsrenten auf 3.723,91 Mk.

2. an Domänenrenten auf 1.227,80 Mk.

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zusammen auf 4.951,71 Mk. jährlich

Außerdem waren zu Beginn der Tilgungsperiode kleinere Teilbeträge durch Kapitalzahlungen abgelöst worden. Als die Domänenrente bei Umwandlung in Geld zur Ablösung gestellt wurde, hatte der Staat nach einem mir vorliegenden Rezesse 1/4 der Abgaben fallen lassen. Die frühern Gefälle an die hiesige Pfarrstelle, Kirche und Organistenstelle wurde im Jahre 1874 u.ff. zur Ablösung gestellt. Die betreffende Rente erlischt nach 36 1/2 Jahren am 30. April 1932.

Bei der erstmaligen Abhaltung einer Mission im Jahre 1853 richtete der Missionar Hillebrand eine gewaltige Kanone gegen den Branntwein. Dieser sollte vom Erdboden verschwinden. Nach genugsamer Bresche sollten Männlein und Weiblein kapitulieren, d.h. den Altar umschreiten und in die Hand des Missionars das Gelöbnis ablegen, hinfüro keinen Tropfen mehr über die Zunge gleiten zu lassen. Solch ernsthaft Ding forderte Überlegung. Nach reiflichem Für und Wider kam ein armes Ehepaar, Franz und Annemrigge zu dem festen Entschlusse, nicht zu kapitulieren, sondern den bisherigen mäßigen Genuß beizubehalten. Die Folge zeigte, wie leicht der Mensch durch das Beispiel seinen ernstesten und festesten Vorsätzen untreu wird. Als die umgebende Männerschar sich nach dem Altar in Bewegung setzte, verleugnete Franz seinen Entschluß und ging mit. Und Annemrigge - als sie bei der Musterung des Männerzuges ihren abtrünnigen Franz dazwischen gewahrte, wurde auch ihr der Kirchenstuhl zu eng. Aber schon auf dem Heimwege begann die Reue, ihr Herz zu benagen und in gedrückter Stimmung erreichten sie ihre Wohnung. Als nun gemäß erhaltener Weisung ein Vorrat als verächtliches Gespülsel zum Fenster hinausgeschüttet werden sollte, erschienen sie sich als schimpfliche Verräter und undankbare Frevler an einem guten Freunde, der oft den Mangel an Zubrot ersetzt hatte. Sie machten sich gegenseitig Vorwürfe über ihren Wankelmut und beweinten ihre dadurch entstandene Lage. Zu dem Verschütten konnte sich niemand entschließen und so erwuchs dem geringen Vorrat eine Gnadenfrist.

Annemrigge war einstmals mit einem hessischen Eierhändler, der eine schwere Kiepe voll Eier nach Kassel trug zusammengetroffen in einer Wirtschaft, wo der Händler rastete und sich durch einen Schnabus zur Weiterreise stärkte. Als sie mit ihm darüber sprach, daß die Sonne es zu gut meine und noch alles verderbe, entgegnete der bejahrte Händler:

"Wase! de Sunne und de lewe Branntewien, de hat noch niemals wat verdurwe". Diesen Weisheitsspruch holte sie jetzt hervor und legte ihn den verächtlichen Äußerungen des Missionars gegenüber auf die Waagschale, worauf das Zünglein der Waage fast senkrecht stand. Nachdem dann die Ausführungen des Missionars hie und da noch einige Abschwächungen erfuhren, hatte der Branntwein, der nahe vor der Exmission stand, das volle Hausrecht wieder erlangt. Ähnlich mochte es in den meisten Fällen ergangen sein. Der Kampf gegen den Branntwein erwies sich als ein Schlag ins Wasser. Dazu müssen die damaligen Verhältnisse berücksichtigt werden. In der ärmeren Bevölkerung waren Fleisch, Butter, Käse seltene oder unbekannte Dinge. Die Hauptnahrung bestand aus Kartoffeln, Brot, Zichorienkaffee. Mit den ersteren mußte aufs sparsamste umgegangen werden. Da mochte denn ein Schnäpslein zur Abwechselung oder Anfeuchtung des trockenen Brotes nicht verachtenswert sein.

Gegenwärtig sind die Mäßigkeitsbestrebungen von wohlwollenden Menschenfreunden nicht ohne Erfolg wieder aufgenommen. Völlige Enthaltsamkeit wird indes schwerlich wieder erzielt werden, solange nicht zusagender Ersatz gefunden ist. Der Einzelne aber sollte - besonders im jüngeren Lebensalter - seine Trinkneigung sorgsam überwachen und sie immer sofort wieder einschränken, wenn sie zunehmen will. Je mäßiger alle Genüsse, je zuträglicher sind sie in jeder Hinsicht. Würde die Anerkennung und Befolgung dieser unleugbaren Wahrheit durch Wort und Beispiel immer mehr Gemeingut, so würde sich das äußerst wertvoll erweisen für den Einzelnen, für Familie, Gesellschaft und Staat.

Kaisermanöver
Unser freundlich stilles Bachtal, in dem gewöhnlich außer ermunternden Zurufen des Landmanns an seine Zugtiere nur ein vereinzelter Habichtsschrei oder Käuzchenruf vernehmbar ist, war am letzten Manövertage des Jahres 1907 - am 11. September - der Schauplatz kriegerischer Kämpfe. In dem Gelände südlich von Rösebeck bis über den Taleinschnitt und die Dorflage von Körbecke hinweg wogte ein mehrstündiges, äußerst heftiges Gefecht. Bedeutende Truppenmengen aller Waffengattungen nahmen daran teil. Im Tal hatte u.a. eine Maschinengewehrabteilung Stellung genommen. Insbesondere fand auch ein starkes Aufgebot von Kavallerie aller Schattierungen in den Seitenmulden und Schluchten des Tales gute Stellungen und konnte nach unternommenen Attacken schnell wieder ausgezeichnete Terraindeckung nehmen.

Somit hallte über Berg und Tal ein tausendfaches Getöse kriegerischer Feuerwaffen. Das Brechen der Schallwellen an den Bergwänden weckte ein mehrfaches Echo, wodurch das Feuergetöse wahrhaft ohrenbetäubend wurde.

Die Ernte hatte sich diesjährig um etwa 14 Tage verspätet; daher standen noch Früchte auf dem Halm. Artillerie und Schützenlinien nahmen vielfach Stellung und Deckung in stehenden Halmfrüchten. Im Laufe des Gefechts rückte die Kavallerie aus dem Tal heraus und tummelte sich auf den äußersten Flügeln südlich und südöstlich von Körbecke. Als sie nach Schluß des Gefechts zusammenrückte, bedeckte sie mit 6 Regimenten ganze Feldflächen.

Nach Verziehung des starken Morgennebels langten 2 kaiserliche Automobile von Kassel über Liebenau auf dem Rösebecker Gefechtsfelde an. Unter ihren Insassen befand sich die junge Kaisertochter Prinzeß Viktoria Luise, die mit Interesse dem Gefechtsgang folgte. Den Kaiser sahen wir am vorhergehenden Tage, als er auf der Dinkelburger Anhöhe im Auto 10 bis 15 Minuten hielt, um sich mit dem Generalstabschef über die Gegend zu informieren. In den Gefechtstagen befand sich auf jeder Seite ein Fesselballon, von dem aus Bewegungen der Gegenseite beobachtet und gemeldet wurden. Nach dem letzten Gefechtstage bivakierte ein pommersches Kürassierregiment auf Ames Plane auf dem Sieke.

Die Flurschäden wurden teilweise sehr gut, teilweise mäßig, einige auch knapp entschädigt, wie es sich bei Schätzungen zu treffen pflegt.

Reise nach Russland

Als der Unterzeichnete einmal in einer kleinen Gesellschaft seinen Fuß auf den Boden des geheiligten Russland setzen wollte, ahnte er nicht, daß das mit Schwierigkeiten verbunden sei. Zunächst mußte ein amtliches Legitimationspapier beschafft werden. Als wir hiermit ausgerüstet uns der Grenze näherten, wurde uns Eile empfohlen, weil die Mitternachtszeit herannahe, in welcher Russland keinen Besuch empfange. Bei unserm Eintreffen an der Grenze zeigten unsere Uhren noch reichlich 15 Minuten vor 12 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Es war nicht berechnet, daß Russland uns wahrscheinlich in der Tageszeit voraus ist. Genug, die Grenze war geschlossen, eine schwere eiserne Kette über den Weg herabgelassen, die von einem Militärposten bewacht wurde.

Seitwärts stand auf freiem Felde eine Kaserne, von der aus der Weg besetzt und die Grenzstrecken rechts und links zu Pferde abpatrouilliert werden. Das Zeigen unserer Uhren und ein Parlamentieren blieben fruchtlos, der Russe ließ sich auf nichts ein, auch verstanden wir uns gegenseitig nicht. Ein preußischer Zollbeamter, der mit einem russischen Offizier an einem Gartentische saß, rief uns zu, um 2 Uhr, früher könnten wir nicht passieren. Da mußten wir gute Miene zum bösen Spiel machen und uns zurückziehen.

Nach der herrschenden Meinung ist der Russe von der Kultur noch nicht maltraitiert, besitzt also noch starke Nerven und demnach noch einen gesunden Schlaf. In dieser Empfindung erschienen wir erst einige Zeit nach 2 Uhr wieder an der Grenze. Wer nun annehmen wollte, Russland hätte uns jetzt mit offenen Armen gegenübergestanden, würde sich irren. Wir wurden abermals eine gute Weile zurückgehalten, bis ein ausgerüsteter Kosak aus der Kaserne herbeikam, um uns in seine Obhut zu nehmen. Somit genossen wir zum erstenmal im Leben die Ehre, von der bewaffneten Macht mit geladenem Gewehr eskotiert zu werden. Soviel Aufhebens hatten wir von unsern Persönlichkeiten nicht erwartet. An unserm Marssohne mußte eine sprachliche Anknüpfung wegen der Sprachenverschiedenheit gänzlich abprallen; in Entgegennahme einiger Zigarren zeigte er sich aber bestens zugänglich.

Unser Mann lieferte uns im Städtchen auf dem Zollamt ab, wo wir rekognisziert wurden. Einige von uns konnten in polnisch, was hier Landessprache ist, mit Ja und Nein antworten. Hiernach konnten wir uns auf eigene Faust bewegen.

In der nahen Umgebung des Städtchens konnten wir 13 Windmühlen zählen. Das Pflaster der Stadt wies gefahrdrohende Senkungen auf. Eine massige alte Kirche aus Ziegelsteinen hatte eine Eisenumgitterung. Hier wieder dasselbe verschlossene Wesen, nirgends war ein Einlaß zu finden. Wer hätte von den Russenköpfen überall eine solche Sprödigkeit vorausgesetzt? In Erwartung eines Trinkgeldes dagegen konnten junge, gesunde Russen auf der Straße einen Bückling machen, daß ihre Stirn fast das Pflaster berührte. Da hatten wir Gelegenheit, ihnen auch einige Sprödigkeit zu zeigen.

In einem Gasthause fand sich soviel Vermittlung der deutschen Sprache, daß wir uns an einem Brötchen mit gekochtem Schinken und einem Glas Bier stärken konnten. Der Schinken war überaus zart und schmackhaft, auch das Bier war gut. Die Fleischpreise in Russland kommen nur wenig über die Hälfte der unsrigen.

Auf der jenseitigen Warthebrücke begegneten uns einige beladene Heuwagen, die von den Wiesen kamen. Die Fahrer dirigierten ihre Viehgespanne oben vom Heuwagen herab. In den großen sandhaltigen Ebenen des Ostens sind besteinte Wege selten. Noch seltener sind fließende Gewässer, daher allenthalben Windmühlen.

Nachdem wir unsere Legitimationspapiere auf dem Zollamte wieder in Empfang genommen hatten, konnten wir unsere Rückkehr antreten, ohne diesmal einer bewaffneten Begleitung gewürdigt zu werden. Das preußische Zollamt passieren wir völlig unbehelligt, obwohl Zollbeamte sich zufällig vor dem Gebäude befanden.

Schlußwort

Jedem Zeitraume scheint das Los zuzufallen, von den Zeitgenossen ein unrühmliches Prädikat zu erhalten im Vergleich mit der "guten alten Zeit". Letzteres Prädikat steht ihm dann in Aussicht, wenn er entschwunden ist.

Nun ist als sicher anzunehmen, daß jedem Zeitabschnitte seine Eigenart von Mängeln und Übeln anhaftet, die beklagenswert sind und zur Bekämpfung auffordern. Es muß zu allen Zeiten um das Fortkommen gesorgt und geschafft werden. Prüfungen schweben wolkengleich über der Menschheit und lassen sich in ungleicher Verteilung nieder.

Unserer gegenwärtigen Zeit entfallen mehr und mehr die Zügel, mit denen der Begehrlichkeit nach Wohlleben und Luxus die unerläßliche Hemmung vermittelt werden muß. Deshalb steigert jene ihre Ansprüche über die verfügbaren Mittel hinaus, zerstört den natürlichen und notwendigen Einklang wesentlicher Dinge und erzeugt weithin eine völlig unberechtigte und schädliche Unzufriedenheit, die weite Kreise in Mitleidenschaft zieht.

Ein weiterer Übelstand und eine drohende Gefahr liegt in der gegenwärtigen Ausnutzung der Kapitalmacht. In Ausdehnung der Großbetriebe und im Zusammenschluß zu Gesellschaften, Ringen und Syndikaten droht den Mittelständen eine Beherrschung durch Diktierung der Preise, Verdrängung der Kleinbetriebe und Aufsaugung der Arbeitskräfte. Durch Erspähung und Ausnutzung jeder Gelegenheit, die Konkurrenz aller Weltteile auf unsere Märkte zu werfen, wird die Existenz unentbehrlicher heimischer Berufsstände erschwert, oder aufs äußerste gefährdet. Da ist es nur natürlich und geboten, daß die gefährdeten Berufsstände, die Gefahr laufen, rücksichtslos hinter die Front gedrängt zu werden, sich sorgenvoll zusammenschließen zu energischer Verteidigung ihrer bedrohten Existenz, und daß sie mit berechtigter Unzufriedenheit erfüllt werden, wenn sie von maßgebender Seite die nötige Fürsorge und Unterstützung vermissen.

Die Erhaltung vaterländischer Produktivstände ist zur Erhaltung eines gesunden Zustandes unseres staatlichen und gesellschaftlichen Gesamtorganismus in mehrfacher Hinsicht unentbehrlich.

Vergleichen wir indes mit den gegenwärtigen Verhältnissen die Vergangenheit, so sehen wir unsere Vorväter in weit schwierigeren Lagen mit schweren Beschwerden und Drangsalen. Endlose Kriege mit ihren Schrecknissen, raub- und mordgierigen Söldnerscharen, mit ihren Seuchen, Verwüstungen und Vermögensverlusten ohne Entschädigung waren keine Seltenheit. Um diejenigen, die durch den Krieg verwüstet, verdorben, verarmt waren, kümmerte sich niemand. Es bestand keine Möglichkeit, elementare Vernichtungen durch Feuer und Hagel vermittels Versicherungen abzuschwächen. Die ehemalige Bauart gewährte einer Feuersgefahr großen Spielraum.

Sehen wir, daß durch die Verwaltungsorgane einer Gesamtgemeinde Strafen auferlegt werden von beträchtlicher Höhe, so vermögen wir uns des Empfindens behördlicher ausgedehnter Willkür nicht zu erwehren. Welch gewaltige Lähmung, Schädigung und Niederhaltung mußte die Frohndienstpflicht bewirken. War der Bauer im Begriff, den günstigen Zeitpunkt zur Bestellung seines Ackers oder zur Bergung der Ernte wahrzunehmen, so rief ihn eine Botschaft zum Frohndienste. Bei der Gewalt, die man über ihn übte, wartete seiner nichts Gutes, wenn er unfolgsam war. So mußte er dann das Seinige liegen lassen und dem Frohndienste nachgehen. Und welche willkürliche Übergriffe mögen sich nicht übermütige Frohnvögte gestattet haben, gegen die es kein Abwehrmittel gab.

Wie richterlich verbriefte Rechte gegen Mächtige unwirksam bleiben konnten, zeigt uns der Holzprozeß. Stets erneuerte richterliche Zuerkennungen, auch die Festsetzung bestimmter Mengen zu vorläufiger jährlicher Verabfolgung blieben 170 Jahre erfolglos.

Der Verlauf, den eine beabsichtigte Entschädigung für Kriegslieferungen nahm, läßt schließen, die Behörden hätten damals die große Sorge für das Wohl der Bevölkerung noch nicht in ihr Programm aufgenommen. Sonst wären sie verpflichtet gewesen, den unerfahrenen Landgemeinden ihre Entschädigung zu vermitteln bis in deren Hände. Statt dessen fallen die Entschädigungen in die Krallen eines gewandten Raubvogels und die Gemeinden haben das Nachsehen.

Als die Kartoffel noch unbekannt, die Äcker noch nicht entwässert, die Ackergeräte und Feldbestellung noch unvollkommen, die Düngung schwach, die Verkehrsmöglichkeit für Massengüter noch auf eine kleine Umgebung beschränkt war, zählten Mißernten und nachfolgende Hungersnöte zu den öfteren Heimsuchungen der Völker, letztmalig im Jahre 1847.

Die persönliche Freiheit und gesicherte Rechtspflege, die guten Wege, der leichte, bequeme, schnelle und billige Personen- und Güterverkehr, der erleichterte und schnelle geistige Verkehr, die Übernahme aller schweren Arbeiten auf die Maschine - das ist eine Reihe von Errungenschaften, die uns täglich zugute kommen, es aber vergessen lassen, wie unvollkommen es mit all dem zur Zeit unserer Vorväter bestellt war. Es ist also unleugbar in fast jeglicher Beziehung sehr viel freundlicher geworden wie ehemals und die gegenwärtige Zeit also gar nicht so schlecht. Die vielfache gegenwärtige Unzufriedenheit wurzelt in einer überspannten, krankhaften Begehrlichkeit.

In den Grundstein unseres Schulgebäudes von 1893 lieferte ich nach geschehener Anregung eine Urkunde.

In den Grundstein der Kirche eine Urkunde zu liefern, veranlaßte mich Herr Pfarrer Hartmann wenige Wochen vor der Grundsteinlegung.

In der Voraussetzung, auch in ferner Zukunft würden denkende Menschen einiges Interesse haben an der Kenntnisnahme vormaliger Zustände ihrer engeren Heimat, zeichnete ich gegenwärtige und vergangene Verhältnisse unserer engern Umgebung in jener Urkunde auf, soweit dies in einigen Wochen möglich war. Damit hatte ich 40 Bogenseiten gefüllt.

Nach Einsicht genannter Aufzeichnungen regte Pfarrer Hartmann des weiteren an, in Anbetracht, daß die Grundsteinurkunde erst nach einer Reihe von Jahrhunderten wieder zum Vorschein komme, gleiche Aufzeichnungen auch für unsere nächsten Nachkommen niederzulegen. Diesen praktischen Vorschlag habe ich mit gegenwärtigen Aufzeichnungen zur Ausführung gebracht.

Die zunehmende Verschärfung der Einblicke in die Naturkräfte führt zu ihrer Nutzanwendung, wodurch rasche Umgestaltungen fast aller Verhältnisse in kurzen Zeiträumen sich vollziehen. Ohne Aufzeichnung geht die Kenntnis von den außer Gebrauch gekommenen Zuständen rasch verloren. Was durch Aufzeichnungen festgehalten und überliefert wird, kann den Nachkommen zu vergleichender Kenntnisnahme dienen.

Das Material lieferten in meinem Besitz befindliche oder sonst eingesehene Urkunden und Akten, eine Anzahl eigener, langjähriger Notizen und Tagebuchaufzeichnungen, endlich Erinnerungen an eigene Beobachtungen und an Erzählungen der Älteren; einiges mußte noch hinzugeholt werden.

Der ehrenvollen Aufgabe widmete ich gern einige Mühe in der Hoffnung und dem Wunsche, unsern Nachkommen Aufschlüsse zu hinterlassen, die ihnen nicht unwillkommen seien. Anregend wirkte der Gedanke, vielleicht existiere nach einem längeren Zeitraume noch eine Arbeit eigener Hand und Gedanken, die Kunde von unserm gegenwärtigen, bescheidenen Dasein gäbe.

Bei längerem Nachdenken in der Richtung des Vorhabens und bei der Arbeit kam immer noch einiges hinzu; somit wuchsen die Aufzeichnungen zu vorliegendem Umfange.

Der Mühewaltung würde es dienen, wenn sich fortlaufend einiges Interesse durch Einsichtnahme bekundete.

Zu schätzenswerter Ergänzung und Vergleichung würde es dienen, wenn in jedem künftigen Zeitraume, wenigstens in jedem kommenden Jahrhundert eine Fortsetzung hinzukäme.

Meinen künftigen Nachfolgern im Amte und Allen, die Einsicht in diese Arbeit nehmen, entbiete ich hiermit einen freundlichen Gruß!

Diese Aufzeichnungen habe ich in dem von mir erbauten Verwalts-Wohnhause südlich vor Körbecke im laufenden Jahre niedergeschrieben und abgeschlossen.

Körbecke, am 22. Dezember - Wintersonnenwende des Jahres 1904.

Clemens Bremer
Landwirt